Pino Bianco und seine Mutter Angela Matarrese stammen aus der Region südwestlich von Apulien. Beide brachten viele Rezepte aus ihrer Heimat nach Berlin mit und setzen diese in der „Trattoria a’ Muntagnola" sehr schmackhaft um.
Dieses Mal lief alles andersherum. Zuerst aß ich die Caponata nach Mamma Angela bei einer Freundin. Fand sie extrem köstlich, erhielt das abfotografierte Rezept per Messenger und baute sie nach. Meine Variante des groben, süßsauren Auberginen-Tomaten-Hacks mit Rosinen, Sellerie, Mandeln und Pinienkernen kam bei einer Party ausgesprochen gut an. Ein Hoch auf das Selbermachen mit der richtigen Prise Abwandlung – ich hatte die Auberginen mit wenig Fett im Wok gebraten und nicht wie im Rezept angegeben frittiert.
Die ganze Straße liebt Mamma Angela
Wie sonst könnten wir die Absicht von Pino Bianco und seiner Mutter Angela Matarrese, den Berlinern die Küche der Basilikata nahezubringen, besser umsetzen als durch eifriges Nachkochen? Durch das Probieren des Originals in der „Trattoria a’ Muntagnola". Ohnehin scheint so ziemlich jeder in der Stadt das Lokal zu kennen. „Die haben sehr gute Lasagne mit Salciccia", sprach die eine kulinarische Begleiterin. „Da war ich schon früher oft Pizza essen", sagte eine andere Freundin. Das mit Ziegelwänden und Holz sowie mit jeweils 90 Plätzen innen und außen ausgestattete Lokal befindet sich seit immerhin 26 Jahren an derselben Stelle. In einem 70er-Jahre-Eckhaus in der Fuggerstraße, mitten im Schöneberger Regenbogen-Kiez. Also schloss auch ich endlich meine kulinarische Bildungslücke mit bemerkenswerten Vorspeisen, Ravioli und Schmortopf vor Ort.
Angela Matarrese ist „La Mamma" im besten Sinne. Sie brachte viele Gerichte aus der Basilikata mit nach Berlin, als sie nach dem Tod ihres Mannes an den Lebensort ihres Sohnes zog. Der wiederum eröffnete die „Trattoria a’ Muntagnola" nach einem kosmopolitischen wie auch gastronomischen Leben am 1. Juli 1991, wie stolz in den Rand der Keramikteller eingebrannt ist. Mamma Angela wacht auch heute noch, mit 83 Jahren, darüber, dass Weißbrot und Pizzateig sorgfältig geknetet und gebacken sind und die Speisen genau so frisch und qualitätsvoll zu den Gästen kommen, wie es sich für die Küche ihrer Heimat gehört. „Die ganze Straße liebt sie", sagt Pino Bianco. „Sie ist die Seele des Ladens."
Stimmt. Sie schaut bei uns vorbei und modelt mit verschmitztem Lächeln so lange für den Fotografen, bis das Bild sitzt. Sollte sie einmal nicht im Lokal sein, fragen die Gäste und Nachbarn, wo sie ist. Vielleicht ruht sie sich einen Moment in ihrer Wohnung direkt über der Trattoria aus. Vielleicht begleitet sie aber auch gerade Sohn Pino zur Ernte von Zucchiniblüten, Rucola und Salaten in den Gemüsegarten nach Tempelhof. „Bestimmte Sachen gab’s früher so nicht zu kaufen, wie wir sie für unsere Gerichte brauchten", erzählt Pino. „Also haben wir sie im eigenen Garten angebaut."
Zum Beispiel die großen, gelben Zucchiniblüten. Die mit Brot vom Vortag, Thunfisch, grünen Oliven, Kapern und Mozzarella gefüllten „Fiori di Zucca" stehen jetzt gerade noch auf der Tageskarte. Die geschmorten Blüten sind salzig-würzig und schmeicheln dem Gaumen durch ihre weiche, sanfte Textur. Ganze Früchte wiederum, längs gehobelt und als Zucchini-Röllchen mit Gamberetti und Minze gefüllt, lassen in Begleitung von Zitronensauce eine erfrischende Meeresbrise heranwehen. Ein ordentlicher Klacks vom dicken Saubohnenpüree auf einem Nest aus geschmortem Löwenzahn überrascht als „Favette e Cicoria" mit fein gewürzter Robustheit. „Die Zucchiniröllchen werde ich sicher nachmachen", spricht die Freundin. Nichts einfacher als das. Pino bringt uns mehrere „Lesezeichen" – mit Fotos und den Rezepten bedruckte Papierstreifen. Ein Gast ließ sich von den Gerichten sogar poetisch inspirieren: Marco Beckendorf singt das Hohelied der Aubergine und der Minze auf den Kärtchen. Die Rezepte sind ebenfalls auf der Website zu finden. Aber wer kann schon dem Charme einer persönlich überreichten Karte widerstehen? Ich kann mich nicht entscheiden, welche meine Lieblingsvorspeise ist. Zumal wir ebenfalls von einem Holzbrett, einem „Tagliere Lucane", an regionalen Käse- und Wurstspezereien herumnaschen.
Ein fester, gesalzener „Ricotta Salata", reifer Pecorino und Scheiben von einem gereiften, birnenförmigen „Caciocavallo" liegen auf der Käse-Seite; Pancetta, der gerollte, mit Kräutern gewürzte und luftgetrocknete Bauchspeck, eine „Salami picante" sowie eine mit Schweinespeck zubereitete „Salciccia sotto sugna" auf der tierischen. „Sono begeistert!", ruft der Fotograf bei letzterer aus. Für vielfach Angetane wie mich gibt es praktischerweise einen „Antipasti Misti"-Teller für 14,50 Euro. Bei Preisen von um die 12,50 Euro für eine Vorspeise sollte niemand irritiert sein. Die Portionen sind reichlich und können als kleines Hauptgericht gegessen oder gut zu mehreren geteilt werden.
Das rustikale Holz-Stein-Ambiente mit den vielen „Bella-Italia"-Fotos täuscht. In der „Trattoria a’ Muntagnola" verbinden sich Tradition und das 21. Jahrhundert. Ich wähle dort erst zum zweiten Mal in Berlin von einer Speisekarte auf einem Tablet. Das ist in vielerlei Hinsicht praktisch: Fotos zeigen, was auf dem Teller zu erwarten ist, die Schrift ist immer groß genug und der Monitor hell. Im international besuchten Fuggerstraßen-Kiez ist die „in 28 Sprachen übersetzte Karte", wie Pino anmerkt, hilfreich. Über den Eingängen läuft „Offene-Küche-TV". Die Monitore sind stilecht in ornamentgeschmückten Goldrahmen gefasst. An den Gerichten und Zutaten wird stetig weiterentwickelt: Der Pizzateig wird aus Weizen-, Reis- und Sojamehl geknetet und darf drei Tage ruhen, bevor er belegt wird. Glutenfreie Pasta ist ebenfalls im Angebot.
Erwürgte Priester auf der Karte
Wir beschließen einstimmig, dass die Antipasti große Klasse sind: einfach. Gut. Einfach gut. Beim Pasta-Gang, einer Blüte aus mit Ricotta und Zimt gefüllten Ravioli mit Tomatensauce, sind wir schon nah an unserer Kapazitätsgrenze angelangt. Ich mag die tomatige, fruchtige und weihnachtlich angehauchte Note der Füllung. So habe ich glatt verpasst, „Strangolapreti" – oder auf gut Deutsch „Erwürgte Priester" – zu ordern. Ob die Priester vom Blattspinat, der sich in den Klößchen mit altbackenem Weißbrot, Pinienkernen, Mehl und Rosinen vereinigt, gemeuchelt wurden? Keine Ahnung, was die Legende sagt. Aber ich weiß, dass ich die mörderischen Bällchen mit gebräunter Butter und Salbei demnächst probieren muss. Ebenso wie die gerühmte Lasagne, Pappardelle mit Hackbällchen oder Cannelloni mit Ricotta und Spinat. Eher der guten Ordnung halber, denn aus Hunger teilen, wir uns ein traditionelles Fleischgericht: „Castrato alla Pastorale", eine Heidschnucke, kommt „nach Hirtenart" im Tontopf geschmort und in Begleitung von Ofenkartoffeln auf den Tisch. Auf die von Pino angebotene Dorade aus dem Ofen mit Oliven, Cherrytomaten und Oregano müssen wir leider wirklich verzichten. Auf ein nächstes Mal! Zumal ein Besuch in der „Trattoria a’ Muntagnola" portemonnaie-freundlich verläuft. Hauptgerichte mit Fleisch oder Fisch liegen bei 21,50 bis 25,50 Euro. Pasta-Teller werden für 11,50 bis 14,50 Euro serviert.
Ilaria Manna ist eine der Kellnerinnen im 15-köpfigen „Muntagnola"-Team. Sie empfiehlt der Freundin und mir einen 2015er „Maddalena Bianco" aus der Cantina Lagala zum Warten auf den Fotografen. „Wie ein italienischer Riesling, aber mit mehr Frucht", sage ich zur Freundin. Der aus der Malvasia-Traube gekelterte Weiße aus der Basilikata begleitet uns mit blumig-frischem Hauch, aber vollmundiger Präsenz, zum Knusperbrot à la Mamma Angela. Aus eigener Erfahrung die Warnung: Nicht zu viel vom knackig frittierten Kräuterbrot naschen! Sonst bleibt zu wenig Platz für die Köstlichkeiten, die folgen. Hätten wir uns nicht viel zu erzählen, könnten wir uns spielerisch der Kulturhauptstadt Europas 2019 nähern. Die Silhouette der von Höhlensiedlungen geprägten Altstadt von Matera ist auf weiße Papiersets gedruckt, die auf allen Plätzen liegen. Ein Becher Buntstifte zum Ausmalen steht bereit. Nach einem Teller Cannoli – mit Ricotta und kandierten Früchten gefüllte, knusprig frittierte Teigröllchen – sowie einer Copa Schokomousse mit Sahnekringeln spricht die Freundin aus, was wir nach einem genüsslichen Abend in der „Trattoria a’ Muntagnola" als Einziges wollen: „Jetzt eine Hängematte mit Blick aufs Meer!"