Dr. Erich Ritter ist Haiforscher. Seit seiner Kindheit ist er fasziniert von den oft gefürchteten Meeresbewohnern. Der Experte ist nicht nur Gründer der „Sharkschool“ in Miami, sondern hält auch weltweit Vorträge über die missverstandenen Könige der Meere. Wir trafen den Experten im Rahmen der Ausstellung „Lebenswelten“ im ehemaligen Bergwerk Reden in Schiffweiler.
Seine Abenteuergeschichte beginnt für Dr. Erich Ritter ganz unrühmlich. Nämlich mit einem Ausgehverbot. Als er vor über 50 Jahren von seinen Eltern zum Hausarrest verdonnert wird, ahnt er nicht, dass genau das ihn zu einem der gefragtesten Spezialisten seines Faches machen wird. Heute ist der 58-Jährige ein bekannter Haiforscher. Und eigentlich ist er mehr als das, er ist Taucher, Tierschützer, Redner, Lehrer und Hai-Fan mit Haut und Haaren. „Ich lebe dafür“, sagt er. Und wer ihn trifft, merkt schnell, was er meint.
Der König der Meere fasziniert ihn schon seit seiner Kindheit. Sein Abenteuer beginnt nicht im Meer, sondern im Wohnzimmer. Ritter erinnert sich: „Ich war sieben Jahre alt und hatte Hausarrest. Zur gleichen Zeit bekamen wir einen Fernseher, das war vor über 50 Jahren ein Novum. Und weil ich Hausarrest hatte, habe ich den Fernseher selber eingeschaltet und ich sah zum ersten Mal Haie.“ Vergessen ist das Wohnzimmer. Ritter taucht ein in eine neue Welt. Aber schon damals, als Junge, kann er nicht begreifen, wie Haie die gefährlichen Monster sein sollen, die in der Sendung beschrieben werden. „Das sah ich in diesen Tieren einfach nicht“, sagt Ritter. Damit hat er bereits als Kind allen etwas voraus, die sich vom populären Bild des Hais als blutrünstigem Killer einen Schauer über den Rücken jagen lassen, ohne jemals auch nur in die Nähe des Tiers gekommen zu sein. „Ich war immer ein bisschen ein Einzelgänger mit einer eigenen Idee“, sagt Ritter über seine Schulzeit. Als er mit zehn Jahren die Geschichte von Doktor Dolittle liest, dem Arzt, der mit Tieren sprechen kann, vervollständigt sich sein Weltbild. Seinen Berufswunsch verkündet er anschließend seiner Mutter: „Ich will Haidoktor werden.“ Dass er überhaupt Abitur macht und später Zoologie und Paläontologie in Zürich und Miami studiert, führt er auf diese Überzeugung zurück: „Was ich damals in den Haien sah, ist genau das Gefühl, das ich auch heute noch habe.“
In der Populärkultur hingegen blüht zur gleichen Zeit die Darstellung des Hais als Killermaschine. Filme wie „Der weiße Hai“, der im Jahr 1975 in die Kinos kommt, tragen bis heute ihren Teil dazu bei. Über die Wissenschaftler von damals, die ohne verlässliche Studien Bücher veröffentlichen und so dem verfälschten Bild Auftrieb verleihen, sagt Ritter heute nüchtern: „Das waren ziemliche Pfeifen.“ Und dann etwas konkreter: „Das waren Leute, die Angst hatten, ins Wasser zu gehen. Keiner hat seine Theorien getestet.“ Erich Ritter hat mittlerweile genau das getan und herausgefunden, dass Haie anders ticken als angenommen. Statt blutrünstig zu töten, verfügen Haie über komplexe Verhaltensmuster. Und es mag dem Genre des Horrorfilms nicht gelegen kommen, aber an Menschen haben sie eigentlich gar kein großes Interesse.
Ursprünglich stammt Ritter aus Zollikon in der Schweiz. Heute lebt er bereits seit 25 Jahren in Florida. Neue und alte Heimat kombiniert Ritter, wenn er Deutsch spricht. Diese Mischung aus amerikanischem und Schweizer Akzent hört man nicht oft. Als Haiforscher ist er weltweit unterwegs, taucht ohne Käfig mit Haien, untersucht ihr Verhalten und hält Vorträge, in denen er seine Begeisterung und seine Sorgen um den Hai mit dem Publikum teilt. Er ist einer dieser Menschen, bei denen Arbeit und Privates untrennbar verbunden sind. Fragt man ihn, ob er sich vorstellen kann, irgendwann in Rente zu gehen, ist seine Antwort klar: „An dem Tag, an dem ich tot über die Reling falle.“
Über den richtigen Umgang mit Haien
Vor 20 Jahren hat Ritter in Miami die „Sharkschool“ gegründet. Hier erfahren Interessierte alles über den richtigen Umgang mit Haien. Die Kurse finden nicht im Klassenraum statt, sondern im offenen Meer. Einmal mit Bullenhaien, Tigerhaien oder Walhaien tauchen, das ist für viele Nervenkitzel und Traum zugleich. Die Kursteilnehmer lernen unter Ritters Anleitung in den Gewässern vor den Bahamas, was zu tun ist, wenn ein Hai ihren Weg kreuzt. Eine Sache ist dabei entscheidend. Der Mensch muss dem Hai möglichst eindeutig signalisieren: Ich bin keine Beute. Das funktioniert, indem er auf Verhaltensmuster verzichtet, die typisch für Beutetiere wie Robben oder Fische sind.
Dennoch passiert es mehrfach im Jahr, dass Menschen von Haien verletzt werden. Grund dafür ist laut Ritter die Neugier des Hais und der daraus resultierende Probebiss. Das heißt, der Hai hat etwas entdeckt, das er nicht kennt, und will herausfinden, was da schwimmt. Er macht die Probe aufs Exempel und beißt zu. Was sich hier so harmlos anhört, kann natürlich nichtsdestotrotz zu schweren Verletzungen führen. Im Jahr sind es im Schnitt sechs Menschen, die durch einen Hai tödlich verletzt werden. Wie gefährlich das werden kann, hat Ritter im Jahr 2002 selbst erfahren. Durch eine Unachtsamkeit seines Spotters, also des Begleiters, der ihn eigentlich genau in solchen Situationen warnen sollte, bemerkt Ritter nicht, wie ein Bullenhai sich von hinten nähert. Der Hai beißt im flachen Wasser aus Neugierde nach seinem Bein. Ein Missverständnis, durch das Ritter seine Wade verliert. Man sieht ihm die Folgen seiner Verletzung noch an, wenn er sich bewegt. Dennoch oder gerade deshalb wird er nie müde zu betonen: „Es gibt keine gefährlichen Haie, nur gefährliche Situationen mit Haien.“
Etwa die Hälfte der Besucher der „Sharkschool“ hat Angst vor Haien und traut sich gar nicht erst ins Wasser. Am Ende bekommt Erich Ritter sie doch hinein. Wenn nicht, gibt es das Geld zurück, erzählt er. Viele andere Teilnehmer sind Taucher, Surfer, Schwimmer und auch Seeleute. Eben alle, die beruflich oder durch ihr Hobby einem Hai in freier Wildbahn begegnen könnten. Ritters Ansatz ist neu und trifft auf positive Resonanz.
Wer sich unter dem Alltag eines Haiforschers ein Leben wie im Abenteuerurlaub vorstellt, liegt nur teilweise richtig. „Ich bin neun Monate im Jahr unterwegs“, antwortet Ritter auf die Frage, wie sein Jahr aussieht. Davon, so erzählt er, bestehen zwei Drittel aus Kursen und Unterricht, den er gibt, das andere Drittel besteht aus Vorträgen und Öffentlichkeitsarbeit rund um den Globus. Dass er sich als Weltbürger sieht, klingt logisch: „Ich fühle mich eigentlich überall wohl.“
Kampf gegen Windmühlen
Als Fürsprecher des Hais hat er es nicht leicht. Ritter ist sich dessen bewusst, aber er arbeitet konsequent weiter. Manchmal klingt es so, als ob er und alle anderen, die sich für den Hai einsetzen, gegen Windmühlen kämpfen. Ritter weiß das selbst: „Man braucht eine dicke Haut.“ Aber er weiß auch, dass jeder Schritt wichtig ist. Wenn er vor Publikum redet, steht da ein unaufgeregter Mann. Die Themen seiner Vorträge lassen den Zuhörer dennoch alarmiert zurück. Ritter redet über die Verschmutzung der Meere, die Gefährdung der Haie und die Bedrohung des kompletten maritimen Ökosystems. Denn auch im Meer ist alles miteinander verbunden. Ändert sich eine Komponente, ergibt sich daraus eine Kettenreaktion. Das kann fatale Folgen haben, die sich auch auf das Leben an Land auswirken.
Viele Haiarten sind vom Aussterben bedroht, bei einigen Arten ist bereits klar, dass sie es nicht mehr schaffen können. Das hat einerseits mit der Überfischung der Meere zu tun. Unzählige Haie verenden als ungewünschter Beifang in Fischernetzen. Millionen weitere Haie werden ganz bewusst getötet. Sie sterben wegen ihrer Flossen, die nach nichts schmecken, wie Ritter erklärt, aber trotzdem zu Suppe verarbeitet oder wegen ihrer angeblich potenzsteigernden Wirkung verkauft werden. Auch die Sorge verschiedener Länder, der Tourismus am Meer könnte negativ beeinflusst werden, führt zur Ausrottung der Haie. Einer der schlimmsten Gründe aber, aus denen Haie umgebracht werden, lautet: aus purem Spaß am Töten. Ritter zeigt an einem Punkt in seinem Vortrag ein putziges Kätzchenbild auf der Dialeinwand und stellt fest, dass süße Tiere einfach eine andere Lobby haben. Würden Katzen so behandelt wie Haie, würden mehr Menschen auf die Barrikaden gehen. Aber sich für ein Tier stark zu machen, vor dem man sich fürchtet, das kommt den wenigsten in den Sinn. Aufklärungsarbeit ist deshalb dringend nötig.
Als Ritter seinen Vortrag beginnt, weist er darauf hin, dass die folgenden Bilder nicht besonders schön sein werden. Wenn auf den Fotos Haie in Netzen verenden, wenn ihre Flossen abgeschnitten und sie lebendig zum Sterben wieder ins Wasser geworfen werden, dann hat man Mühe hinzuschauen. Ritter bleibt erstaunlich ruhig, er hat diese Bilder schon oft gesehen. Als Zuschauer merkt man aber, dass man genau diese Bilder braucht, um wachzurütteln. Haie sind eben keine Kätzchen. An einer Stelle kann aber auch Ritter seine Wut nicht mehr verbergen. Er zeigt Bilder von Sportfischern, die gezielt Jagd auf Haie machen. Es sind Fotos, auf denen junge Männer am Strand triumphierend mit einem Hai posieren, den sie gefangen haben. Das letzte Bild zeigt tote Haie, die auf einem großen Müllhaufen liegen. Sie wurden zum Spaß gefangen und dann weggeworfen. „Leute, die Tiere so vorführen, sollten bestraft werden!“ Erich Ritter wird energisch. „Kein Tier sollte auf dem Müll enden.“
„Meine Liebe gehört dem ganzen Meer“
Was vor dem Fernseher vor über einem halben Jahrhundert begonnen hat, ist heute sein Leben. Ritters Ziel ist es, dem Hai das zu geben, was er verdient. Einen sicheren Lebensraum, den Schutz der verschiedenen Arten und die Möglichkeit, aus dem Dunkel der menschlichen Urangst aufzutauchen und als das gesehen zu werden, was er ist. Ein Tier, das geschützt werden muss. Diesem Thema hat er sein Leben gewidmet. Damit ist er nicht allein. Glücklicherweise finden sich immer mehr Gleichgesinnte, die sich für den Hai einsetzen. Es ist trotzdem keine leichte Aufgabe, die Erich Ritter hat. Wer ihn aber trifft, sieht einen Menschen mit Überzeugung, die das bestätigt, was Ritter gleich am Beginn seines Vortrags gesagt hat: „Meine Liebe gehört dem ganzen Meer.“ Und dem Hai besonders.