Kristina Vogel ist die erfolgreichste deutsche Bahnradsportlerin. Eines aber fehlt der Olympiasiegerin und Weltmeisterin noch: ein EM-Titel im Teamsprint. Den will sie in diesem Jahr zusammen mit ihrer Partnerin Miriam Welte bei den Europameisterschaften in Berlin gewinnen.
Kristina Vogel war zwei Mal Olympiasiegerin, neun Mal Weltmeisterin und je einmal Europas Beste im Sprint und im Keirin. Eines aber fehlt der erfolgreichsten deutschen Bahnradsportlerin noch in ihrer Sammlung: Europameisterin im Teamsprint war sie bislang noch nie. Den fehlenden Titel will sie in Berlin gewinnen. Vom 19. bis 22. Oktober wird im Berliner Velodrom die Bahnrad-EM ausgetragen. „Eine EM im eigenen Land gibt es nicht so oft. Da möchte ich mich und den Bahnradsport top präsentieren“, sagt die Erfurterin. „Berlin wäre ein gutes Pflaster, um meine Sammlung zu komplettieren und den fehlenden Titel zu holen.“
„Wir merken das mit dem Hintern“
Kristina Vogel ist das Cover-Girl der Veranstaltung und das größte sportliche Aushängeschild der Gastgeber. Doch der heimliche Star der Europameisterschaften kommt aus Sibirien. Von dort stammt das Fichtenholz, mit dem die Bahn im Velodrom in diesem Sommer für 1,6 Millionen Euro neu verlegt wurde. Auf dem Seeweg war das Holz nach Deutschland gebracht worden, wo es getrocknet, zugeschnitten und zur Verlegung gehobelt wurde. Bereits die alte Piste war aus diesem besonderen Material gewesen – einer der Hauptgründe, weshalb das Velodrom seit dem Bau 1997 als eine der schnellsten Bahnen der Welt gilt.
Kristina Vogel hatte es gleich gespürt, dass die Bahn in Berlin eine besondere ist, als sie das erste Mal dort unterwegs war: „Wir Bahnradfahrer merken das mit dem Hintern, ob eine Bahn schnell ist“, erklärte die Radsportlerin. Auch ihr Nationalmannschaftskollege Robert Förstemann stellte kürzlich bereits nach wenigen Runden erfreut fest: „Die Bahn macht einen sehr guten Eindruck, wirkt sehr hell und hat schon ordentlich Grip. Es knackt und knarzt zwar an vielen Ecken, weil sich das Holz noch setzen muss, aber es gab keine Kanten und war auch nicht staubig. Ich denke, die neue Bahn wird sehr schnell sein.“ Förstemann war vor einigen Wochen der Erste gewesen, der den neuen Fahrbahnbelag im Berliner Velodrom ausprobieren durfte. Der Thüringer war bereits drei Mal Europameister und 2010 sogar Weltmeister im Teamsprint, zudem gewann er in dieser Bahnrad-Disziplin 2012 Olympia-Bronze.
Von solchen Erfolgen waren die deutschen Bahnradsportler zuletzt allerdings weit entfernt. Zwar holte Kristina Vogel bei den Weltmeisterschaften in Hongkong im April drei Medaillen – Gold im Sprint und im Keirin und Bronze im Teamsprint zusammen mit Miriam Welte –, doch ansonsten fiel die Bilanz für den Bund Deutscher Radfahrer eher mau aus. Mit Welte im Zeitfahren über 500 Meter und Lucas Liß im Scratch (beide Silber) holten nur noch zwei weitere Athleten eine Medaille – jeweils in einer nicht-olympischen Disziplin. Machte insgesamt fünf Medaillen – bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro hatte es noch acht Mal Edelmetall gegeben. Insbesondere die Teamsprinter, Verfolger und insgesamt der weibliche Bereich, vor allem in den Ausdauerdisziplinen, offenbarten Schwächen.
Auch bei den vergangenen Europameisterschaften in Saint-Quentin-en-Yvelines vor den Toren von Paris gab es fünf Medaillen. Einziger deutscher Europameister war der Cottbusser Stefan Schäfer im Steher-Rennen, das 2016 erstmals im Rahmen einer Bahnrad-EM ausgetragen wurde. Allerdings gingen in der deutschen Mannschaft kurz nach den Olympischen Spielen hauptsächlich Athleten der zweiten Reihe oder aus dem Nachwuchs an den Start. Kristina Vogel und Miriam Welte hatten beispielsweise beide auf einen Start verzichtet.
In Berlin gehen beide zusammen aber wieder auf Titeljagd. „Wir wollen Großes erreichen“, sagt Kristina Vogel. Die 26-Jährige verzichtet dafür sogar auf die Teilnahme an der lukrativen Keirin-Tour in Japan. „Ich will in Berlin in Topform sein“, sagt sie. Auch die vierfache Juniorenweltmeisterin Pauline Grabosch aus Magdeburg, die im Juni als 19-Jährige erstmals die Spitze der Weltrangliste erklommen hatte, geht mit großen Erwartungen ins Rennen. Im erweiterten Aufgebot der BDR stehen auch bei den Männern mit Lucas Liß, Robert Förstemann und Maximilian Levy einige Fahrer mit Medaillenchancen. Hinzu kommen Titelverteidiger Stefan Schäfer und Vize-Europameister Franz Schiewer in den Steher-Rennen. In diesem Wettbewerb fahren die Sportler mit bis zu 75 Stundenkilometern hinter einem Schrittmacher auf dem Motorrad her.
„Wir wollen Großes erreichen“
„Alle Jungs haben richtig Lust auf Berlin und wollen dort richtig schnell fahren“, sagt Sven Meyer, Bundestrainer für den Ausdauerbereich bei den Männern. Sein für die kürzeren Strecken zuständiger Kollege Detlef Uibel meint: „Wir nehmen die Europameisterschaft im eigenen Land ernst, schließlich kommen Events von solcher Qualität nicht sehr oft in Deutschland vor. Wir werden uns konzentriert vorbereiten und mit einer schlagkräftigen Mannschaft am Start stehen.“
Berlin ist zum zweiten Mal nach 1997 Gastgeber einer EM unter dem Banner des europäischen Dachverbands Union Européenne de Cyclisme (UEC). Zuvor hatte es aber schon kontinentale Meisterschaften unter anderer Leitung gegeben, darunter auch die allerersten Titelkämpfe überhaupt im Jahr 1886 – damals noch auf Hochrädern. Dieses Mal werden an vier Tagen insgesamt 23 Entscheidungen ausgetragen. 30 Nationen werden in der Hauptstadt erwartet, darunter fast alle Spitzenfahrer aus den führenden Bahnradnationen Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Russland und Italien. Angesichts solcher Felder hofft UEC-Generalsekretär Enrico Della Casa auf 3.000 Zuschauer pro Abend.
Die Stars werden in den nächsten Jahren noch häufiger nach Berlin kommen. Die Europameisterschaften 2017 sind nämlich nur der Auftakt für eine ganze Reihe großer Wettkämpfe im Velodrom: 2018 findet ein Weltcup statt, 2019 die Deutschen Meisterschaften, 2020 schließlich die WM, dazu jedes Jahr weiterhin das Berliner Sechstagerennen. BDR-Präsident Rudolf Scharping sagte: „Wir werden in den nächsten Jahren so viele internationale Radsportereignisse haben wie nie zuvor.“