Als Angy bringt der Travestiekünstler Nico Heib eindrucksvolle Shows auf die Bühne. Das tut er mit Überzeugung seit 25 Jahren und schafft damit etwas ganz Besonderes.
Wenn Nico Heib die Haustür öffnet, gibt es so etwas wie einen Sog. Eben noch auf einer Straße in St. Ingbert-Rohrbach, wird der Besucher plötzlich in eine andere Welt gezogen. Draußen war es grau. Drinnen glitzert und schillert es. Hier ist die Welt von Angy.
Wer von Nico Heib redet, muss im selben Atemzug eigentlich direkt auch Angy erwähnen, denn die beiden sind untrennbar miteinander verbunden. Sie sind so eng verbunden, wie es eigentlich nur geht. Denn Angy und Nico sind ein und dieselbe Person. Er ist Travestiekünstler, sie ist seine Rolle.
Travestie wird oft belächelt oder mit Skepsis betrachtet. Dabei handelt es sich um eine vielseitige Kunstform, bei der Menschen in die Rolle des anderen Geschlechts schlüpfen. Das hat nichts mit sexueller Orientierung zu tun und heißt auch nicht, dass Männer, die sich als Frauen verkleiden, auch im wahren Leben lieber Frauen wären.
Nico Heib legt Wert darauf, nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. Als Angy zeigt er sehenswerte Bühnenshows, die vornehmlich ein Ziel haben: moderne Unterhaltung zu sein. Wenn er auftritt, vermeidet er Travestieklischees. Er bleibt mit seiner Darbietung immer über der Gürtellinie und greift bewusst nicht auf die angestaubten Rollen à la Zarah Leander oder Marylin Monroe zurück, sondern interpretiert Nummern von Westernhagen bis hin zu Tina Turner und natürlich nicht zuletzt Helene Fischer. Dabei wechselt er während seiner Shows nicht nur seine Kostüme in einem atemberaubenden Tempo, er singt auch selbst.
Seine Eltern unterstützen ihn
Das ist ein unverwechselbares Kennzeichen, das ihn von vielen anderen unterscheidet und auf das er zurecht stolz ist. Er performt seine Lieder live, ohne Netz und doppelten Boden, während die meisten Travestiekünstler nur die Lippen zum Voll-Playback bewegen. Wenn das Publikum dabei am Ende komplett vergisst, dass dort ein Mann als Frau auf der Bühne steht, ist es umso besser, findet er. Denn dann hat er das Ziel seiner Kunst erreicht, wie er sagt.
Nico Heib verkörpert Angy mit so viel Leidenschaft, dass sie für ihn mehr ist als nur eine Rolle. Das wird deutlich, wenn man als Gast im Hause Heib empfangen wird. In dem mehrgeschossigen Haus in Rohrbach trudelt man im Sog des Hausherren zur Tür herein, fliegt durch volle Requisitenräume und glitzernde Garderobenzimmer, dann durch eine ganze Näh- und Basteletage, bevor man, mit einem Arm voll Programmheften, Flyern und der neusten CD, am großen Tisch im Wohnzimmer im zweiten Stock landet. Dort erzählt Nico Heib, wie er überhaupt zu Angy geworden ist.
Ganze 25 Jahre gibt es Angy nun schon an seiner Seite. Das überrascht, denn schließlich ist Heib mit seinen 39 Jahren niemand, dem man bereits ein silbernes Jubiläum in Sachen Travestie auf den Kopf zusagen würde. Doch die Rechnung stimmt. Bereits als Teenager hat er sich der Travestie zugewandt. Nico Heib hatte eben einfach früh seine ganz eigenen Ziele. So erinnert er sich an den Augenblick, der vor 25 Jahren sein Aha-Moment war: „Ich war in Saarbrücken in der Saarlandhalle. Da ist Mary aufgetreten, und ich war 14 Jahre alt. Ich bin heim und habe zu meiner Mama gesagt: Das will ich auch machen!"
Viele Eltern wären wohl irritiert, wenn der pubertierende Sohn plötzlich einen Travestiestar als Idol präsentiert. Bei ihm war das anders. Sein Glück, so sagt er, war es, dass die Eltern ihn bei seinem Traum unterstützt haben. Bis heute gehören sie zu seinen wichtigsten Stützen, singen bei seinen Shows sogar das Schlusslied. Dieses eigens komponierte Lied heißt „Was wichtig ist" und handelt davon, dass Vater und Mutter ihren Sohn so annehmen, wie er ist. Das erklärt Heib und ergänzt: „Während dieses Lieds schminke ich mich auf der Bühne ab."
Auch wenn Angy viel Platz in seiner Freizeit einnimmt, hat Heib eigentlich noch einen Brotberuf. So ist der Travestiekünstler im wahren Leben selbstständiger Dekorateur. Er arbeitet erfolgreich für einen großen deutschen Porzellanhersteller, reist quer durchs Land und gestaltet Schaufenster und Verkaufsflächen. Dass er seinen Beruf mag, lässt sich unschwer erkennen. In seiner Wohnung hat er alles so eingerichtet, wie es ihm gefällt. Er legt auch hier Wert darauf, dass alles passt. Die Dekoration ist stilvoll, Wände, Möbel und Objekte sind aufeinander ausgerichtet und farblich abgestimmt.
Erster Auftritt als Jugendlicher
So sehr er seinen Beruf mag, muss er zugeben, dass Angy doch mehr als nur ein Hobby nebenher ist. „Angy ist eigentlich ein Vollzeitjob", lacht er. „Wenn ich von der Arbeit heimkomme, dann geht’s mit der Show weiter." Denn nach der Show ist bekanntlich vor der Show. Und schließlich will alles geplant, konzipiert und geprobt sein. Anderthalb Jahre Vorlauf hatte seine jüngste große Show, die unter dem Titel „Regenbogenfarbenspiel" im August Premiere feierte. Aktuell ist bereits ein Weihnachtsprogramm für 2018 in Planung. Dazwischen gibt es immer wieder Auftritte in großen Hallen, auf Geburtstagen, Weihnachtsfeiern, Firmenpartys und in der Faschingszeit. Nico Heibs Konzept hat Hand und Fuß. Was im einfachen Rahmen begonnen hat, hat im Laufe der Jahre eindrucksvolle Dimensionen angenommen. Seinen ersten Auftritt hatte er als Jugendlicher beim Karnevalsverein, in dem die Familie bis heute Mitglied ist. „Meine Eltern sind mit mir nach Saarbrücken, wir haben drei Perücken gekauft und drei Kleider", erinnert er sich, wie im Jahr 1992 alles „ganz klein angefangen" hat. Nach mehreren Engagements, damals noch mit Playback, auf Feiern und Kappensitzungen, war all das ihm irgendwann zu wenig. Schnell war klar: „Wir müssen uns weiterentwickeln." Also nimmt er Gesangsstunden, plant ein Programm und stellt mit 18 Jahren die erste eigene Show auf die Beine. In den folgenden Jahren wird das Gesamtpaket immer ausgefeilter. Lichttechnik kommt hinzu, Tänzerinnen werden engagiert, eine eigene Schneiderin näht bis heute für ihn. Er hat zudem solide Kontakte in die Schlager- und Medienbranche geknüpft. „Man kann sich immer verbessern", sagt Heib. An der Philosophie, immer neue Ziele zu haben, hält er bis heute fest. Alles andere würde für ihn, der eine unbändige Energie zu besitzen scheint, Stillstand und gleichzeitig Rückschritt bedeuten.
So hat er mit Angy eine Dame geschaffen, die viel von seinem eigenen Temperament besitzt. Sie hat den Schalk im Nacken, ist nicht auf den Mund gefallen, liebt die Musik, liebt die Bewegung und hat auch modisch den Finger immer am Puls der Zeit. Mal trägt sie eine trendige Jeans-Kombi, dann wieder Abendkleid oder opulenten Federschmuck. Alle Kostüme werden extra angefertigt und mit viel Glitzer bühnentauglich gemacht. Gleiches gilt für die Musik, die er verwendet. Die Instrumentaltracks der Songs werden eigens für Heibs Stimmlage eingespielt.
Dass bei Nico Heib alles rund läuft, verdankt er seiner Bodenständigkeit und vor allem auch seinem „Familienunternehmen", wie er es nennt. Denn neben seinen Eltern arbeiten viele Menschen daran mit, dass alles gelingt. So übernimmt sein Bruder die professionelle Gestaltung der Programmhefte oder CD-Cover und das Lichtdesign der Bühnenshow. Seine Schwägerin ist für die Choreografien zuständig und arbeitet eng mit den Tänzern und Tänzerinnen zusammen, die mittlerweile auch Teil der großen Familie geworden sind. Selbst deren Partner, erzählt Heib, helfen mit, verkaufen Karten oder arbeiten hinter der Bühne. „Das macht die Stärke aus", sagt er und betont, dass er ohne diesen Zusammenhalt nicht weit kommen würde: „Wir machen das alle aus dem Herzen."
Für seine Ziele braucht er nicht nur Herz, sondern auch Furchtlosigkeit und Idealismus. Das steht fest. Auf Angys aktueller CD findet sich passenderweise das Lied „Ich wollte nie erwachsen sein". Nico Heib erzählt, während er den Gast wieder nach draußen verabschiedet, wie seine Mutter ihm kürzlich einmal gesagt hat: „Du bist wie ein Kind." Er habe daraufhin erwidert: „Es wäre ja auch schlimm, wenn es nicht so wäre."