Dass der bedeutende deutsche Schriftsteller Hermann Hesse auch Maler war, wissen die wenigsten. Er unternahm mit Sohn Bruno, der Kunst studierte, oft Malausflüge. Simon Hesse, Enkel von Hermann und Sohn von Bruno Hesse, hat Aquarelle zusammengetragen, die im Merziger Museum Schloss Fellenberg zu sehen sind.
Herr Hesse, wie erinnern Sie sich an Ihren Großvater?
Ich habe ihn selten getroffen, Erinnerungen habe ich eigentlich keine. Ich besitze Fotografien von zwei Besuchen, die wir als Familie in Montagnola im Tessin machten, und von zwei Besuchen meines Großvaters bei uns in Spych.
Ihr Großvater, Nachkomme evangelischer Indienmissionare in Calw, war vom Pietismus sowie vom Baltentum des Vaters geprägt, Enkel eines von Lübeck nach Estland ausgewanderten Kaufmanns, der im Russischen Zarenreich wohnte. Hat ihn die Haltung der Eltern belastet?
Der engstirnige Pietismus hat ihn sehr belastet, ein Leben lang. Er sollte Theologe werden, wusste aber schon mit 13 Jahren, dass er „Dichter oder gar nichts" werden wollte.
Warum kam er zeitweise in Heilanstalten?
Weil er sich nicht den Eltern beugte. Für sie war es wichtig, den Willen der Kinder zu brechen, um Gott bedingungslos dienen zu können.
Ihr Großvater war mit der Geburt in Calw Baden-Württemberger.
Eben nicht. Er war wie sein Vater russischer Staatsangehöriger und wurde Schweizer, als die Familie 1881 wegen Versetzung von Hermanns Vater an die Missionsschule nach Basel zog. Sechs Jahre später wurde er nach Calw geschickt, um seinen Schwiegervater Hermann Gundert zu unterstützen, der den größten Missionsverlag führte. Hermann musste Württemberger werden, um das Landexamen machen und Theologie studieren zu können.
„Den Willen zu brechen"
Hesse-Kenner wissen, dass er aus dem ehemaligen Kloster Maulbronn flüchtete, wo er auf das Studium in Tübingen vorbereitet wurde. Der gefürchtete Großvater empfing ihn mit den Worten: „Ich hab gehört, du habest ein Geniereisle gemacht."
1904 ließ er sich als freier Schriftsteller nieder. Konnte er von seinen Büchern leben?
Ja, er gab seine Stelle in Basel auf. Nach dem Abitur hatte er eine Lehre als Buchhändler gemacht. Danach schrieb er „Peter Camenzind", womit er den Durchbruch erzielte. Er heiratete die Fotografin Maria Bernoulli und zog mit ihr nach Gaienhofen am Bodensee, wo Bruno geboren wurde, dann Heiner und Martin.
Warum ging er 1912 zurück in die Schweiz?
Die Kinder sollten gute Schulen in Bern besuchen. Weitere Gründe waren wohl, dass seine Frau zurück wollte und beide des Landlebens müde waren.
Ihr Großvater hat auch unter dem Pseudonym „Emil Sinclair" geschrieben.
Ja, er hatte während des Ersten Weltkriegs Appelle gegen den Krieg verfasst und galt in Deutschland als Vaterlandsverräter und Nestbeschmutzer. Das zwang ihn, Artikel unter Pseudonym zu schreiben,
unter dem er 1919 auch den Roman „Demian" veröffentlichte.
Hermann Hesse hat mehr als 40.000 Briefe geschrieben, an Freunde und Leser in aller Welt. Was ist der Tenor dieser Briefwechsel?
Er wurde in allen Lebenslagen um Rat gefragt und fühlte sich verpflichtet, zu antworten.
Hat Ihr Großvater Freundschaften gepflegt?
Wenn Sie Freundschaften in Anführungszeichen setzen, ja. Er stand mit vielen Kollegen im Briefwechsel, blieb meist beim Sie. Auch mit Musikern und Malern war er befreundet. Zu den engsten gehörte der Komponist Othmar Schoeck, der viele seiner Gedichte vertont hat.
Ihr Vater war der älteste Sohn von Hermann Hesse und seiner ersten Frau. Nach ihrer Trennung kam Bruno als 14-Jähriger zum Maler Cuno Amiet, der ihn stark beeinflusste. Warum konnte er nicht bei einem Elternteil bleiben? Hat er darunter gelitten?
Mia musste nach 1918 immer wieder in Nervenkliniken, und Hermann hatte nach den verzehrenden Kriegsjahren wieder die Freiheit, seine Dichtung zu leben. Die Kinder hätten ihn gestört. Gelitten hat Bruno zwischen 1918 und 1920, als er an verschiedenen Orten untergebracht worden war. Bei Amiets fand er eine Heimat. Doch seinen Eltern blieb er sein Leben lang verbunden. Er war so oft wie möglich bei der Mutter in Ascona und beim Vater in Montagnola.
Das Vater-Sohn-Verhältnis muss eng gewesen sein, denn sie haben oft gemeinsam gemalt. Worin unterscheidet sich ihre Malerei?
Die innige Beziehung wird deutlich im Briefwechsel. Ihre Auffassung von der Malerei drückt am besten ein Zitat aus einem Brief von Hermann an Bruno aus dem Jahr 1926 aus: „Wenn Du mit mir im Tessin malst, und wir beide das gleiche Motiv malen, so malt jeder von uns nicht so sehr das Stückchen Landschaft, als vielmehr seine eigene Liebe zur Natur, und vor dem gleichen Motiv macht jeder etwas Anderes, etwas Einmaliges."
Innige Beziehung im Briefwechsel
Hermann war der Zusammenklang der Farben wichtig, Bruno malte naturalistischer, weil er in seinem bäuerlichen Wohnort Spych vor allem Landleute als Kundschaft hatte. Er musste ja mit seiner Kunst die Familie ernähren.
War Ihr Vater Bruno seinem Vater ähnlich?
In Vielem: in der Sparsamkeit und Bescheidenheit – und in seiner Freude an der Kunst. Aber er hatte nicht das Selbstwertgefühl und den Eigensinn seines Vaters. Im Gegensatz zu Hermann wuchs er im Schatten zweier Überväter auf: des Nobelpreisträgers Hermann Hesse und des in der Schweiz berühmten Cuno Amiet. Er hatte auch Züge seiner Mutter: die körperliche Robustheit, aber auch die schwachen Nerven.
Hermann Hesse soll auch sehr musikalisch gewesen sein, spielte Geige. Was haben Sie von ihm geerbt?
Ich höre sehr gerne ernsthafte Musik, Klassik und kammermusikalischen Jazz.
Wenn Sie Ihren Großvater noch etwas fragen könnten, was wäre das?
Wie weit hast du deine pietistische Erziehung überwinden können? Wie glücklich und zufrieden warst du mit deinem Leben? Und was denkst du nach deinem Tod von deinen Söhnen und Enkeln?