In schwieriger Situation holte Hertha BSC vor der Länderspielpause ein 2:2-Unentschieden gegen den FC Bayern und geht dadurch mit Rückenwind ins Heimspiel gegen Schalke 04.
Der Fußball im Allgemeinen und Hertha BSC im Speziellen bleiben schwer berechenbar – und in diesem Fall war das, um es mit einem ehemaligen Bürgermeister Berlins zu sagen, auch gut so. Zweimal hatten die Blau-Weißen einen 0:1-Rückstand zuvor nicht mehr ausgleichen, geschweige denn drehen können. In den Spielen bei Mainz 05 (Bundesliga) und Östersunds FK (Europa League) fiel das Gegentor jeweils per Elfmeter. Im Anschluss konnte die Mannschaft von Pal Dardai nur noch wenig Torgefahr kreieren. Besonders frustrierend beim Gastspiel in Schweden: In der Anfangsphase hatte man das Spiel dominiert und mehrere Riesenchancen ungenutzt gelassen.
An besonderen Tagen nicht auf der Höhe
Doch nach dem Führungstor für Östersund blieben die Berliner über 70 Minuten trotz viel Ballbesitz weitgehend harmlos. Eine Enttäuschung für Mannschaft und Fans, vor allem die mitgereisten. Was also sollte noch geschehen am vorvergangenen Sonnabend, als niemand Geringeres als der FC Bayern München seine Führung im Berliner Olympiastadion kurz nach der Pause durch Robert Lewandowski auf 2:0 ausbaute? Just nachdem Trainer Dardai seine Schützlinge in der Kabine eingeschworen hatte, über mehr Zweikampfstärke ins Spiel zu kommen. Das Heimspiel gegen den Rekordmeister schien entschieden.
Manchem Fan mag es in den Ohren gedröhnt haben, als der Hertha-Coach nach der Niederlage in Schweden am Donnerstag zuvor zum wiederholten Male davon sprach, man müsse das Ergebnis und den (unglücklichen) Spielverlauf akzeptieren und weiterarbeiten. Eine Niederlage – in Östersund: Das reihte sich für viele Hertha-Anhänger in die leidvolle Historie der deprimierenden Ergebnisse gerade im internationalen Geschäft ein. Die Auffassung, dass Hertha BSC an den „besonderen Tagen“, die der Europapokal auch immer mit sich bringt nicht auf der Höhe ist, hat sich in diesem Jahrtausend eben nicht umsonst in den Köpfen der Fans festgesetzt.
Pal Dardai beharrte aber auf der Pressekonferenz nicht nur auf seiner Sicht, kein schlechtes Europa-League-Spiel seiner Mannschaft gesehen zu haben, sondern betonte ausdrücklich: „Ich mache erst Hektik, wenn die Mannschaft nicht funktioniert, aber das ist nicht der Fall.“ Eine Aussage, die zwar nicht nur beruhigte. Wie sehr kann eine Mannschaft funktionieren, die bei einem bescheidenen Club wie Östersunds FK verliert? Allerdings waren auch mehrere Stammspieler zur Regeneration in Berlin geblieben – und man muss dem ungarischen Trainer natürlich zugutehalten, dass er näher als alle anderen an seinem Team ist.
Aber die Fans, die in Internetforen etwa „biederen Ballbesitzfußball“ kritisierten, brauchten jetzt einfach einen Beweis von der Mannschaft, dass Dardai die Situation nicht bloß zu beruhigen versucht. Und sie sollten ihn bekommen, denn nur kurz nach dem 0:2 hatte Hertha BSC die Partie gegen die Bayern ausgeglichen. Fast 300 Minuten musste der blau-weiße Anhang auf ein Pflichtspieltor seines Teams warten, dann aber traf es richtig.
Genki Haraguchi leitete den Anschlusstreffer ein, indem er durch die Bayern-Defensive kurvte: Vier Spielern des Rekordmeisters ließ er das Nachsehen, bevor er zur Krönung das richtige Auge bewies. Ondrej Duda bekam das Zuspiel des Japaners, das er nur noch zum 1:2 verwerten musste. „Weltklasse“ nannte Dardai das Haraguchi-Solo, denn der Coach streicht gerne öffentlich Positives besonders heraus, um seine Spieler buchstäblich starkzureden. Doch so grotesk es klingen mag: Die Defensive von Mainz oder Östersund hätte ein solches Dribbling wohl zu verhindern gewusst. Der sich in einer unruhigen Situation befindende und natürlich offensiver ausgerichtete FC Bayern ließ es dagegen zu.
Die Mannschaft ist intakt – braucht aber mehr Torgefahr
Auf einmal war es wieder da, das Selbstvertrauen und die Gewissheit, dass es gegen die Münchner ja eigentlich nichts zu verlieren gibt. Und als Salomon Kalou in der 55. Minute einen Stellungsfehler der Bayern-Abwehr nach einem Freistoß von Marvin Plattenhardt zum 2:2 nutzte, hatte Hertha BSC das Kunststück fertiggebracht, sich mit den Fans, – und ein wenig auch mit sich selbst –, innerhalb von fünf Minuten wieder versöhnt zu haben. Kein Gegner eignet sich dafür so sehr wie die Münchner. Ein Unentschieden, obendrein nach Zwei-Tore-Rückstand, erscheint da wie ein Sieg. Es verschafft das willkommene, positive Gefühl für die Ligapause durch die Qualifikation für die WM 2018.
Quintessenz: Die Mannschaft ist intakt – braucht aber insgesamt mehr Torgefahr und speziell mehr Effizienz bei Rückständen gegen defensiv ausgerichtete Gegner. Pal Dardai wird, was den Abschluss betrifft, weiterhin mehr Spieler in die Pflicht nehmen. Ein Fingerzeig: das Anschlusstor gegen Bayern. Haraguchi war das letzte Mal vor acht Monaten an einem Tor der Berliner beteiligt. Duda brauchte bei seinem Premierentor für die Berliner zwar nur noch den Fuß hinzuhalten – dass er aber auf dem Platz steht und dazu an der richtigen Stelle, ist Zeichen seines Aufwärtstrends.
Schließlich kam der 22-Jährige vergangene Saison wegen einer Verletzung überhaupt nicht auf die Beine. Jetzt steht er immerhin in der Startelf, komplette 90 Minuten für Hertha durchgespielt hat er erstmals in der Europa League gegen Athletic Bilbao – in seinem zweiten Jahr an der Spree. Keine Frage also: Duda ist noch nicht bei 100 Prozent. Was im Umkehrschluss aber auch heißt: Von ihm ist noch mehr zu erwarten.
Bei Haraguchi liegt der Fall da etwas anders: Bei einem passenden Angebot wäre der Japaner wohl schon in diesem Sommer gewechselt. Nach dem vorerst geplatzten Traum von der englischen Premier League meldete sich der 26-Jährige aber leistungsmäßig zurück und spielte gegen Bayern erstmals 2017/18 von Beginn an. Nicht zu Unrecht aber wird Trainer Dardai jetzt vom Japaner, gerade nach dem tollen Assist, konstant mehr Torgefahr einfordern. Seine Einsatzzeiten wird er bekommen. Sollte Haraguchi aber wieder der mangelnden Effektivität verfallen, könnte der Verein einen Wechsel schon im Winter vorantreiben.
In jedem Fall aber gilt es an diesem Samstag, 14. Oktober, im Heimspiel gegen den FC Schalke 04 um 15.30 Uhr weitere positive Taten folgen zu lassen. Zu Hause ist Hertha schon wieder auf dem Weg zu einer Macht: Sieben der acht Zähler in dieser Saison holte man im Olympiastadion. Dazu liegen die „Knappen“ Hertha und dem Trainer Dardai: Von drei Partien zu Hause unter der Regie des Ungarn ging keine verloren. Zuletzt gab es zwei 2:0-Erfolge zu feiern – inklusive überzeugender Leistungen. Schließlich gelten ab sofort auch wieder nur drei Punkte als Sieg.