Dass Jupp Heynckes vier Jahre nach seinem Karriere-ende noch einmal den FC Bayern übernimmt, war für viele eine Überraschung. Doch der 72-Jährige ist mehr als ein Platzhalter für Julian Nagelsmann. Er soll auch die beiden Macher Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge einen.
Am Anfang schien es für manche ein Witz. Wenn der FC Bayern jetzt, mitten und sogar so früh in der Saison, keinen idealen Trainer findet, dann wird Uli Hoeneß wahrscheinlich wieder in Schwalmtal am Niederrhein anrufen. Dort wohnt schließlich sein Freund Jupp Heynckes, schon dreimal in seinem Leben Trainer des FC Bayern und inzwischen im wohlverdienten Ruhestand. Nein, das sei absurd, meinten sofort andere. Der FCB hole keinen 72-Jährigen, der seit vier Jahren aus dem Geschäft ist. Und Heynckes werde nicht ernsthaft seinen Ruhestand auf seinem Hof aufgeben und beim FC Bayern seinen Heiligenschein gefährden. Denn schließlich hatte er dort seine Karriere als Trainer auf dem ultimativen Höhepunkt beendet: mit dem Triple. Einem Triumph, der Nachfolger Pep Guardiola danach ständig vorgehalten wurde und die Arbeit erschwerte. Eigentlich Genugtuung für Heynckes, der in seiner ersten Amtszeit bei den Bayern (1987-91) in der vierten Saison ähnlich früh wie nun Ancelotti entlassen wurde. Der in Deutschland danach dreimal in Folge scheiterte und der wohl schon ein bisschen verärgert war, dass sie sich beim FC Bayern frühzeitig dazu entschieden hatten, ihn im Sommer 2013 zu ersetzen und den geplanten Neuaufbau Pep Guardiola anzuvertrauen.
Karriere auf dem Höhepunkt beendet
Doch genau Letzteres war vielleicht ein Argument dafür, dass sich Heynckes doch nochmal ein Dreivierteljahr FC Bayern antut. Dass er zeigen will, dass der Heynckes des Triples der wahre war und der Erfolg kein Zufall. Und vielleicht will er es auch noch ein wenig genießen, dass sie ihn nun alle so schätzen und vor allem auch mögen. Denn viele Jahre lang – eben auch geprägt durch die unglücklichen drei Amtszeiten in Frankfurt, Mönchengladbach und auf Schalke – wurde der in Spanien verehrte „Don Jupp“ in seiner Heimat durchaus kritisch gesehen. Er galt als verbissen, verkrampft, verkopft. Seine erste Bayern-Hilfsaktion 2009 nach der Entlassung von Jürgen Klinsmann änderte dieses öffentliche Bild. Heynckes konnte lachen. Er konnte selbstkritisch sein. Und er ging auf Spieler, Fans und Medien zu. Alle, die in der kurzen Phase 2009, zwischen 2011 und 2013 oder auch dazwischen bei Bayer Leverkusen mit Heynckes arbeiteten, schwärmten regelrecht von ihm und seiner Arbeit. Wenn Heynckes sich also nun, vier Jahre danach, für eine schwierige Aufgabe aus dem wohlverdienten und sicher wohl genossenen Ruhestand locken lässt, dann wohl deshalb, weil er es genießt, geschätzt und gebraucht zu werden. Und weil er zu vielen Spielern von damals – von Manuel Neuer über Jérôme Boateng bis zum für Trainer oft extrem schwierigen Franck Ribéry – so enge persönliche Verhältnisse aufgebaut hat, dass er sie nicht im Stich lassen möchte.
Bleibt die Frage: Wieso holen die Bayern Jupp Heynckes? Diese ist sicher noch einfacher zu beantworten. Erstens und zuvorderst sicher deswegen, weil zum derzeitigen Zeitpunkt keine ideale Dauerlösung zu bekommen war. Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann sind augenscheinlich die absoluten Wunschkandidaten. Doch während Klopp in Liverpool auf absehbare Zeit nicht frei wird, wird es Nagelsmann sicher nicht vor Sommer. Außerdem wäre es trotz des Hypes um Nagelsmann ein Trainer-Transfer, der genau beäugt würde: Kann ein 30-Jähriger diesen FC Bayern schaffen, bei dem gerade ein Gentleman und Welttrainer wie Carlo Ancelotti zum ersten Mal in seiner langen Karriere vorzeitig entlassen wurde? Wenn Nagelsmann den FC Bayern übernimmt, muss er die Chance haben, Einfluss auf die Kader-Gestaltung zu nehmen und mit seinen Spielern eine gesamte Vorbereitung haben. Bei einem Einstieg in der Saison könnte er verheizt werden.
Die Bayern mussten also Zeit gewinnen. Doch unter Interimstrainer Willy Sagnol verspielte das Team bei Hertha BSC einen 2:0-Vorsprung. Über Mehmet Scholl wurde als Übergangslösung bis zum Saisonende wohl kurz gesprochen, doch angeblich wurde er nie kontaktiert. Blieben Ottmar Hitzfeld, der eine Rückkehr auf die Trainerbank nach seinem Karriereende 2014 stets rigoros ausschloss, und eben Heynckes.
Letzterem wird noch eine ganz andere Rolle zugetraut. Denn ein großes Problem des Vereins in der jüngeren Vergangenheit war nach Meinung aller Beobachter das gestörte Verhältnis zwischen Präsident Uli Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Vor Hoeneß Haftstrafe war das Verhältnis zwischen den beiden Alphatieren relativ deutlich geklärt. Als Hoeneß weg war, emanzipierte sich Rummenigge und gewann als Vorsitzender der europäischen Clubvereinigung ECA und intern immer mehr Profil und wollte sich offenbar nicht mehr unterordnen, nachdem Hoeneß zurück war. Vor allem aber haben die beiden augenscheinlich unterschiedliche Meinungen über die Ausrichtung des Vereins. Vereinfacht gesagt: Rummenigge will den Verein stets modernisieren. Hoeneß will vor allem jene Werte hochhalten, die einst zum beispiellosen Aufstieg in seiner Zeit als Manager geführt hatten.
„In der langen Zeit, in der ich weg war, entwickelten sich die Dinge in eine andere Richtung. Da gibt es gewisse Begehrlichkeiten. Das ist völlig normal“, sagte Hoeneß zu Saisonbeginn bei Eurosport. Und erklärte zu seinem Verhältnis zu Rummenigge: „Ich habe immer gesagt, wir waren und sind Freunde. Aber in dieser Zeit – das ist, wie wenn so eine Scheidung war. Dann musst du wieder zusammenkommen. Dieser Prozess findet jetzt gerade statt.“ Rummenigge antwortete auf den „Scheidungs“-Vergleich angesprochen noch vielsagender: „Wir haben noch nicht wieder geheiratet!“
Wie verhärtet die Fronten und wie unterschiedlich die Vorstellungen sind, lässt sich an den zuletzt häufigen konträren Aussagen der beiden erkennen. Als Hoeneß am 30. Mai erklärte, ein Titel sei „auf die Dauer ein bisschen wenig für uns“, antwortete Rummenigge postwendend: „Auch Uli Hoeneß hat Jahre erlebt, wo wir titellos waren. Deutscher Meister ist ein toller Titel.“ Als Robert Lewandowski Anfang September die Transferpolitik des Vereins kritisierte, mahnte Rummenigge: „Wer öffentlich den Trainer, den Verein oder die Mitspieler kritisiert, kriegt ab sofort Stress mit mir persönlich.“ Worauf Hoeneß wenige Stunden später entgegnete: „Mir gefällt es nicht, dass man bei uns jedes Wort auf die Goldwaage legt, auch intern. Da müssen wir wieder lockerer werden.“ Natürlich wussten die beiden Medienprofis Rummenigge und Hoeneß genau, dass diese Aussagen als Zeichen für interne Querelen ausgelegt werden würden. Doch offenbar war es ihnen ein Anliegen, ihre Meinung öffentlich klarzumachen – und dem jeweils anderen dabei auch noch eine Spitze mitzugeben.
Ein Titel „auf die Dauer ein bisschen wenig für uns“
Das Verhältnis zwischen den beiden Gesichtern des FC Bayern ist nach Meinung des früheren Bayern-Profis und heutigen Sky-Experten Dietmar Hamann so angespannt, dass eine fruchtbare Zusammenarbeit schwer wird. „Wenn sie sich nicht wieder annähern und mit einer Stimme sprechen können, dann wird es über kurz oder lang nur so gehen, dass nur einer über bleibt“, sagte er.
Auch in Sachen Personal herrschte zwischen Hoeneß und Rummenigge zuletzt selten Einigkeit. Und auch hier kam dies, wenn auch nicht durch öffentliche Aussagen eindeutig gestützt, heraus. Hoeneß soll klar den Gladbacher Manager Max Eberl als Sportdirektor präferiert haben, Karl-Heinz Rummenigge dagegen den im Sommer zurückgetretenen Bayern-Kapitän Philipp Lahm. Am Ende waren beide nicht für den Posten zu begeistern. Weil sie wohl spürten, von mindestens einem der beiden Macher nicht gewollt zu sein. Man einigte sich auf Hasan Salihamidzic. Und verband mit dem sympathischen „Brazzo“ („Bürschchen“) die Hoffnung, er könne die beiden einen. Doch Salihamidzic war in den ersten Wochen nach seinem Amtsantritt offenbar so sehr damit beschäftigt zu vermitteln, zu einen und bloß nichts zu sagen, was ihn in den Verdacht brächte, sich auf eine der beiden Seiten zu schlagen, dass er ausgerechnet seine größten Vorzüge neben seinem Fleiß und Ehrgeiz nicht mehr ausspielen konnte: seine erfrischende Offenheit und seinen lausbübischen Charme.
Salihamidzic konnte diese Aufgabe nicht bewältigen und verlor dabei seine eigentlichen Aufgaben aus dem Auge. Auch deshalb könnte Heynckes nun eine ideale Lösung sein. Weil sich Hoeneß und Rummenigge auf ihn verständigen können. Und weil Heynckes es schaffen kann, die beiden zu einen. Damit er Nagelsmann im Sommer nicht nur eine funktionierende Mannschaft übergeben kann, sondern auch einen in sich geschlossenen Verein.