Mit seinem Buch „Das Anti-Insulin-Prinzip" landete Dr. Rainer Limpinsel einen Bestseller. Im Gespräch verrät der Mediziner, der unter Diabetes litt, welche Symptome man bei beiden Diabetes-Typen verspüren kann, ob die Krankheit Veranlagung ist und wie er seinen Diabetes Typ 2 überwand.
Herr Dr. Limpinsel, was passiert bei Diabetes im Körper?
„Ich habe Diabetes" ist ein anderer Ausdruck für „Mein Blut ist zu süß". Das ist wortwörtlich gemeint. Es schwimmt zu viel Zucker im Blut. Ursache ist immer ein Insulinmangel, denn Insulin lässt Blutzucker in die Körperzellen verschwinden. Der Insulinmangel kann relativ sein, dann hat man Diabetes Typ 2. Es ist eigentlich noch genug Insulin im Körper vorhanden, doch die Körperzellen wollen nicht auf das Insulin hören. Ärzte sprechen dann von einer Insulin-Resistenz. Ganz anders ist die Lage bei Diabetes Typ 1: Hier sind die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin herstellen, kaputtgegangen. Deswegen brauchen Diabetiker vom Typ 1 immer Insulin. Bis zur Entdeckung des Insulins in den 20er-Jahren sind alle Typ 1-Diabetiker ausnahmslos an ihrem Diabetes verstorben. 95 Prozent der deutschen Diabetiker haben Typ 2.
Wie merkt man, dass man Diabetes hat? Welche typischen Symptome treten bei Diabetes Typ 1, welche bei Diabetes Typ 2 auf?
Die meisten Typ-2-Diabetiker merken überhaupt nicht, dass sie Diabetes haben. Ihre Diabetes-Diagnose ist ein Zufallsbefund bei einer hausärztlichen Untersuchung. Dummerweise haben dann schon 40 Prozent der neuen Diabetiker ernste Folgeerkrankungen von Diabetes. Ich hatte das Glück, dass es mir im Sommer 2007 wirklich dreckig ging. Meine Blutzuckerwerte müssen damals um 800 mg/Deziliter gelegen haben.
„Typ 1 kommt wie angeflogen"
Ich war super schlapp, musste andauernd Wasser lassen und meine Augen haben gebrannt. Nur deswegen bin ich zu einem Hausarzt gegangen, ich musste mir erst einen Hausarzt suchen. Jeder Mensch über 40 Jahren sollte alle 24 Monate zu einer hausärztlichen Untersuchung gehen. Typ 1 Diabetes kommt wie angeflogen, zeigt aber im Prinzip dieselben Symptome.
Was passiert, wenn Diabetes nicht gleich entdeckt und längere Zeit unbehandelt bleibt? Welche Gefahren drohen?
Ein unerkannter und damit unbehandelter Diabetes kann dramatische Folgeschäden nach sich ziehen. Die schlimmsten Schicksale, die ich als Arzt im Krankenhaus kennengelernt habe, hatten immer mit Diabetes zu tun. Die Beine können verfaulen, die Nieren können versagen, Herzinfarkt und Schlaganfall drohen, die Patienten können erblinden. Wenn ein Diabetes hingegen gut eingestellt ist, bleiben diese Folgeschäden aus. Sie können Diabetes Typ 2 durch Insulin, durch Tabletten oder durch eine Ernährungsumstellung und Sport in den Griff bekommen.
Kann Diabetes heute noch tödlich sein?
Absolut kann Diabetes tödlich sein! Denken Sie nur daran was passiert, wenn Sie mit 180 km/h auf der Autobahn fahren und dann in eine Unterzuckerung rutschen. Die eigentliche Unterzuckerung ist nicht schlimm, aber Unfälle drohen. An einer Überzuckerung stirbt der Typ-2-Diabetiker nicht so schnell. Hier sind Blutzuckerwerte von bis zu 1.200 mg/Deziliter möglich. Diabetes Typ 1 ist generell die gefährlichere Krankheit. Typ-1-Diabetiker können durchaus an einer Überzuckerung sterben (ketoazidotisches Koma).
Wie kann man Diabetes feststellen? Kann man sich auch selbst testen?
Sie können Diabetes nicht riechen, schmecken oder fühlen. Diabetes tut nicht weh. Deswegen sollten Sie alle 24 Monate zu einer Blutabnahme beim Hausarzt gehen. Alternativ kann man Urinteststreifen benutzen. Diese zeigen jedoch nur einen sehr schlimmen Diabetes an. Bei einem „normalen" Diabetes schlagen die Urinteststreifen nicht aus. Die meisten Apotheken bieten einen kostengünstigen oder kostenlosen Blutzuckertest an. Oder Sie fragen einfach einen vertrauten Diabetiker, ob Sie mit seinem Gerät einmal messen dürfen. Denken Sie daran, die Nadeln vom Lanzettiergerät auszutauschen.
Wie hoch sollte der HbA1c-Wert sein?
Typ-2-Diabetiker bis zum 75. Lebensjahr sollten eine sechs vor dem Komma haben. Ältere Personen dürfen bis zu 7,5 Prozent haben. Typ-1-Diabetiker haben es schwerer, solche Werte zu erreichen.
Gefahr für die Menschheit
Deswegen ist hier ein etwas höherer Blutzucker-Wert erlaubt. Das wird sich ändern, wenn demnächst die künstlichen Bauchspeicheldrüsen (Closed-Loop-Systeme) auf den Markt kommen. Dann ist Diabetes Typ 1 technisch geheilt.
Wie funktionieren diese Closed-Loop-Systeme?
Schon heutzutage gibt es Insulin-Pumpen und kontinuierliche Blutzucker-Sensoren. Beide kleben außen auf der Haut. Die Verknüpfung beider Einheiten (Closed-Loop-System) über einen kleinen Rechner würde die technische Heilung von Diabetes Typ 1 bedeuten. Die Patienten könnten essen, was sie wollen und das Closed-Loop-System würde sich komplett autonom um das Insulin kümmern. Doch im Moment gibt es noch gesetzliche Hürden. Wer haftet, wenn was schiefgeht? Die Kassen werden diese Technik nur für Typ 1 Diabetiker zahlen.
Diabetes gilt als Volkskrankheit. Wie viele Menschen sind betroffen?
Diabetes wird von der Weltgesundheitsorganisation als Gefahr für die Menschheit eingestuft. Diabetes ist die Zivilisationskrankheit schlechthin! Die Definition einer Zivilisationskrankheit ist, dass sie verschwinden würde, wenn die Menschen anständig essen würden, sich bewegen und dadurch Gewicht verlieren würden sowie keinen Stress hätten. In Deutschland gibt es sieben bis acht Millionen Menschen mit schlechten Blutzuckerwerten. Das Fatale ist, dass zwei Millionen von ihnen nichts von ihrer Diabeteserkrankung ahnen. Auf der ganzen Welt leben mehr Diabetiker als US-Amerikaner.
Ist Diabetes genetisch veranlagt oder wird er durch äußere Faktoren wie zucker-/fettreiche Ernährung, Übergewicht und mangelnde Bewegung hervorgerufen?
Die Veranlagung für Diabetes muss gegeben sein, sonst bricht kein Diabetes aus. Ungefähr die Hälfte der Deutschen trägt diese Veranlagung in den Genen. Das ist kein Zufall. In der Steinzeit waren die potenziellen Diabetiker die Menschen, die besser über die kalorienarme Zeit im Winter kamen. Ein heute geborenes Kind hat ein Risiko von 33 Prozent, im Alter Diabetes zu bekommen. Zusätzlich zur genetischen Disposition ist es eine falsche Ernährung, die zu Übergewicht führt. Hier ist ganz besonders der Zuckerkonsum zu nennen. Die neuesten Statistiken sind eindeutig: Hoher Zuckerkonsum führt zum gehäuften Auftreten von Diabetes.
„Ich will keine Chips mehr"
Fett ist gar nicht so schlimm, wie die meisten Menschen denken. Sie sollten aber gute Fette verzehren. Olivenöl ist zum Beispiel ein nahezu perfektes Fett. Sport ist eine Wunderwaffe gegen Diabetes. Tabletten gegen Diabetes senken den Langzeit-Blutzucker um maximal ein Prozent. Das schaffen Sie immer auch mit Sport. Dreimal die Woche für 30 Minuten Bewegung sollten es schon sein.
Es gibt das Phänomen des Alterszuckers. Warum ist der Mensch im Alter besonders anfällig dafür?
Viele alte Menschen machen keinen Sport mehr, sitzen zu viel vor dem Fernseher und essen viel zu viele Kalorien. Meine Oma war noch dazu definitiv süchtig nach Haushaltszucker. Zudem merkt jeder, dass wir ab unserem 40. Lebensjahr nicht mehr so einen Stoffwechsel haben wie in unserer Jugend. Früher galt Diabetes Typ 2 generell als Krankheit der alten Leute. Doch heute bekommen schon zwölfjährige Kinder Diabetes Typ 2. Weil sie nur noch vor der Gamekonsole sitzen und Chips essen, wenn sie nicht gerade einen Softdrink aus einem Becher schlürfen.
Sie behandeln nicht nur Patienten, sondern hatten selbst Diabetes. Mit Ihrem Buch „Das Anti-Insulin-Prinzip: Wie ich meinen Diabetes Typ 2 überwand" haben Sie gerade einen Bestseller gelandet. Wie schafften Sie es, ihren Diabetes ganz ohne Medikamente zu besiegen?
Ich habe einfach nur meine Ernährung umgestellt. Ich verzichte auf nichts, mein Geschmackserlebnis ist sogar intensiver geworden. Ich esse zudem größere Portionen, als ich es früher getan habe. Seit dem Jahr 2008 meide ich Zucker, Bier, Chemie im Essen und schlechte Kohlenhydrate. Das ist alles! Wenn ich heute einen gezuckerten Joghurt essen soll, schmeckt mir dieser Joghurt nicht mehr. Das gleiche gilt für Bier, ich mag es heute einfach nicht mehr. Früher habe ich wirklich sehr gerne Bier getrunken. Was ich damit sagen will: Der Mensch gewöhnt sich an alles. Meine Ernährungsumstellung hat ungefähr sechs Monate gedauert, dann waren meine alten Gewohnheiten durchbrochen. Jetzt schmecken mir die Sachen, die ich früher so gerne gegessen habe, einfach nicht mehr. Ich will gar keine Chips, keine Pommes, keinen Kuchen und keine Erfrischungsgetränke mehr.
Haben Sie heute durchweg normale Blutzuckerwerte?
Solange ich schlank bleibe und nicht einen Kasten Cola auf ex trinke, werden meine Blutzuckerwerte gut sein. Meine letzte Blutuntersuchung ergab einen Langzeitblutzuckerwert von 5,8 Prozent. Ich nehme seit dem Sommer 2008 absolut keine Medikamente ein. Am Tag meiner Diabetesdiagnose betrug mein Langzeitblutzucker 14,1 Prozent.
Wieso sind Sie von Insulin abgekommen?
Weil ich es wollte und meine Ernährung umgestellt habe. Dadurch habe ich 25 Prozent meines Körpergewichts verloren, von 100 auf 75 Kilogramm. Jetzt reicht mein körpereigenes Insulin wieder aus, um meinen schlanken Körper zu versorgen.
Was kritisieren Sie am Umgang der Ärzteschaft mit Diabetes?
Diabetes Typ 2 bräuchte erstmal einen neuen Namen. Ich schlage „Fresskollaps" vor. Viele Ärzte haben sich mit dem Umstand abgefunden, dass Diabetiker ihr Leben lang abhängig von Tabletten oder Insulin werden. Bei meiner Diagnose hat mir kein Arzt, keine Diätassistentin, kein Apotheker und auch nicht meine Krankenkasse gesagt, dass Diabetes Typ 2 wieder verschwindet, wenn man schlank wird und Sport treibt. Gerechterweise muss ich erwähnen, dass die meisten Patienten das aber auch gar nicht wollen. Die meisten Patienten möchten einfach eine Tablette schlucken und dann noch mehr ungesunde Sachen futtern als jemals zuvor. Das Problem im Umgang mit Diabetes ist also ein gesellschaftliches Problem und nicht nur die Schuld der Ärzteschaft. In der Tat wird mit Diabetikern sehr viel Geld umgesetzt. In spätestens 20 Jahren wird unser Gesundheitssystem die Kosten für Diabetes Typ 2 nicht mehr stemmen können.