Unverschämtheit, wenn Wandern in der Natur „Eintritt“ kostet
Einst beschrieb Heinrich Heine, wie er in Berlin auf einer Straße flanierte. Es war der Prachtboulevard Unter den Linden. In einem seiner Reisebilder formulierte er: „Ja, Freund, hier unter den Linden kannst Du Dein Herz erbauen.“ Heute würde Heine angesichts der Strecke vom Brandenburger Tor bis zum Dom gewiss erschrecken. Da wird kein Herz erbaut, sondern gebuddelt, gehämmert und gesägt. Da lässt sich nicht mehr lustwandeln, sondern nur noch flüchten.
Die Berliner müssen unbedingt noch eine U-Bahn bis zum Alexanderplatz haben. An vielen Stellen wird die Hauptstadt verschandelt. Der Potsdamer Platz mit seinen düsteren Büro-Häusern ist architektonisch ein Attentat auf die Augen – genauso wie die aggressive Werbung. An historischen Gebäuden hängen überdimensionale Plakate, die dem vorbeihastenden Touristen einbläuen, er müsse unbedingt irgendein Gedöns kaufen.
Wem gehört eigentlich die Welt? Auf der Flucht vor den Absperrungen wegen Partymeilen, dem grellen Werbegeflunker der Friedrichsstraße lassen sich noch hübsche Stellen finden, zum Beispiel an der Havel oder jenseits von Potsdam. Wer sich wie ein freier Bürger bewegen will, sollte es vielleicht so machen wie eingeborene Berliner.
Gerne fährt der Berliner als solcher ja in den Süden, was schon in dem Singspiel „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee“ ein Thema ist. Wer sich im Süden erholen will, kann inzwischen aber auch Pech haben. In Garmisch-Partenkirchen hatten sie sich Gedanken gemacht, wie sie den Durchgang durch die Partnachklamm sperren können. Gäste zu ärgern muss viel Freude bereiten.
Wer als Bergsteiger Richtung Zugspitze losstiefeln will, muss bis 8 Uhr morgens warten und spätestens um 19 Uhr zurück sein. Die Markgemeinde teilte mit, dass der Durchgang an den 80 Meter hohen Wänden zwecks Unfallverhütung nur zu bestimmten Zeiten möglich sei. Wer also auf dem 700 Meter langen Weg in der tosenden Gebirgsschlucht schlendern will, braucht für sich keine Verantwortung zu übernehmen. Das macht Garmisch-Partenkirchen, das uns lieber als unmündige Kinder sieht. Die Gemeinde hat mit einer Versicherung ein Geschäft abgeschlossen. Das reicht natürlich nicht, denn für die kurze Strecke werden fünf Euro „Eintritt“ verlangt. Gibt es für das Wort Unverschämtheit eine Steigerung?
Nachdem wir Berlin entkommen waren, nutzten wir noch mautfreie Autobahnen. Uns zog es keinesfalls zu bayrischen Abzockern, sondern wieder nach Saarbrücken. Dort können wir für besagte fünf Euro wenigstens knapp drei Stunden in einem Parkhaus das Auto abstellen. Wenn es in der saarländischen Landeshauptstadt aber so weitergeht wie bisher, lassen wir den Wagen einfach auf einer Straße stehen. Mitten in der City gibt es eine Brücke, die abgesperrt wurde, weil dort während der Hauptverkehrszeit eine Rallye mit tollen Autos gestartet werden musste.
Bevor jetzt ein Automobilclub oder Motorsportfreunde Leserbriefe schreiben: Wir haben nichts gegen solche Rallyes, wirklich nicht. Paris-Dakar ist ganz nett. Die Bilder von diesen Rennen sind auch ganz aufregend, wenn die Leute, die sonst nichts zu tun haben, mit Krawumm durch die Wüste fahren.
Nachdem wir alle Blockaden umfahren hatten, konnten wir uns zu Hause erholen und die neuesten Nachrichten checken. Im Rheinland wurde gegen den Braunkohlenbergbau demonstriert. Dort hatten sie – wie in Brandenburg – ganze Dörfer und damit soziale Strukturen verschwinden lassen, um Milliarden-Gewinne zu machen. Bei all dem Ärger mussten wir auf dem Balkon erst einmal tief durchatmen und schauten dabei den in Diesel-Fahrzeugen heimkommenden Nachbarn zu.
Uns war so schlecht, dass wir erst einmal ein Glas Wasser trinken mussten. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Wasser auch privatisiert wird – wie in Dritte-Welt-Ländern, wo globale Player ganze Länder vernichten. Wenn es bei uns soweit ist, werden wir am Computer Petitionen unterschreiben, bevor wir draußen demonstrieren und dann wieder Straßen abgesperrt werden. Das ist dann die Revolution der Entrechteten.