Der Konflikt in Katalonien kann nur politisch entschärft werden
Vom ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck ist der Satz überliefert: „Politik ist die Kunst des Möglichen.“ Der preußische Diplomat hat ein weiteres Bonmot geprägt, das bis heute Gültigkeit hat: „Das Vertrauen ist eine zarte Pflanze; ist es zerstört, so kommt es sobald nicht wieder.“ Wer in der Politik – zumindest im Westen – Erfolg haben will, sollte die gesamte Klaviatur beherrschen zwischen Überzeugungskraft, Geschmeidigkeit, Durchsetzungsstärke und Respekt.
Was derzeit in Barcelona und Madrid passiert, ist jedoch das Gegenteil von Bismarck’scher Staatskunst. In Spanien kommt es zum Duell zweier Sturköpfe, die lieber mit der Brechstange hantieren als zum Telefonhörer zu greifen.
Carles Puigdemont, der Präsident von Katalonien, will die Unabhängigkeit seiner Region um jeden Preis durchboxen. Dass nur 43 Prozent der Katalanen an dem Referendum am 1. Oktober teilgenommen haben und die demokratische Legitimationsbasis somit eher dünn ist, kümmert ihn wenig. Ganz abgesehen davon, dass einseitige Volksabstimmungen nach vorherrschender Rechtsprechung nur bei eklatanter Unterdrückung erlaubt sind, was auf Spanien nicht zutrifft. Der Regierungschef des Landes, Mariano Rajoy, versteift sich hingegen auf puren Legalismus: Das Vorgehen der katalanischen Separatisten sei ein Verstoß gegen die Verfassung. Der völlig überzogene Einsatz von spanischen Polizeieinheiten am Tag des Referendums zeugt allerdings von fehlendem Fingerspitzengefühl.
Sowohl Puigdemont als Rajoy treten Bismarcks Prinzipien mit Füßen – der eine mit einer maßlosen Konfrontationsstrategie gegen Madrid, der andere mit einer Politik der eisernen Faust. Dennoch gilt: Die Unabhängigkeit Kataloniens wäre ein fatales Signal. Regionen wie Korsika, Flandern oder Venetien könnten plötzlich ebenfalls ihr Heil in der Abspaltung suchen. Doch in einer global vernetzten Welt stehen die Zeichen auf Bündelung der Kräfte und mehr Zusammenarbeit, nicht auf Kleinstaaterei. Es macht keinen Sinn, die ohnehin höchst komplexe Europäische Union um einige Zwergländer zu erweitern.
Mit seiner Bulldozer-Politik trägt Rajoy indessen Mitverantwortung am Widerstand der Katalanen. Deren regionale Identität mit eigener Sprache ist über Jahrhunderte gewachsen. Sie haben zwar beträchtliche Kompetenzen im Bereich der Kultur und verfügen auch über eine eigene Polizei. Gleichwohl ist das Gefühl verbreitet, vom spanischen Zentralstaat diskriminiert und finanziell untergebuttert zu werden. Die wohlhabende Region zahlt immerhin pro Jahr zehn bis 16 Milliarden Euro mehr nach Madrid, als sie zurückbekommt.
Als Schlüsselerlebnis gilt vielen Katalanen das Jahr 2010. Damals kippte das spanische Verfassungsgericht ein weitgehendes Autonomiestatut, das zuvor per Referendum in Katalonien und selbst von der großen Mehrheit im nationalen Parlament in Madrid gebilligt worden war. Initiator der Verfassungsklage war Rajoy, seinerzeit noch Chef der Opposition. Das Problem: Der Premier verbarrikadiert sich hinter einer formaljuristischen Position und zeigt null Flexibilität. Er beruft sich auf Artikel 155 der spanischen Verfassung, der es der Zentralregierung erlaubt, eine unbotmäßige Region unter Zwangsverwaltung zu stellen. Rajoy sitzt dem Irrtum auf, dass sich die aufgestaute Unzufriedenheit in Katalonien mit Paragrafenreiterei in Zaum halten ließe.
Der Konflikt kann jedoch nur politisch gelöst werden. In Deutschland gibt es zwar keine Bestrebungen des Separatismus. Aber der Streit ums Geld wird mit harten Bandagen ausgetragen – bis hin zur Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. So drohten reiche Bundesländer wie Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen jahrelang, aus dem Länderfinanzausgleich auszusteigen, der „Armenhäuser“ wie Berlin, das Saarland oder Bremen bevorzuge. Am Ende rang sich der Bund zu einem Kompromiss durch und machte deutlich mehr Mittel für die Länder locker.
Auf Katalonien übertragen heißt das Rezept: Rajoy muss Katalonien ein Angebot machen. Mehr Autonomie, mehr Anteil am Steueraufkommen wären ein Weg. Wenn es Madrid nicht alleine schafft, sollte die EU helfend eingreifen. Es kann nicht sein, dass Europa – das sich so viel auf seine eigene Rechtsstaatlichkeit einbildet – nicht einmal eine Krise vor der eigenen Haustür in den Griff kriegt.