Seit Jahren reißt die Bundesliga in der Champions- und vor allem der Europa League keine Bäume aus. Ein schwarzer Spieltag Ende September schreckte nun endgültig alle auf.
Sogar der Bundestrainer Joachim Löw und sein Vorgänger Jürgen Klinsmann sorgen sich schon. Die schwarze deutsche Europacup-Woche Ende September war auch wirklich zu extrem. Sechs Spiele absolvierten die deutschen Teams und holten keinen einzigen Punkt. Sechs Niederlagen bei sechs Spielen – das hatte noch keine einzige europäische Liga bisher „geschafft“. In der Jahreswertung lag Deutschland auf Platz 27 – hinter Zypern, Aserbaidschan oder Kasachstan. In der Fünfjahreswertung ist die Liga des Weltmeisters, die sich kurz zuvor noch auf dem Weg zur besten Liga der Welt wähnte, nur noch Vierter – in die Saison gegangen war sie als Zweiter.
Seitdem streiten die Experten: Ist dies der Tiefpunkt einer Entwicklung? Oder einfach nur eine Verkettung unglücklicher Umstände? Klar scheint: Natürlich waren die Vorzeichen an diesem 2. Spieltag so schlecht wie lange nicht. Vier der sechs Bundesligisten spielten auswärts, die beiden mit Abstand stärksten deutschen Vertreter Bayern München und Borussia Dortmund trafen in der Champions League auf Paris St. Germain, das soeben rund 400 Millionen Euro für die Transfers von Neymar und Frankreich-Wunderkind Kylian Mbappé ausgegeben hatte, und Titelverteidiger Real Madrid.
Es waren also ein paar unglückliche Umstände. Doch in der Europa League verloren die deutschen Vertreter unter anderem gegen die Nummer 158 und 176 der europäischen Rangliste, Vereine also mit deutlich weniger Etat. „Ein wenig alarmierend“ fand das dann auch der Bundestrainer. Er mache sich „nicht erst seit letzter Woche Gedanken“, sagte Löw und sieht das Ganze durchaus als Ergebnis einer Entwicklung: „Wenn man zurückgeht in diesem Jahrhundert, sieht man, dass die deutschen Clubs nicht allzu viele Titel geholt haben. Wenn jetzt jemand sagt, die Bundesliga ist die beste Liga überhaupt, dann sollte man sich hinterfragen“, sagte er. Die spanischen Clubs hätten in der gleichen Zeit „eine ganze Reihe an Titeln geholt“. Und dafür muss man eben nicht auf die Champions League schauen, auf Real und den FC Barcelona. Denn während die Bundesliga in der Europa League – damals noch Uefa-Cup – seit dem Triumph der Schalker Eurofighter 1997 auf einen Titel wartet, gewannen die Spanier alleine in den vergangenen 14 Jahren acht Mal die Trophäe. Auch Löws Vorgänger und Ex-Chef Jürgen Klinsmann sprach im Sport-Bild-Interview von einer „negativen Tendenz“. Die schlechten Ergebnisse seien „ein Anzeichen, dass eine gewisse Selbstzufriedenheit eingekehrt ist. Zufriedenheit ist in jedem Berufsfeld ein Killer. Darum muss die Bundesliga aufpassen, dass sie international nicht unnötigerweise den Anschluss verliert“.
Aus der Liga selbst hörte man dagegen eher beschwichtigende Stimmen. „Es gibt immer wieder Phasen, wo es nicht so läuft, und es ist Zufall, wenn das dann kumuliert“, sagte Augsburgs Trainer Manuel Baum. Hertha-Manager Michael Preetz erklärte, „dass das eine Ausnahme war“. Und sein Gladbacher Kollege Max Eberl beschwichtigte: „Aus meiner Sicht ist die Liga nicht schlechter geworden. Natürlich haben wir auch Niederlagen erlebt, bei denen wir sagen müssen: ‚Da muss die Bundesliga stärker sein.‘ Für mich ist das aber noch kein Trend“.
„Die Europa League ernster nehmen“
Aber auch Christian Seifert, der die Bundesliga im In- und Ausland verkauft, fand als Gast im ZDF-Sportstudio durchaus deutliche Worte. „Der Fokus auf die Bundesliga ist wichtig, die Europa League muss man aber genauso wichtig nehmen“, sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga. Wenn Clubs aus einer Liga, in der 14 Vereine mehr als 100 Millionen Euro Umsatz machen, nicht in der Lage seien, in der Europa League die Vorrunde zu überstehen, „weigere ich mich, eine Entschuldigung zu akzeptieren“, sagte er. „Die Verantwortlichen sind gefordert, den Mannschaften, den Fans, den Spielern, Sponsoren und Partnern klarzumachen, die Europa League ernster zu nehmen. Denn sonst werden der deutsche Fußball und die Bundesliga ihr durchaus gutes Renommee aufs Spiel setzen.“
Doch was sind die Hauptgründe für das schwache Abschneiden der Liga?
Fehlende Stars: Die Bundesliga ist die Liga der Weltmeister, Bayern München hat in Thomas Müller und James Rodriguez die Torschützenkönige der vergangenen beiden Weltmeisterschaften im Kader. Doch die ganz, ganz großen Stars spielen nicht in der Bundesliga. Kein Messi, kein Ronaldo, kein Neymar. Bei der kürzlichen Wahl zu Europas Fußballer des Jahres kamen vier der ersten fünf aus der Primera Division, einziger Bundesliga-Spieler in der Top Ten war Bayerns polnischer Torjäger Robert Lewandowski als Neunter. Selbst Jung-stars wie Mbappé wechseln aktuell nicht mehr in die Bundesliga. Oder streiken sich wie Ousmane Dembélé gleich nach einem Jahr weiter nach Spanien.
50+1-Regel: In Sachen Zuschauer-Einnahmen, TV-Gelder und Marketing bekommt die Bundesliga jedes Jahr mehr Geld. Das Wachstum ist laut Seifert in den vergangenen zehn Jahren zehn Mal so hoch wie das der deutschen Wirtschaft. Doch in diesen Bereichen machen auch die Vereine aus anderen Ligen riesige Sprünge, teilweise deutlich höhere wie zum Beispiel England bei den TV-Einnahmen.
„Es geht jedes mal ums Überleben“
Die anderen großen Ligen sind aber auch offen für den Einstieg von Investoren, die derzeit bevorzugt aus Russland, China oder Katar kommen. Und die einige Clubs aus England (zum Beispiel Manchester City), Frankreich (Paris) oder Italien (AC Mailand) mit vielen Millionen unterstützen. In Deutschland sorgt die 50+1-Regel dafür, dass kein Investor die Stimmenmehrheit übernehmen kann. Er kann also den Verein nie nach seinen Ideen gestalten – was das Interesse auf einen Einstieg auf ein Minimum sinken lässt. Das wiederum kann man verstehen, wenn man zum Beispiel sieht, wie Klaus-Michael Kühne seit Jahren Millionen in den Hamburger SV pumpt und diese dann auf dilettantische Art und Weise aus dem Fenster geworfen werden. Aus traditioneller Sicht ist die 50+1-Regel ein hohes Gut, das es zu bewahren gilt. Klar sein muss aber: Je länger sie besteht, umso geringer ist die Chance im Wettbewerb mit den generös unterstützten Clubs. Bayern-Präsident Uli Hoeneß glaubt oder hofft aber, dass die Investoren irgendwann die Lust auf ihr Spielzeug verlieren. Die Champions League könne schließlich „immer nur eine Mannschaft gewinnen“. Und das werde für Frust sorgen: „Die Geldgeber werden sagen: Jetzt haben wir so viel Geld reingesteckt und erreichen nicht, was wir erreichen wollen, jetzt haben wir die Schnauze voll! Und dann ist unsere Zeit da“.
Ausgeglichene Liga: Dies ist in zweierlei Hinsicht ein Problem. Zum einen, weil immer wieder andere Vereine an der Europa League teilnehmen. Alleine seit der Einführung der Europa League im Jahr 2009 spielten dort – unglaublich aber wahr – schon 16 Bundesligisten mit. Wirklich Erfahrung sammeln konnten Vereine wie Augsburg, Freiburg oder Mainz aber bei ihren Gastspielen nicht. Ein weiteres Problem ist die Ausgeglichenheit der Liga insofern, dass nahezu jeder Verein außer den Bayern, Dortmund und vielleicht auch Leipzig immer kalkulieren muss, im schlimmsten Fall in den Abstiegskampf zu rutschen. Vor zwei Jahren war es Hoffenheim, im vorigen Jahr Leverkusen und Wolfsburg. Vereine, die damit nie gerechnet hätten.
Deshalb – so kurios es klingt – schauen alle immer, dass sie sich für Europa qualifizieren, weil es Renommee bringt und Festtage für die Fans. Doch wenn sie da sind, genießen sie die Feiertage nicht, spielen teilweise mit B-Teams, weil die Bundesliga am Wochenende wichtiger ist, um nicht das ganz böse Erwachen zu erleben. „Bis auf drei, vier Mannschaften an der Spitze müssen alle zusehen, dass sie sich schnell die nötigen Punkte zusammenhamstern“, erklärte Frankfurts Trainer Niko Kovac. „Es geht jedes Mal ums Überleben. Mannschaften wie Roter Stern Belgrad oder Rasgrad wollen sich dagegen international unbedingt beweisen. Da ist die Motivation höher.“ So sieht es auch Eberl. „Man muss zusehen, dass ich in der Liga die Punkte hole. Das ist momentan ein wenig das Problem, das wir haben. Die Qualität ist nicht schlechter geworden, aber das Denken an die Bundesliga steht über dem Europapokal“, sagte er. Zu schwach in der Spitze, zu breit in der Breite – so könnte man das Problem zusammenfassen.