Sobald er einen Raum betrat, verstummten die Menschen. Man sagte ihm nach, das Charisma eines Rockstars zu besitzen: Che Guevara, Revolutionär und Guerillaführer. Am 9. Oktober jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.
Schon der kleine Ernesto ist wild, schwer kontrollierbar und testet ständig seine Grenzen. Mit anderen Kindern gründet er Gangs, spielt mit ihnen Räuber und Gendarm. Doch das älteste von fünf Geschwistern ist auch intelligent, kann mit vier Jahren schon lesen. Auf seine Mitmenschen wirkt die Art, wie sich der Junge gibt und ausdrückt, beinahe erwachsen. Dieses Bild wird später perfekt in die Biografie des marxistischen Revolutionärs passen, der durch seinen Kampf, seine Visionen und den frühen Tod noch heute für viele als Ikone gilt.
Ernesto Rafael Guevara de la Serna kommt am 14. Mai 1928 in Rosario in Argentinien als Kind der blutjungen Celia und des nur wenige Jahre älteren Ernesto Rafael zur Welt. Dieser ist ein gescheiterter Architekturstudent, der sich als Schiffsbauer, Farmer und Plantagenbesitzer verdingt. Eine Erbschaft sichert das Auskommen der später siebenköpfigen Familie. Der Vater ist meist unterwegs, auf der Arbeit oder bei anderen Frauen. Die Mutter sorgt für den Zusammenhalt. Sie ist emanzipiert, linksliberal und pflegt eine enge Bindung zu ihrem ältesten Sohn. Bekannte sprechen später davon, dass die beiden wesensverwandt gewesen seien, sich bis zum Tode der Mutter Briefe schrieben, in denen sie sich Dinge anvertrauten, von denen sonst niemand wusste.
Die Familie zieht oft um, denn Ernesto leidet seit seinem zweiten Lebensjahr an Asthma, wird von der Krankheit geplagt. Als junger Bursche will er sich sogar umbringen, weil er es nicht erträgt, wie ihm ständig die Luft wegbleibt. Auf ärztlichen Rat hin siedelt er mit seinen Eltern, Schwestern und Brüdern 1932 nach Alta Gracia über, einem Kurort für Lungenkranke in den Bergen Argentiniens. Mit eisernem Willen bekämpft er die Krankheit, die ihn prägt, jedoch nie niederstreckt.
Mutter Celia unterrichtet ihren Ältesten zunächst daheim. Er liest viel, auch europäische Literatur, und lernt die französische Sprache. Erst mit neun Jahren ist Ernestos Gesundheitszustand stabil genug, um in die Schule gehen zu können. Er wird kein Musterschüler, und doch genießt er die Zeit. Schwimmen, Fußball, Rugby – seine Hobbys sind eigentlich alles andere als die Freizeitbeschäftigungen eines kranken Kindes.
Stark geprägt von seiner Mutter
Celia, die den Spitznamen „Die Rebellin" trägt, lehrt ihren Jungen auch den Kampf für die gute Sache. Nachdem der Bürgerkrieg 1936 ausbricht, wird das Haus der Familie Treffpunkt für Intellektuelle, die vor dem spanischen Diktator Franco fliehen. Ernesto entdeckt seinen Gerechtigkeitssinn. Er fragt nach, weshalb es zwischen den Menschen solch große Unterschiede gibt, und findet es ungerecht, dass der eine mehr als der andere verdient.
Anfang der 40er-Jahre zieht die Familie nach Córdoba, die Eltern wollen ihren Kindern den Schulweg von bis dahin täglich 70 Kilometern ersparen. Kurz darauf trennen sich Mutter und Vater. Als junger Mann entscheidet sich Ernesto für ein Medizinstudium in Buenos Aires, wo er inzwischen mit der Mutter lebt. Immer wieder unterbricht er sein Studium für Reisen durch Argentinien, Südamerika und auf andere Kontinente. Er ist entsetzt über die sozialen Missstände, die er vorfindet, macht sich zunehmend Gedanken um gesellschaftliche Zustände. Die Reisen hätten ihn verändert, wird er einem seiner Tagebücher anvertrauen, in dem er seine Eindrücke festhält. Der Gegensatz von Arm und Reich bedrückt ihn.
Ein Jahr vor seinem Staatsexamen macht er sich mit seinem Freund Alberto Granado, einem Biochemie-Studenten, zu einer neuen Reise auf. Sie führt die beiden auch in eine Lepra-Kolonie nach Peru. Der junge Mann entdeckt den Zusammenhang von Krankheiten und sozialem Elend. Diese Armut brennt sich in sein Gedächtnis, berührt ihn sehr. Und schließlich will er nicht nur als Arzt Krankheiten bekämpfen, sondern als Aktivist eine Gesellschaft kurieren. Für ihn heißt es nun: Das Elend muss mit Kampf besiegt werden.
Nachdem er im April 1953 seinen Doktortitel erhält, zieht es Ernesto wieder in die Ferne, nach La Paz in Bolivien, schließlich nach Guatemala, wo eine Revolution kurz bevorsteht. Dort bekommt er seinen Spitznamen Che. Der Sturz des Regimes dort überzeugt Guevara, dass Sozialismus das einzige Gegenmittel zum Kapitalismus darstellt. Siegen könne man nur durch eine bewaffnete Revolution, sie sei die einzige Chance. Also beschließt er, dass dies sein Lebensweg ist – sein Leben in die Dienste der Revolution zu stellen.
In Costa Rica lernt er Kubaner kennen, die zuvor vergeblich versuchten, den kubanischen Diktator Fulgencio Batista zu stürzen. Auch Fidel und Raúl Castro, die er erst später trifft, gehören zu den Gescheiterten. Stalins Tod im März 1953 bedeutet zugleich den Beginn der Verehrung des Sowjet-Diktators bei dem Mittzwanziger. Seine Freundin, die Peruanerin Hilda Gadea, gehört der peruanischen Alianza Popular Revolucionaria Americana an. Sie hilft Ernesto während seiner Asthmaschübe, greift ihm finanziell unter die Arme, vermittelt ihm die Grundlagen des Marxismus und stellt Kontakte zu den Mitgliedern der linken Regierung Arbenz her. Der junge Mann erlebt den Sturz des Präsidenten von Guatemala, Jacobo Arbenz Guzmán, der zuvor Diktator Jorge Ubico Castañeda aus dem Amt jagte und Reformen einleitete, die den Armen des Landes helfen sollten. Freunde werden verhaftet, auch seine spätere Ehefrau Hilda. Guevara flieht in die argentinische Botschaft, reist kurz darauf nach Mexiko. Dorthin folgt ihm Hilda nach deren Freilassung, beide heiraten, ein Kind wird geboren.
Im Sommer 1955 lernt er Fidel Castro kennen, der gerade eine bewaffnete Expedition nach Kuba vorbereitet, um das dortige Batista-Regime zu stürzen. Guevara verpflichtet sich als Expeditionsarzt, nimmt später jedoch bei erster Gelegenheit die Waffe in die Hand. Die Rebellen erhalten eine militärische Ausbildung, werden von der Polizei aufgegriffen und landen im Gefängnis. Doch das stachelt Guevara nur noch mehr an.
Vom Expeditionsarzt zum Anführer
Am 2. Dezember erreichen er und weitere 86 Kämpfer Kuba. Bei einem ersten Gefecht wird die Mehrheit der Rebellen getötet, doch neue Mitstreiter stoßen hinzu. Schnell wird Guevara zu einem Anführer, überzeugt mit Cleverness und Taktik. Deserteure befördert er höchstpersönlich ins Jenseits. Castro ernennt ihn zum Comandante, der seine eigene Kolonne führt. Nach zweijährigem Kampf erobert er mit seiner Truppe Santa Clara. Der Weg nach Havanna ist damit frei, Diktator Batista flieht, die Rebellen übernehmen die Kontrolle. Und Guevara wird zum geborenen kubanischen Staatsbürger ernannt.
Er ist ein wichtiges Mitglied der Regierung Castros, wird Leiter der Nationalbank und Industrieminister. Er studiert bis tief in die Nacht Mathematik, Buchhaltung, Betriebsführung. Nicht selten hockt er 18 Stunden über den Büchern. Seine Familie – inzwischen ist er mit Aleida March verheiratet, mit der er vier Kinder zeugt – bekommt ihn kaum zu Gesicht. Sonntags nimmt er sich ein paar Stunden Zeit für sie, doch auch die sind am Ende meist von der Arbeit geprägt.
Guevara erklärt nach einer Reise nach Pjöngjang, dass Nordkorea ein erstrebenswertes Modell für das revolutionäre Kuba sei, kubanische Unternehmen und US-amerikanische Beteiligungen werden verstaatlicht. Guevara und Fidel Castro wird vorgeworfen, die Revolution gegen Batista zur schleichenden Umgestaltung des Landes in eine kommunistische Diktatur zu nutzen. Die kubanische Oberschicht verlässt Kuba Richtung USA. Die Invasion in der Schweinebucht, geleitet von US-Amerikanern und Exilkubanern, mit dem Sturz der kubanischen Regierung als Ziel scheitert.
Guevaras Ansichten werden in der Folge noch radikaler. Er vertritt einen zentralistischen und schnellstmöglichen Übergang zum Sozialismus und eine moralische Mobilisierung des neuen Menschen. Er will die Lehre der Planwirtschaft umsetzen und treibt die vollständige Verstaatlichung der kubanischen Wirtschaft voran. Folge: Zucker- und Getreideproduktion gehen zurück. Freiräume für kleine Unternehmen, eine Lohndifferenzierung nach Leistung, lehnt er ab. Er reist nach China, in die Tschechoslowakei und die Sowjetunion, in die DDR, nach Nordkorea und Ungarn, schließt Handels- und Kreditvereinbarungen ab. Das Land richtet sich mehr und mehr nach der Sowjetunion aus, die Vorbereitungen zur Stationierung russischer Atomwaffen auf Kuba löst 1962 die Kubakrise aus.
In Bolivien gefangen und erschossen
Der Abstieg beginnt, als er sich immer mehr in Konfrontation zu Castro begibt. Der treibt schließlich 1964 die Zuckerrohrproduktion voran und verschiebt die angestrebte Industrialisierung um mindestens zehn Jahre. In seiner Rede vor der UN 1964 bekennt sich Guevara zur revolutionären Gewalt als Mittel internationaler Politik und fordert die Übertragung der kubanischen Revolution auf andere Länder.
Auch mit den Sowjets gerät er immer mehr in einen offenen Konflikt. Und so entscheidet er sich – für die meisten überraschend – alle Ämter niederzulegen. Er verlässt das Land und geht in den Kongo, kehrt schließlich noch einmal nach Kuba zurück und geht dann auf seine letzte und verhängnisvolle Reise nach Bolivien. Seine Erfahrungen aus den Zeiten der Rebellenarmee will er auf das südamerikanische Land übertragen. Doch seine Erwartungen werden enttäuscht. Weder die einheimischen Bauern, die Bergarbeiter noch die Kommunistische Partei Boliviens schließen sich ihm an. Die kleine Truppe gerät in den Hinterhalt, Guevara wird am 8. Oktober 1967 nach einem Gefecht mit dem Militär gefangen genommen. Tags darauf wird er von einem Feldwebel der bolivianischen Armee auf Weisung des bolivianischen Präsidenten René Barrientos Ortuño erschossen.