Das Leben von Martin Luther ist der beste Beweis dafür, wie ein einzelner Mensch buchstäblich Geschichte schreiben kann. Dabei konnte niemand ahnen, dass sich der strebsame Mönch zum gefürchteten Widerpart von großen Gegnern wie Kaiser oder Papst entwickeln würde.
In den ersten 35 Jahren seines Lebens war er nur als Martin Luder bekannt. Doch nach seinem Aufstieg in die Oberschicht der Stadt Wittenberg hielt es der Theologie-Professor im Sommer 1517 offenbar für ratsam, seinen Nachnamen, der wegen seiner negativen Besetzung als „liederlich“, „lasterhaft“ oder „betrügerisch“ von Widersachern schon häufiger zur Verunglimpfung genutzt worden war, zu ändern. Und weil es Anfang des 16. Jahrhunderts gerade Mode geworden war, Familiennamen mit einem „th“ aufzuwerten, nannte er sich fortan nur noch Martin Luther.
Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren und einen Tag später in der örtlichen St.-Petri-Pauli Kirche auf den Namen des Tagesheiligen Martin getauft. Er war eines von neun Kindern von Hans und Margarete Luder. Einige Monate später siedelten die Luders ins nahe Mansfeld um, wo der Vater ein kleines Haus kaufen sowie als Hüttenmeister und Minenbesitzer im Kupferschieferbergbau schnell einen gewissen Wohlstand erwerben konnte.
Zwischen 1491 und 1496 besuchte Martin die Mansfelder Lateinschule. Danach wechselte er für ein Jahr auf die Magdeburger Domschule, um unter Anleitung der Brüder vom Gemeinsamen Leben, einer religiösen Erneuerungsbewegung, sein Latein zu perfektionieren. Schließlich verbrachte er noch drei Jahre zwischen 1498 und 1501 an der Pfarrschule St. Georg in Eisenach. Im Sommersemester 1501 begann Martin das Studium an der Universität Erfurt. Wie damals üblich, besuchte er zunächst die Artistenfakultät, um die nötigen Grundkenntnisse in den Sieben Freien Künsten zu erwerben. 1505 schloss er diese akademische Grundausbildung als „Magister artium“ ab. Gemäß dem Wunsch des Vaters beschäftigte er sich danach mit der Juristerei. Mit diesem Studienfach schien Martin Luther allerdings nicht sonderlich glücklich gewesen zu sein. Rettung aus der Not brachte ihm nach eigenem Bekunden ein schweres Gewitter, in das er beim Dorf Stotternheim am 2. Juli 1505 nach einem Besuch bei seinen Eltern gekommen war. In Todesangst will Martin das Gelübde abgelegt haben, Mönch zu werden, falls die Heilige Anna, Patronin der Bergleute, ihm helfen sollte, dieses fürchterliche Naturereignis zu überleben. Martin brach das Studium ab und trat schon am 17. Juli 1505 in den Konvent der Augustiner-Eremiten, einem strengen Bettelorden, in Erfurt ein. Anfang 1507 wurde er zunächst zum Diakon, dann zum Priester geweiht.
Um seine Glaubenszweifel und Höllenängste zu bekämpfen, suchte er Zuflucht im intensiven Bibelstudium. Diese offenkundige Strebsamkeit belohnte sein Vorgesetzter und Förderer, der Generalvikar Johann von Staupitz, damit, dass er Martin 1508 zum Theologiestudium an der noch jungen, 1502 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich III. gegründeten Universität „Leucorea“ in ein Augustiner-Kloster nach Wittenberg versetzen ließ. Dort sollte Martin Luther 1512 seinen Doktortitel erwerben, nachdem er schon erste Lehrveranstaltungen in der Bibelauslegung absolviert und wohl im Sommer 1511 im Auftrag seines Klosters eine Reise nach Rom unternommen hatte, wo ihn der Sittenverfall der dortigen Kurie tief erschüttert hatte.
In den folgenden Jahren erfuhr der junge Luther einen rasanten Aufstieg in seinem Orden. Als Nachfolger von Staupitz übernahm er in Wittenberg den Lehrstuhl der „Lectura in Biblia“ und wurde 1514 zum Distrikt-Vikar über elf sächsische und thüringische Klöster ernannt. Schon damals war Luther ein Mann, der von morgens bis abends arbeitete. Zwischen Beten, Studieren, Lehren und administrativen Aufgaben gönnte er sich keine Ruhe. Stattdessen setzte ihm zunehmend die Angst um seinen Seelenfrieden, die Furcht vor einem zornigen und strafenden Gott zu. Wann genau er – basierend auf einem Paulus-Brief an die Römer mit der zentralen Aussage „Der Gerechte wird aus dem Glauben leben“ – seine elementare Erkenntnis über die Gnade Gottes gewann, ist umstritten. Laut eigenen Angaben überkam ihn die Erleuchtung, dass Gott barmherzig sei und den Menschen allein wegen seines Glaubens mit Gnade beschenke, in seinem Arbeitszimmer im Südturm des Wittenberger Augustiner-Klosters. Die Datierung dieses „Turmerlebnisses“ schwankt in der Forschung zwischen den Jahren 1511 und 1518. Womöglich hatte sich diese Einsicht aber auch einfach nur über einen längeren Zeitraum herausgebildet.
Klare Position gegen den lukrativen Ablasshandel
Hatte Martin Luther schon mit seinem Prinzip „Sola Gratia“ die gesamte mittelalterliche Theologie in Frage gestellt, legte er sich mit seinen berühmten 95 Thesen gegen den Ablasshandel direkt mit der mächtigen römisch-katholischen Kirche an. Für Luther war diese kirchliche Finanzierungspraxis reinster Betrug, weil für ihn der Weg zu wahrer Buße unbedingt mit dem Aspekt Reue gekoppelt sein musste und nicht einfach gegen Geldzahlung gekauft werden konnte. Papst Leo X., der mit dem äußerst lukrativen Ablasshandel den Neubau des Petersdom finanzieren wollte, gefielen Luthers Einlassungen, mit denen dieser ursprünglich nur einen Disput unter Gelehrten anregen wollte, ebenso wenig wie dem nach dem Kaiser zweitmächtigsten Mann des Reiches. Kardinal Albrecht von Brandenburg, als Kurfürst und Erzbischof von Mainz auch Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches, war dringend auf die Ablassgelder angewiesen, um seine hohen Schulden bei den Fuggern in Augsburg begleichen zu können.
Albrecht war jedenfalls einer der Adressaten, denen Luther seine Thesen auf dem Briefweg zustellen ließ. Ob die Thesen tatsächlich zusätzlich am 31. Oktober 1517 am Portal der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen wurden, ist bis heute umstritten. Wenn überhaupt, dann wurden sie wohl eher als öffentliche Bekanntmachung an allen Kirchentüren Wittenbergs aufgehängt, wie aus einer diesbezüglichen Notiz von Luthers Sekretär Georg Rörer anno 1540 geschlossen werden kann.
Dank des neuen Buchdrucks verbreiteten sich Luthers auf Latein verfasste Thesen wie ein Lauffeuer durch das gesamte Reich. Fürs einfache Volk lancierte er 1518 eine verständliche Version in deutscher Sprache mit dem Titel „Sermon von dem Ablass und Gnade“.
Im Juni 1518 leitete die römisch-katholische Kirche gegen Martin Luther eine Voruntersuchung mit dem Vorwurf der Ketzerei ein. Auf dem Augsburger Reichstag im Oktober 1518 weigerte sich Luther gegenüber dem päpstlichen Gesandten Kardinal Thomas Cajetan, seine Thesen zu widerrufen, und im Juli 1519 zweifelte er bei einer Disputation an der Leipziger Universität die Unfehlbarkeit des Papstes und der Konzile an. Am 15. Juni 1520 erließ das römische Kirchenoberhaupt eine Luther zur Unterwerfung auffordernde Bannandrohungsbulle. Als sich Luther dagegen mit seiner bedeutenden Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zur Wehr setzte, mit seinem Werk „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ noch einen drauf setzte, in dem er das Papsttum, das katholische Bischofsamt, das Sakrament der Priesterweihe und das Zölibat verwarf, und schließlich wegen Verbrennungen seiner eigenen Bücher am 10. Dezember 1520 die päpstliche Bannandrohungsbulle vor dem Wittenberger Elstertor in Flammen aufgehen ließ, hatte er den endgültigen Bruch vollzogen. Am 3. Januar 1521 wurde er exkommuniziert.
Leben als Junker Jörg auf der Wartburg
Nachdem er auf dem Wormser Reichstag auch dem deutschen Kaiser Karl V. den Widerruf seiner Schriften verweigert hatte, wurde per „Wormser Edikt“ vom 26. Mai 1521 die Reichsacht über Luther und seine wachsende Anhängerschaft verhängt. Da Luthers Schutzpatron Kurfürst Friedrich III., auch Friedrich der Weise genannt, der Zusicherung freien Geleits nicht so recht trauen mochte, ließ er den Reformator zu dessen eigener Sicherheit auf der Rückreise am 4. Mai 1521 entführen und heimlich auf die Wartburg bringen. Dort lebte Luther unter dem Decknamen „Junker Jörg“ bis zum 1. März 1522 und vollbrachte in gerade mal elf Wochen die Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche. Nach seiner Rückkehr nach Wittenberg legte er im Oktober 1524 die Mönchskutte ab, heiratete im Juni 1525 die ehemalige Nonne Katharina von Bora und ließ sich mit ihr im ehemaligen Schwarzen Kloster in Wittenberg nieder. Aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor. Seinem ehemaligen Schüler Thomas Müntzer verweigerte er während der Bauernkriege 1525 jegliche Unterstützung. Auch zu reformatorischen Splittergruppen wie den Täufern ging er zunehmend auf Distanz.
1534 war nach zwölf langen Arbeitsjahren dank der Hilfe von Philipp Melanchthon endlich die Übersetzung des Alten Testaments geschafft. Die erste deutschsprachige Bibel-Gesamtausgabe konnte im Oktober 1534 vorgelegt werden. Als Geächteter konnte Luther nicht persönlich am Augsburger Reichstag im Juli 1530 teilnehmen, auf dem Kaiser Karl V. das protestantische Glaubensbekenntnis von Melanchthon ausgehändigt wurde. Luther trat danach in der Öffentlichkeit nur noch als Seelsorger, Publizist, Musikkomponist mit insgesamt 45 Liedern oder Gesängen und Universitätslehrer auf.
Seine späten Hetzschriften gegen die Juden allerdings waren alles andere als ein Ruhmesblatt. Am 18. Februar 1546 starb Luther im Alter von 62 Jahren in seiner Geburtsstadt Eisleben, wohin er sich begeben hatte, um die Schlichterrolle in einem Streit der Grafen von Mansfeld zu übernehmen.