Um auf die vermehrte Polizeigewalt gegenüber dunkelhäutigen Mitbürgern in den USA aufmerksam zu machen, boykottieren einige Spieler in Amerikas höchster Football-Liga seit Wochen die Nationalhymne vor den Spielen. Nach seinem „Hurensohn“-Statement hat US-Präsident Donald Trump nun endgültig fast die gesamte NFL gegen sich aufgebracht.
Die NFL ist eine Unterhaltungsmaschine. Sportlich gesehen spielt sie in diesen Wochen aber eher die leisen Töne. Dieser Sport und diese Liga haben in den zurückliegenden Wochen ein recht verwirrendes Bild abgegeben. Es ging vordergründig um Spieler, die bei der Nationalhymne niederknieten, aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA, und es ging darum, dass sich ein Typ mit fragwürdigen „Hurensohn“-Beschimpfungen, der der US-Präsident sein soll, anschließend darüber im Internet empörte. Knien, Empörung, Empörung über die Empörung, weiteres Knien, weitere Empörung. So geht das nun schon seit Saisonbeginn, und auch am fünften Spieltag blieb die NFL ihrem eskalativen Rhythmus treu.
Doch wie kam es dazu? Initiator dieser Bewegung war Colin Kaepernick. Geschasster Quarterback innerhalb der NFL, seine Leistungen bei den San Francisco 49ers gingen, seitdem er den Super Bowl gegen die Baltimore Ravens verlor, stetig bergab. Seine Statistiken miserabel, seine politische Haltung jedoch erregte Aufsehen. Nach mehrmals aufgetretener Polizeigewalt gegenüber dunkelhäutigen Mitbürgern entschied sich „Kaep“, während der Hymne zu knien, um auf die Missstände in den USA aufmerksam zu machen. So kam es auch. Die Medien in den USA sprangen natürlich darauf an. Ob Kaepernick aufgrund seiner schlechten Saison nirgendwo einen Vertrag erhält oder aufgrund seiner öffentlich gemachten politischen Haltung, das müssen andere entscheiden. Fakt ist jedoch, dass der ehemalige 49er damit einen Stein innerhalb des US-Sports ins Rollen gebracht hat.
Längst sind es nicht mehr nur vereinzelt Unterstützer, es sind teilweise komplette Mannschaften. Die Pittsburgh Steelers blieben in den vergangenen Wochen während der Hymne in der Kabine. Die Seattle Seahawks ebenso, genauso die Tennessee Titans. Andere Spieler knieten oder hakten sich unter, demonstrierten Einigkeit. Fast die gesamte Mannschaft der Oakland Raiders saß, schaute mit verschränkten Armen grimmig drein oder kniete während der Hymne. „Ich liebe diese Männer, ich respektiere diese Männer“, sagte ihr Cheftrainer Jack Del Rio. „Ich glaube in letzter Zeit ist klar geworden, dass nichts dagegen spricht, seine Meinung auf friedliche Art kundzutun, so wie sie es getan haben. Deshalb haben wir uns entschieden, vereint zu sein.“ Vereint vor allem gegen ihren Präsidenten Donald Trump. Denn der hatte diese eigentlich eingeschlafene Diskussion erst wieder in den Mittelpunkt gerückt. „Runter vom Feld mit dem Hurensohn! Raus! Er ist gefeuert“, hatte Trump ein paar Tage vorher bei einem Auftritt in Alabama gerufen, und bezog sich damit auf jeden Footballspieler, der es wagte, während der Hymne zu knien. Das machten vereinzelte Sportler schon vor diesem Wochenende. Es waren nur wenige, aber sie wurden zum Politikum, weil sie sich durch diese Geste mit dem Quarterback Colin Kaepernick solidarisierten. Jetzt hat Trump fast die komplette NFL gegen sich aufgebracht. Doch die NFL schien dem US-Präsidenten nicht zu reichen.
„Runter vom Feld mit dem Hurensohn“
Einen Tag nach seinem „Hurensohn“-Statement legte sich Trump auch noch mit einem anderen US-Sportstar an. Mit dem Basketballer Stephen Curry, der mit den Golden State Warriors die NBA gewann. Für gewöhnlich schauen die Meister aller großen US-Sportarten auch einmal im Weißen Haus vorbei. Doch Curry zögerte. „Wenn wir nicht gehen, löst das hoffentlich etwas Wandel aus“, hatte Curry gesagt. Beleidigt zog Trump die Einladung zurück. LeBron James, der wohl beste und populärste Basketballer dieser Zeit, sprang Curry zur Seite und nannte Trump einen „Penner“. Politiker, die sich mit populären Sportlern anlegen, laufen Gefahr, sich ein wenig zu übernehmen. Der AfD-Politiker Alexander Gauland musste wohl selten für eine Äußerung so viel einstecken wie für seine Bemerkung vor der Fußball-Europameisterschaft 2016, man hätte den Nationalspieler Jérôme Boateng nicht gerne als Nachbarn. Trump ist sowieso umstritten, tut sich mit diesem Kampf sicher keinen Gefallen. 70 Prozent der Sportler in NFL und NBA sind schwarz, die Popularität mancher übersteigt sicherlich die des Präsidenten.
Lange hatten es Trainer, Manager und Liga vermieden, sich zu Kaepernicks Protesten zu positionieren. Das hat sich inzwischen zwar geändert, aber Fragen stellten sich dennoch. Wollten die Footballer nur gegen Trumps Ausfälle demonstrieren? Oder geht es ihnen um Kaepernicks Sache? Machen sie am nächsten Spieltag weiter?
Entscheidend könnten die Teambesitzer sein. Der amerikanische Profisport hat mit dem deutschen kaum etwas gemein. So stehen hinter den Clubs keine Vereine mit sozialem Auftrag, sondern Einzelpersonen oder Konsortien, die aus mehreren Mitgliedern oder Familien bestehen. Oft sind sie bereits vor dem Einstieg in den Sport erfolgreiche Unternehmer gewesen. Das Investment in den Sport dient nicht nur der Unterhaltung, sondern vor allem auch dem Profit. Deshalb wollen die Clubs ein ruhiges Umfeld. Politische Diskussionen? Bitte nur außerhalb der Stadien. Alles andere könnte schlecht fürs Geschäft sein.
Dennoch scheint sich derzeit etwas zu ändern. Fast alle Teams haben auf die Aussagen von Trump reagiert. „Unser Land braucht jetzt eine einigende Führungskraft, nicht noch weitere Spaltung“, schrieb etwa Stephen Ross, Besitzer der Miami Dolphins bei Twitter. „Wir sind fest davon überzeugt, dass in schwierigen Zeiten der Teilung und des Konflikts Football als einigender Sport wichtiger ist als je zuvor“, ließ Jeffrey Lurie, CEO und Vorstandsvorsitzender der Philadelphia Eagles mitteilen. Dan Snyder, Besitzer der Washington Redskins, hakte sich zwischen zwei Spielern ein, um seine Unterstützung zu demonstrieren. Ähnliche Bilder gab es auch von anderen Besitzern. Sogar das Liga-Office in New York sah sich zu einem Statement gezwungen. Eigentlich gelten die Besitzer als konservativ. Einige von ihnen haben Trump im Wahlkampf unterstützt.
Thematik spaltet das ganze Land
Der Besitzer der New England Patriots, Robert Kraft, hat etwa eine Million Dollar gespendet. Sein Superstar Tom Brady, der erfolgreichste Quarterback der Geschichte, ist ein Freund von Trump. Aber beide kritisierten ihren Präsidenten nun. Kraft teilte mit, er sei „tief enttäuscht vom Ton“ des Präsidenten. Auch Brady widersprach Trump. Die vor allem weißen NFL-Zuschauer sind hin- und hergerissen. „Die Fans haben gesagt: ‚Steht auf ihr Loser’ und all das. Es war klar, dass das kommen würde. Ich meine, wenn wir jetzt in die sozialen Netzwerke schauen, dann werden sie uns sagen, dass wir die schlimmste Art von Amerikanern sind“, sagte etwa der Saints-Runningback Mark Ingram. Auf Twitter ist von Boykott-Aufrufen zu lesen, konservative News-Seiten wie Fox News oder die ultrarechten Breitbart News machen Stimmung gegen die knienden Spieler. Viele Fans aber drücken im Stadion und in den sozialen Medien ihre Unterstützung aus. Im Baseball ist die Debatte mittlerweile ebenfalls angekommen. Der junge Bruce Maxwell ist als erster Baseballspieler während der Hymne aufs Knie gegangen. Auch einige Musiker, darunter Pharell Williams, unterstützten den Protest. Während die durch farbige Spieler dominierten Ligen protestieren, bleiben die weißen Sportarten stumm. Der Golf-Star Davis Love III etwa sprach sich gegen Proteste im Sport aus, die Nascar-Szene stellte sich sogar demonstrativ hinter Trump.
Das Land spaltet sich also an dieser Thematik. Unklar ist das Ende. Dass Trump den „Kampf“ mit Sportlern wie LeBron James oder Tom Brady auf Dauer gewinnen wird, ist mehr als unwahrscheinlich. Ihre Popularität übertrifft die des umstrittenen Präsidenten wie bereits erwähnt. Momentan ist es eher ein Protest, der still über die Bühne geht. Knien bei der Hymne und dann Football spielen. Doch was ist, wenn es noch einen Schritt weitergeht? Wenn der Protest so weit geht, dass Spieler beginnen zu streiken? Federführend dabei wird die Liga sein, aber auch die Besitzer spielen dabei eine Rolle. Ob Donald Trump dem Angriff der „Hurensöhne“ standhalten kann, wird sich zeigen. Zum Gegner hat er sie sich selbst gemacht.