Wer Luther wirklich nahe kommen möchte, der muss dorthin, wo er gewirkt hat. Nach Eisleben, Erfurt und Wittenberg.
Seit 2007 hat sich Deutschland an das 500-jährige Reformationsjubiläum herangepirscht. Anlass ist Luthers angeblicher Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517. Die sogenannte Thesentür gilt als Angelpunkt, ganz gleich ob es wirklich 95 Zettel waren, die er allein oder mit Freunden an das damalige Portal heftete.
Es war der Protest eines kleinen Theologen gegen den Ablasshandel der großen katholischen Kirche, wie ihn beispielsweise der berüchtigte Dominikaner Johann Tetzel mit dem Slogan „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt“, betrieb.
Luthers Thesen, nun in schwarzen Metall-Lettern an der Tür der Schlosskirche zu sehen, waren auf Lateinisch geschrieben und sollten zu Diskussionen und Reformen anregen, läuteten aber eine religiöse und gesellschaftliche Zeitenwende ein. Mit drei nationalen Sonderausstellungen, alle bis zum 5. November, wird dieses Ereignis gewürdigt: in Berlin, auf der Wartburg und in der Lutherstadt Wittenberg. (www.3xhammer.de). Der Weg zu diesen mit Luther verbundenen Orten wird auch zum Parcours zu wichtigen Unesco-Welterbestätten.
Alle diese kleinen und größeren Städte können sich nun sehen lassen, hat man doch die Lutherdekade intensiv zu ihrer Verschönerung genutzt. Vieles wurde saniert und restauriert. Namhafte Architekten haben die Lutherhäuser durch Anbauten erweitert, um mehr Platz für hochwertige Dauerausstellungen und weitere Aktivitäten zu schaffen. Diese Maßnahmen sind nachhaltig angelegt, sollen nach dem Reformationsjubiläum weiter wirken. Die Gäste sollen wiederkommen und sich dann ohne Trubel im traditionsreichen Ambiente wohlfühlen. Schon jetzt lockt Wittenberg für 2018 die Wiederholungstäter mit Vergünstigungen im Internet (https://lutherstadt-wittenberg.de/wiederholungstaeter).
Dass viele Menschen aus Europa und sogar aus Amerika und Asien anreisen, ist unübersehbar und unüberhörbar. Interessiert und gut gelaunt streifen sie umher. Vermutlich kommen nicht alle aus rein religiösen Gründen, manche eher aus verständlicher Neugier. Sie wollen genauer wissen, was das für einer war, dieser Luther, und wie seine Heimat aussieht. Diesbezüglich haben wohl auch viele Deutsche Nachholbedarf. Ziele sind also vor allem die Kernländer der Reformation in Mitteldeutschland, und dort kommen alle auf ihre Kosten.
Besucher, die Zeit mitbringen, folgen dem Reformator oft chronologisch und beginnen mit der Lutherstadt Eisleben, wo der kleine Martin am 10. November 1483 als Martin Luder geboren wurde. Luther nannte er sich erst später.
Eine koreanische Gruppe posiert gerade an seinem Geburtshaus und geht dann weiter zum Sterbehaus. „Original ist keines der beiden Häuser, sie vermitteln den Besuchern jedoch die Luther-Aura“, räumt Daniel Leis von der Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt ein. Luthers Geburtshaus brannte 1689 nieder, doch die Stadt baute sogleich ein neues, das dann als Armenschule und Luthergedenkstätte diente. Mit einem neuen Besucherzentrum und einem Anbau versehen, behandelt die jetzige Dauerausstellung vor allem Luthers Familie und seine Kindheit in Mansfeld.
Nach Mansfeld war der Vater, Hans Luder, wenige Monate nach Martins Geburt gezogen. 13 Jahre lang, von 1484 bis 1497, war dort Martins Heimat. „Ich bin ein Mansfeldisch Kind“, betonte Luther noch in späteren Jahren. Vermutlich war das der Grund, weshalb er, schon schwerkrank, 1546 in Winterskälte nach Eisleben reiste, um einen Streit der Mansfelder Grafen zu schlichten. Das gelang ihm, doch er starb dort am 18. Februar 1546, allerdings nicht im allgemein bekannten Sterbehaus. Wie man erst neuerdings weiß, stand es an der Stelle des heutigen Hotels „Graf von Mansfeld“. Ein Fehler des Stadtschreibers nach dem großen Brand.
Man beließ es jedoch beim gewohnten Gebäude, hat es drei Jahre lang saniert und mittels einer gelungenen Erweiterung deutlich aufgewertet. Die Rückseite mit der Rasenfläche ist auch ein Treffpunkt für die Eislebener Bevölkerung. Luthers letzter Weg sowie Sterben und Tod sind hier das naheliegende Thema. Das kostbarste Exponat ist eine braune Decke, die Luthers Sarg bei der Überführung nach Wittenberg bedeckt haben soll.
Sterbehaus offenbar falsch verortet
In Erfurt, wo Luther ab 1501 zunächst Jura studierte, wird es konkreter. Luthers Pendant Rainer Bosecker führt die Besucher zum Augustinerkloster, wo Luther von 1505 bis 1511 als Mönch lebte. Teile des Klosters sind noch vorhanden. Die dazugehörige Kirche von 1350 mit ihrem Kreuzgang wurde 1844 bis 1849 neugotisch umgebaut. Das Schönste sind dort die großen farbigen Chorfenster mit der sogenannten Lutherrose.
Ganz anders der stattliche Dom St. Marien, Erfurts ältestes Gotteshaus. Dort wurde Luther 1507 zum Priester geweiht. Gemeinsam mit der Severikirche beherrscht der gotische Bau den weitläufigen Marktplatz. 70 Stufen führen hinauf. Auf ihnen sitzen die Menschen während der Domstufen-Festspiele, und die sind Kult.
Die steinerne Krämerbrücke von 1325, die längste bebaute Brücke Europas, darf auch nicht fehlen. Über die muss auch Luther gegangen sein. Besonders beliebt ist die Rückseite unten an der Gera-Furt. Tagsüber kommen oft Schulklassen, gegen Abend sitzen dort die Studenten vis-à-vis von schmucken Fachwerkhäusern.
Oben auf der Brücke lockt die Schokoladenmanufaktur Goldhelm, gegründet 2006 von Chocolatier Alex Kühn und inzwischen die größte Europas (www.goldhelm-schokolade.de).
Köstlichkeiten inklusive Luther-Schokolade gibt’s als Kraftspender für die Reformationswanderer. Denn die brauchen Kondition für Eisenach, das Luther „meine liebe Stadt“ nannte. Zunächst für das sanierte Lutherhaus, eines der ältesten und schönsten Fachwerkhäuser Thüringens.
Drinnen erstreckt sich über drei Etagen die neue interaktive Dauerausstellung „Luther und die Bibel“, für die das Haus bereits den „Iconic Award 2016“ erhalten hat. Zu den Schätzen gehört der Taufeintrag von Johann Sebastian Bach vom März 1685. Ihren größten Sohn ehrt die Stadt auch durch das Bachhaus Eisenach, das mit mehr als 250 Original-Exponaten die größte Bach-Gedenkstätte weltweit ist.
Bach trug Luthers Gedanken in die Welt
Obwohl Bach deutlich nach Luther gelebt hat, gehören die Reformation und Bachs Werke zusammen. Seine Choräle und Passionen haben Luthers Gedanken durch die Welt getragen.
Fitte wandern nun zu Fuß durch den Wald hinauf zur Wartburg, und schon in den Vorhöfen herrscht Gewimmel. Mit jährlich etwa 350.000 Besuchern ist die Wartburg ohnehin Thüringens Top-Besuchermagnet. In der Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“ findet sich neben originalen Lutherbibeln auch ein Büchlein mit dem Luther-Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“, der noch heutzutage gesungen wird.
Als Junker Jörg getarnt und unter dem Schutz von Kurfürst Friedrich dem Weisen, übersetzte der vom Papst geächtete Luther hier 1521/22 die Bibel aus dem Griechischen ins Deutsche – das sogenannte September-Testament. Den Satan, der ihn vermeintlich attackierte, verscheuchte er mit dem Wurf des Tintenfasses, so die Legende. Dieser ständig als Souvenir abgekratzte Klecks wird jetzt mit einem Beamer auf die Wand geworfen.
Wer diese besondere Atmosphäre und den weiten Blick ins Tal noch intensiver genießen will, kann im Fünf-Sterne-Romantik-Hotel auf der Wartburg übernachten.
Nun aber nach Wittenberg, wo Luther etwa 35 Jahre lebte und lehrte. Studenten aus ganz Europa stürmten seine Vorlesungen und die seines Mitstreiters Melanchton. Im bisherigen Lutherhaus ist die weitgehend originale Lutherstube von 1538 das Highlight. Nach dem Mittagessen saßen Luther und seine Freunde an diesem Tisch und plauderten beim Bier. Im Augusteum, dem Vordergebäude, ist es die Ausstellung „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“. Sonderbar, dass gerade das kleine unbedeutende Wittenberg, damals nur eine 4.000-Einwohner-Stadt, zur Wiege der Reformation wurde.
„Gerade weil Wittenberg so klein war, wurden Luther und seine Thesen so bekannt“, betont Dr. Stefan Rhein, Direktor Stiftung Luthergedenkstätten Sachsen-Anhalt, und weist auf ein Buch mit einer handschriftlichen Anmerkung. Es ist Luthers persönliche Kopie des Neuen Testaments, datiert auf 1540, mit einem Zusatz seines Sekretärs Georg Rörer (1492-1557). Der schreibt, dass Luther selbst 1517 am Tag vor Allerheiligen seine Thesen an die Türen von Wittenbergs Kirchen genagelt hat. Für Stefan Rhein ein Beweis hohen Grades.
Welche Wertschätzung Wittenbergs Sonderausstellung genießt, beweisen andererseits die zahlreichen Leihgaben aus dem In- und Ausland. Sehr vorsichtig werden sie ausgepackt, fotografiert, dokumentiert und zurechtgebunden, um die entsprechende Seite – hier von Till Eulenspiegel – darzubieten.
Der zweite Teil der Ausstellung präsentiert die Porträts und Äußerungen bekannter Menschen aus vielen Jahrhunderten, Berufen und Nationen zu Luther, Gott und Glauben, von Karl May über Astrid Lindgren, Käthe Kollwitz, Friedrich Nietzsche bis zu Papst Benedikt XVI. Eine Mitmach-Ausstellung im dritten Stock beschäftigt Kinder und Jugendliche. Ihnen erzählt der blaue Tölpel, Luthers hier in die Tinte gefallener Hund, aus dessen Leben.
Erkenntnis kam ihm auf der Toilette
Last but not least warten draußen an der Südseite des Lutherhauses noch die 2004 entdeckten und freigelegten Reste eines Anbaus. Vermutlich war hier Luthers Zuhause – einschließlich der Latrine. „Jahrelang ging es bei Anfragen immer um Luthers Klo“, lacht Stefan Rhein. Luther litt Überlieferungen zufolge ständig unter Verstopfung und hat viel Zeit auf der Toilette verbracht, hier auf einem steinernen Sitz. Bekanntlich kommen vielen auf dem Klo die besten Gedanken, bei Luther war es nach eigenen Aussagen wohl ähnlich. „Diese Kunst hat mir der Heilige Geist auf dieser Cloaca auf dem Turm gegeben“, äußerte er. Gemeint war offenbar seine wichtigste Erkenntnis: Nicht durch ständiges Büßen und eigene gute Werke wird der Mensch erlöst, sondern allein durch den festen Glauben an die Gnade Gottes.
Vom Lutherhaus in die Stadtkirche – auch das ist ein Muss einschließlich Hälse recken vor dem berühmten Reformationsaltar von Lucas Cranach d.Ä. und seinem Sohn. Die in den erhaltenen Cranach-Werkstätten fast wie am Fließband gemalten Porträts von Luther und seinen Weggenossen haben die Ausbreitung der Reformation ebenso beflügelt wie die zuvor erfundene Buchdruckerkunst.
Zum Beine vertreten in frischer Luft eignen sich Wittenbergs grünen Wallanlagen. Doch niemand sollte sich das schlicht „Luther“ genannte 360 Grad-Panorama von Yadegar Asisi entgehen lassen. In der roten Rotunde sind die Besucher inmitten der Menschen von vor 500 Jahren. Asisi zeigt das pralle Leben zu Luthers Zeiten in Wittenberg. Faszinierend! Bis 2021 ist dieses Panorama zu sehen. (www.wittenberg360.de).