Der 1. FC Kaiserslautern steckt schon wieder dort fest, wo er eigentlich nie mehr hin wollte – im Abstiegskampf der Zweiten Liga. Unter dem neuen Trainer Jeff Strasser gelang mit einem 3:0 gegen Greuther Fürth der erste Saisonsieg. Doch was für eine Perspektive haben Mannschaft und Club nach dem neuerlichen Fehlstart?
Es war ein Bild, das symbolträchtiger überhaupt nicht hätte sein können. Als Stürmer Sebastian Andersson gegen Fürth seinen Doppelpack zum 2:0 schnürte – später wurde daraus mit drei Toren innerhalb von neun Minuten sogar noch der zwölftschnellste Hattrick der Zweitliga-Geschichte –, hielt Lauterns Torwarttrainer Gerry Ehrmann nichts mehr auf der Reservebank. Die Legende der Pfälzer legte mit seinen 58 Jahren in den maßgeschneiderten kurzen Hosen einen Sprint hin, der sich gewaschen hat, stürmte über den halben Platz und feierte mit Spielern und Fans vor der Westkurve ausgelassen den ersten Triumph der „Roten Teufel“ in dieser Zweitliga-Saison. Der Betzenberg im „Hexenkessel-Modus“ – endlich mal wieder! Die Last, die Fans und Verantwortlichen nach den schweren letzten Wochen von der Seele gefallen ist, muss riesengroß gewesen sein. Endlich hat sich die Mannschaft gegen alle Widerstände gewehrt, sie hat als Einheit funktioniert und das zuletzt fehlende Glück mit Einsatz, Leidenschaft und Unnachgiebigkeit erzwungen – und das, nachdem der Verein nur wenige Tage zum wiederholten Male an einem absoluten Nullpunkt angekommen zu sein schien: Minuskulisse von 16.613 Zuschauern in einem Zweitliga-Spiel auf dem Betzenberg beim 0:2 gegen Erzgebirge Aue, die fast schon zwingende Entlassung von Trainer Norbert Meier und anschließend der Untergang mit den Interimscoaches Manfred Paula und Alexander Bugera beim 0:5 bei Union Berlin. Nach dem mühsamen Klassenerhalt im Frühjahr fand sich der FCK erneut auf der sportlichen Intensivstation wieder. Dass der riesige Umbruch der Mannschaft im Sommer mit 40 Zu- und Abgängen zwar sportlich alternativlos war und hohe Risiken mit sich bringt, versteht sich von selbst und war in gewisser Weise einkalkuliert. Große finanzielle Sprünge waren in den letzten Jahren ohnehin nie möglich. Allerdings hat man sich im Verein auch mal wieder das Leben selbst schwergemacht. Die plötzliche Flucht von Sportdirektor Uwe Stöver nach nur sechs Monaten Amtszeit ist dabei sicher nur der Gipfel des Eisberges. Sportdirektor Boris Notzon muss zugutegehalten werden, dass er den unausweichlichen Umbruch mit eigenen Ideen und Personalien weiter vorantrieb. Allerdings ist die Mannschaft – wie von Norbert Meier gar nicht einmal zu Unrecht reklamiert – noch immer dabei sich zu finden und die Abstimmung zu optimieren. Wie viel Qualität in dieser Truppe steckt, lässt sich wohl frühestens im Winter seriös beurteilen. Und wenn auf so einem steinigen Weg im Profi-Fußball die Ergebnisse komplett auf der Strecke bleiben – Kaiserslautern legte mit zwei Punkten aus acht Spielen den schlechtesten Start seiner Zweitliga-Geschichte hin – dann kann sich innerhalb von wenigen Wochen schon mal ein Dreijahresplan eines Sportdirektors in Wohlgefallen auflösen. Was bei den Fans in so einer Situation zurückbleibt ist eine Mischung aus Trauer, Wut, Panik und Existenzangst.
Trauer, Wut, Panik und Existenzangst
Kein Wunder also, dass im emotionalen Umfeld des FCK schon wieder das Horror-Szenario des Abstiegs in die Drittklassigkeit aufgezeigt wurde. Dass damit auch das traditionsreiche Fritz-Walter-Stadion von der Bildfläche verschwinden könnte, schien bisher niemand wahrhaben zu wollen. Zwar ist die zur Weltmeisterschaft 2006 aufwendig modernisierte Arena seit Jahren für Verein und Stadt ein finanzielles Fass ohne Boden, aber das Stadion, benannt nach dem Mannschaftsführer der Weltmeister von 1954, einfach abreißen und damit ein Denkmal vernichten? Undenkbar! Zumindest bis vor einigen Tagen. Schon im Frühjahr standen die Pfälzer am Abgrund zu Liga drei und wollten die jährliche Stadionpacht bei der Stadt im Falle eines Abstiegs von 2,4 Millionen auf 675.000 Euro zurückfahren. Ein nachvollziehbarer Antrag, der letztlich vertagt und aufgrund des Klassenerhalts auch nicht weiter diskutiert wurde, allerdings auch ein Ansinnen ohne jegliche wirtschaftliche Basis. Schon die ursprüngliche Summe reicht nämlich nicht mal aus, um die jährliche Zinsbelastung des Kredits über 65 Millionen Euro in Höhe von 2,9 Millionen Euro zu decken. Ergo: Schon jetzt ist der Betzenberg für die Stadt Kaiserslautern ein Millionengrab – und könnte die Stadt in der Dritten Liga endgültig in den Ruin treiben. Nun fordert die CDU-Fraktion im Lauterer Stadtrat in einem Antrag mit dem Titel „Zukunft des Fritz-Walter-Stadions und der umliegenden Grundstücke“ bis Anfang November ein Konzept, „welches den langfristigen Erhalt des Spielbetriebs des 1. FC Kaiserslautern in allen Ligen im Fritz-Walter-Stadion sichert“. Dabei wird auch eine alternative Nutzung des Areals am Betzenberg durch Wohnbebauung nicht ausgeschlossen. Erstmals steht somit tatsächlich der Abriss der Kultstätte auf Deutschlands berühmtesten Fußballberg zur Disposition. Ein trauriges Resultat der eklatanten Misswirtschaft des Vereins im zurückliegenden Jahrzehnt. Schließlich hängt besagtes Konzept in allererster Linie an der sportlichen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Traditionsvereins. Konstanz, Stabilität und Planbarkeit wären in diesem Zusammenhang die Schlagworte, die es mit Leben zu füllen gilt – doch im Zusammenhang mit dem 1. FC Kaiserslautern erscheinen sie mit Blick auf die unheilvolle Geschichte der letzten Jahre und Monate fast wie Fremdworte. So blieben mit Konrad Fünfstück, Tayfun Korkut und Norbert Meier drei Trainer nur etwas mehr als ein halbes Jahr im Amt. Ein Hoffnungsschimmer könnte zum einen die Mitgliederversammlung Ende des Jahres, bei der die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung zur Abstimmung steht, bieten. Die Öffnung in Richtung von möglichen Investoren könnte dem Club zumindest rein wirtschaftlich die dringend benötigte Luft zum Atmen geben.
Suche nach einer Stammelf
Bleibt auf der anderen Seite die angespannte sportliche Situation, in der sich der neue Trainer Jeff Strasser bei der Suche nach Kontinuität zu Recht auf die Politik der „kleinen Schritte“ beruft. Schließlich haben eine unangebrachte Euphorie und eine zu hohe Erwartungshaltung den FCK schon viel zu oft an den Rand des Abgrunds geführt. Der Luxemburger, der von 1999 bis 2002 in 98 Pflichtspielen den FCK-Dress trug, taugt dabei durchaus als Symbolfigur für den Umbruch. Gerade in Sachen Einsatz- und Zweikampfbereitschaft lebte er die großen „Betze-Tugenden“ vor, die jetzt wieder beschwört werden und die er seiner Mannschaft einimpfen will. Auch wenn Strasser auf der großen Fußballbühne noch die Erfahrung als Trainer fehlt, ist der Reflex der Verantwortlichen durchaus nachvollziehbar. Schon mit den Verpflichtungen von Marius Müller, Marcel Correia oder Benjamin Kessel holte Sportdirektor Notzon verlorene Söhne zurück an den Betzenberg. Mehr noch als die Aktiven steht nun Strasser dafür, dass der 1. FC Kaiserslautern sich wieder seiner Werte bewusst werden will. Eine Reise zurück zu den Wurzeln, zum „Mythos Betzenberg“. Das bringt den Fans vielleicht den Glauben an die Spieler, hoffentlich die Liebe zum Verein und auch die Hoffnung an eine bessere Zukunft zurück – doch mit der Tradition alleine gewinnt man heute keinen Blumentopf mehr. Damit diese klitzekleine Aufbruchsstimmung auch über einen längeren Zeitraum in Ergebnisse umgemünzt wird, braucht es noch viel mehr. Für Strasser gilt es, das ganze kämpferische, spielerische und taktische Potenzial aus einer Mannschaft herauszuholen, die momentan selbst noch nicht wirklich weiß, wozu sie wirklich in der Lage ist. Dafür müssen vor allem Routiniers wie Kessel, Correia oder Daniel Halfar ihrem Anspruch als Führungsspieler gerecht werden, um im Team eine echte Hierarchie zu etablieren. Hinzu kommt die Hoffnung darauf, nach vielen kleineren Verletzungen und Personalrochaden auf der Suche nach einer Stammelf endlich fündig zu werden. Eine entscheidende Rolle spielt auch das Bewusstsein bei Fans und Verantwortlichen für die Tatsache, dass der Abstiegskampf, in dem der FCK sich in dieser extrem ausgeglichenen Zweiten Liga befindet, durchaus bis zum letzten Spieltag andauern kann. Wenn der Vorstandsvorsitzende Thomas Gries schon jetzt die „Energie des Betzenbergs“ beschwören muss, klingt das bereits nach „Glaube, Liebe, Hoffnung“ und den üblichen Durchhalteparolen, die in schwierigen Zeiten gerne geschwungen werden. Gleichwohl kann man ihm diesen Schachzug kaum verübeln. Schließlich steht zu viel auf dem Spiel. Im ersten Schritt musste nun zunächst mal wieder der Funke von der Mannschaft zu den Fans überspringen. Das gelang, weil sich jeder auf seine Weise eingebracht hat. Auch einer der populärsten Torwarttrainer der Republik mit seinem unnachahmlichen Jubelsprint! Ob diese Szene tatsächlich einen Wendepunkt der Saison des 1. FC Kaiserslautern war, wird sich aber erst noch zeigen.