Die Bundesregierung erhält ihren Kredit von Air Berlin zurück, 3.000 von 8.000 Mitarbeitern will die Lufthansa angeblich übernehmen. Bei der Kranich-Airline vervielfachen sich aktuell die Ticketverkäufe. Derweil steht mancher Air-Berlin-Kunde im Regen.
Auf den ersten Blick sieht das Ergebnis gar nicht so übel aus: Lufthansa zahlt voraussichtlich 210 Millionen Euro für Teile der insolventen Air Berlin. Damit kann die Airline ihren Millionenkredit von 150 Millionen, den der deutsche Staat ihr gewährt hatte, zurückzahlen. Und bei der Lufthansa profitiert man bei den Ticketverkäufen schon jetzt von der Insolvenz: Für innerdeutsche Strecken hat die Kranich-Airline im September offenbar drei Mal so viele Flugscheine wie im Juli verkauft.
In der Firmenzentrale von Air Berlin hat unterdessen die Bundesagentur für Arbeit Quartier bezogen und berät die um ihre Existenz bangenden Mitarbeiter der insolventen Airline. Air Berlin selbst hatte im September treuherzig versichert, 80 Prozent der Angestellten hätten gute Aussichten, wieder einen Job zu finden. Klar scheint im Moment nur: 3.000 der insgesamt 8.000 Mitarbeiter will die Lufthansa eigenen Angaben zufolge übernehmen – in der Hauptsache allerdings bei der Billigtochter Eurowings. Hinzukommt: Rund die Hälfte der Mitarbeiter müssten sich laut Verdi neu bewerben, um bei Eurowings unterzuschlüpfen.
Der Fluggast rangiert weit hinten auf der Liste
Während die Mitarbeiter völlig verunsichert sind, sind nicht wenige Kunden, die vor dem 15. August Langstrecken-Tickets bei Air Berlin gekauft haben, verärgert. Da die Pleite-Airline bereits zum 15. Oktober alle Verbindungen etwa in die USA gestrichen hat, verlieren die Kunden jetzt nicht nur ihren Flug, sondern erst einmal auch ihre Erstattungsansprüche.
Insgesamt sind rund 100.000 Kunden von diesem Dilemma betroffen. Sie können ihre Ansprüche bei Bedarf später im Insolvenzverfahren anmelden. Da der Fluggast mit seinen Forderungen allerdings weit hinten auf der langen Gläubigerliste rangiert, dürfte er wenig bis gar keine Chancen haben, zumindest einen angemessenen Anteil des gezahlten Betrages zurückzuerhalten.
Aber kann es sein, dass man im Jahr 2017 in einem EU-Land einen Flug bucht und dann wegen der Insolvenz einer Airline sowohl Flug als auch Geld verliert? Es kommt darauf an. Wer eine Pauschalreise gebucht hat und dabei mit Maschinen der Air Berlin befördert werden sollte, ist fein raus. Denn für diese Kunden bleibt der Verkäufer der Pauschalreise der Ansprechpartner, nicht Air Berlin. Von seinem Verkäufer bekommt der Kunde dann eine alternative Flugverbindung oder die Erstattung seiner gezahlten Reisekosten.
Etwas anders sieht es dagegen für Reisende aus, die ihr Flugticket direkt bei Air Berlin gebucht oder den sogenannten „Nur-Flug“ über ein Reisebüro gekauft haben. Vom Grundsatz her erscheint der Fall klar: Der Kunde hat vorab für eine Leistung gezahlt, die vom Vertragspartner tatsächlich nicht mehr erbracht wird, da Air Berlin die Langstrecke ja bereits eingestellt hat. Damit müsste die Airline selbstverständlich auch den Anspruch auf das Geld des Kunden verlieren, denn: wo keine Leistung, da keine Zahlung. Was also tun? Richtig, den gezahlten Ticketpreis schnellstens zurückholen. Konkret bedeutet dies für die Langstrecken-Kunden und all jene, die sonst noch Tickets der insolventen Air Berlin haben, die erfolgte Lastschrift zurückzubuchen oder das Geld beim Anbieter der Kreditkarte zurückzufordern, über die der Kaufpreis gezahlt wurde.
Wer Nur-Flug bucht, ist rechtlich nicht geschützt
Wer den richtigen Zeitpunkt verpasst oder auf sonstige Schwierigkeiten bei der Rückforderung stößt, wird unter Umständen über eine Stornierung nachdenken. „Storniert der Kunde, hat er auf jeden Fall Anspruch auf Erstattung der Steuern und Gebühren“, sagt die Reiserechtsexpertin Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg auf Anfrage. Allerdings gibt sie zu bedenken: Die Stornierung sei eine Forderung „gegen die Insolvenzmasse“. Und hier rangiert der Kunde, wie schon gesagt, nicht auf den vorderen Plätzen der Gläubigerliste.
Rehberg hält es ohnehin für besser, wenn Air Berlin selbst die Stornierung vornehme und nicht der Kunde, denn: „Die Forderung gegen die Insolvenzmasse wäre im Fall der Stornierung durch den Kunden geringer, als wenn Air Berlin storniert.“ Nur dann habe der Kunde rechtlich den Anspruch auf Erstattung des gesamten Flugpreises, so Rehberg.
Und was ist mit den 150 Millionen Euro, die der Bund der Airline als Kredit gewährt hatte? Könnte man die rund 100.000 Kunden nicht mit diesem Geld entschädigen oder wenigstens dafür sorgen, dass jeder Betroffene zumindest 500 Euro als Wiedergutmachung erhält? Eine Anfrage beim Bundeswirtschaftsministerium ergibt eine schnelle Antwort: „Eine Einflussnahme der Bundesregierung auf den Verkaufsprozess im Rahmen des Insolvenzverfahrens verbietet sich aus rechtsstaatlichen Gründen“, heißt es. Das Insolvenzverfahren werde „unter gerichtlicher Aufsicht nach Maßgabe insolvenzrechtlicher Vorgaben geführt“. Was in anderen Fällen ein hilfreicher Grundsatz der deutschen Rechtsstaatlichkeit ist, dürfte für manchen Air-Berlin-Kunden eher wie eine Backpfeife wirken.
Reiserechtsexpertin Julia Rehberg bringt es auf den Punkt: „Der Fall Air Berlin zeigt deutlich, dass es eine zwingende Insolvenzabsicherung wie im Bereich der Pauschalreisen auch bei Nur-Flugbuchungen geben sollte.“ So zutreffend diese Forderung auch ist, stellt sich dennoch die Frage, warum es eine solche Absicherung nicht längst gibt. Eine Nachfrage beim zuständigen Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz ergibt: Doch, doch, heißt es, das Thema Insolvenzabsicherung bei Nur-Flugbuchungen sei in der letzten Legislaturperiode sowohl hausintern als auch mit den EU-Partnern diskutiert worden. Bestandteil der EU-Richtlinie zu den Fluggastrechten ist es bis dato allerdings nicht. Minister Heiko Maas äußert sich schließlich persönlich und schlägt für das aktuelle Air-Berlin-Problem eine andere Lösung vor: „Es sollte im eigenen Interesse der Lufthansa liegen, sich jetzt möglichst kulant gegenüber den Kunden zu zeigen und Air-Berlin-Tickets auf den von ihr übernommenen Strecken zu akzeptieren. Das wäre ein wichtiges Signal, um Kundenvertrauen nicht zu verlieren.“ Maas weiter: „Weder die Reisenden noch die Steuerzahler dürfen am Ende die Kosten dafür tragen, wenn eine Fluggesellschaft während einer Reise in die Insolvenz muss.“ In der Tat, die Lufthansa könnte den Air Berlin-Kunden jetzt beispringen. Denn immerhin übernimmt sie ja auch große Teile der insolventen Airline.
Beim Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr ist dieser Vorschlag indes noch nicht so ganz angekommen. In einem Zeitungs-Interview sagte er lediglich zu, den „im Ausland gestrandeten Passagieren der Air Berlin die Heimreise zu einem fairen Preis anzubieten.“ Mit einer Einschränkung: „…sofern wir die Kapazitäten dafür haben“. Das klingt noch nicht so, als würde die Lufthansa sich intensiv um die Kunden der Air Berlin bemühen. Warten wir's ab.