Wer im kleinen, aber feinen „Bahadur" in Wilmersdorf einen Platz ergattert, darf sich auf eine unverfälschte indische Küche freuen. Die Maxime von Besitzer Gaurav Sharma: Auch Inder sollen ein Restaurant in Berlin finden, das ihren Ansprüchen genügt.
Wir waren bei den „Mutigen". Für Mut und Heldenhaftigkeit steht der Name „Bahadur" in Indien. Nun ist der Verzehr von indischen Gerichten und das Schreiben darüber in Berlin an und für sich keine heroische Tat. Eher schon gilt dies für die Entscheidung von Gaurav Sharma und Chefkoch Man Bahadur Vir, in einer ruhigen Wohnstraße mitten in Wilmersdorf ein qualifiziertes, kleines indisches Restaurant zu eröffnen. Den Namen trägt es nach dem Vornamen des Kochs und nach dem Mut seiner Betreiber. 38 Plätze hat das „Bahadur" im Inneren, 20 weitere draußen, unter der roten Markise. Es ist hell, schlicht und urban eingerichtet – und hat eine hervorragende nordindische Küche, weit abseits von Einheitssoße und Currypulver.
„Wir haben immer ein kleines Objekt gesucht", erzählt Sharma. „Wir wussten, dass die Gäste zu uns kommen werden, die gutes Essen schätzen." Und genau so geschah es auch. Gerade berichtete Inforadio zum ersten Geburtstag Ende September. Nun ist es auch an dem Mittwochabend unseres Besuches rappelvoll. Der Service schlängelt sich mit Thali-Tabletts, Platten mit Hühnerstücken sowie mit Kupferschüsseln mit Currys und Reis durch die Reihen, stellt hier und dort einen improvisierten Tisch aus gestapelten, schicken Getränkekisten dazu. Wir warten bei Papadams und „Jal Jeera", „Nimbu Pani" und „Rooh Afza" auf die Vorspeisen.
Wir probieren reihum die frisch angemachten Limonaden aus kleinen Karaffen. Unbewusst haben wir gleich die Gläser passend verteilt: Das „Jal Jeera", ein „Wasser mit Gewürzmischung", ist für die kulinarische Begleiterin mit indischen Wurzeln genau das Richtige. In der mit Kumin aromatisierten und eher salzigen Limo schwimmen Backerbsen obenauf – eine für europäisch geprägte Zungen ungewohnte Kombination. „Die eine Hälfte unserer Gäste mag’s, die andere nicht", weiß Gaurav Sharma. Bei der Bestellung wird deshalb immer „vorgewarnt".
Der Fotograf hat mit einem limettenbasierten „Nimbu Pani" einen klassisch indischen Durstlöscher erhalten. „Ein Volksgetränk", sagt die Begleiterin. Mich duftet mit dem „Rooh Afzah" ein indischer Rosengarten an. Basis ist ein aus Rosenwasser, Früchten und Wurzeln gewonnener Sirup, der mit Mineralwasser aufgefüllt und im „Bahadur" mit Blüten und Kräutern serviert wird.
Ein weiteres Getränk schleicht sich im Gespräch an unseren Tisch heran: Whisky. „Man nimmt in Indien bei einer Essenseinladung erst einmal Snacks und Whisky zu sich", erklärt die Freundin. In dem Land mit dem weltweit höchsten Whisky-Konsum komme das eigentliche Essen erst sehr viel später. Wer das Essen zu früh serviert, laufe Gefahr als Knauserer zu gelten, der seine Gäste möglichst rasch wieder loswerden wolle. Wer an den Snacks spare, mache seine Gäste im Handumdrehen betrunken – ebenso wenig der Zweck eines geselligen Beisammenseins. Es gilt also die Balance zu halten im fein austarierten Zusammenspiel von Snacks, Alkohol, richtigem Timing und Reputation.
Mit unseren alkoholfreien Limonaden sind wir allemal auf der sicheren Seite. Wir erfreuen uns an kleinen Gerichten wie „Tikka Paneer", „Barra Kebap" und „Kodak Bhindi". Das „Tikka Paneer" kommt als klassisch mit Joghurt mariniertes und mit Paprika und Zwiebelstücken aufgespießter und im Tandoor-Ofen gegrillter Frischkäse zu uns. „Eine Konsistenz wie gestockte Milch", befindet der Fotograf. Genau das ist es auch. Aus gestockter Milch wird in der Küche ein frischer Weißkäse gepresst. Er wird aufgeschnitten gegrillt, gebraten oder geschmort.
Beim „Barra Kebap" lagern drei mit Ingwer, Knoblauch und Senf marinierte und gegrillte Lammkoteletts auf der Platte, die wir flugs vom Knochen nagen. Eine überaus wohlschmeckende Überraschung sind „Kodak Bhindi" – knusprig ausgebackene Pakoras aus Okraschoten. „Das ist selbst in Indien etwas Besonderes", sagt die Freundin.
Auch Inder sollten im „Bahadur" ein Restaurant in Berlin finden, das ihren Ansprüchen genügt. „Ich esse gern, und das Essen muss gut sein, das ist das A und O", sagt Gaurav Sharma. „Ich bin Punjabi. Wir sind sehr kritisch mit dem Essen." Der Maschinenbau-Ingenieur kennt die Materie aus seiner Studienzeit, in der er in der Gastronomie jobbte. Die Kochkünste von Man Bahadur Vir überzeugten ihn in dessen vorherigem Restaurant: „Ich bin immer dorthin gefahren." Man Bahadur Vir lernte unter anderem von seinem Onkel in Delhi kochen. Der arbeitete im „legendären Moti Mahal", erzählt Sharma. In dem 1947 eröffneten „Perlen-Palast" in Delhi wurde die Küche des Punjab auf hohem Niveau zubereitet. Von dort aus wurden Klassiker wie „Butter Chicken", „Tandoori Chicken" und „Dal Makhani" weltbekannt.
Tandooris sind eines der Markenzeichen
Gewürze in individueller Zusammenstellung, frische Produkte, Gegrilltes aus dem Tandoor, dem traditionellen Lehmofen mit offenem Feuer, nur hausgemachte Gerichte und Verzicht auf Convenience-Produkte: Mit nichts Geringerem als einem solchen Qualitätsanspruch taten sich Sharma und Vir zusammen. Sie kochten zunächst auf Streetfood-Events. Testeten, wie ihre Gerichte ankamen, bevor sie das eigene Restaurant Ende September 2016 eröffneten.
Tandooris sind ein Markenzeichen des „Bahadur" ebenso wie die Currys. Wir bekommen Dreierlei vom Huhn: Ein sanftes „Murgh Makhni", auch bekannt als „Butter Chicken", erwartet uns in einer sämigen, milden Tomaten-Sahne-Soße auf einer Thali-Platte, einer Auswahl verschiedener Hauptgerichte. Ein „Murgh Tikka Masala", ein mit vielen Gewürzen stark eingekochtes Hühner-Curry, liegt am anderen, würzig-scharfen Ende der Geschmacksskala. Die mürb-zarte „Chicken Malai Tikka"-Variante aus dem Tandoor ist herausragend und unser gemeinsamer Favorit. Die Hühnerbrust wurde vor dem Grillen mit einer Paste aus Cashewkernen, weißem Pfeffer und Sahne bestrichen. „Weißes Huhn" taufe ich die Stücke, die ich allesamt aufessen könnte.
Das lassen wir lieber bleiben. Wir essen, typisch indisch, von allem ein bisschen. Probieren von der Thali-Platte mit verschiedenen Currys, Dhal, Reis, Chutney aus grünen Mangos und Naan-Brot. Stippen hier, naschen dort. Koriander-Minz-Chutney, Joghurt-Raita-Soße mit Gurken, Zwiebeln und Tomate, Salat und Papadam-Hütchen sind die Begleiter. Keines der Gerichte kostet auf der normalen Karte mehr als 15,50 Euro. Bestellt man die eine oder andere Soße oder ein, zwei kleine Vorspeisen für 3,80 bis 7,20 Euro dazu, bleibt es – gerade wenn man teilt – ein budgetkompatibles Mahl.
Biryani sonntags auf Vorbestellung
Das Dhal – lange, lange, lange mit Ingwer, Knoblauch und Butter sämig eingeschmorte Linsen – findet bei uns dreien ebenfalls großen Anklang. Dhal ist in Indien auf dem Land ein traditioneller Eiweiß- und Energielieferant. Zusammen mit Streifen von Bathura, dem handballgroßen, frittierten Hefebrot, gibt es Kraft für die Arbeit auf dem Feld. Unser Fotograf fühlt sich danach ebenfalls standfest genug, um sich mit „Paul John" zu befassen. Gaurav Sharma hatte den Indian Single Malt Whisky aus Goa empfohlen. Sharma ist Whisky-Kenner, und er weiß ihn mit Speisen zu kombinieren. Zu Silvester etwa schwebt ihm ein viergängiges Tasting-Menü vor, das von verschiedenen Single Malt Whiskys begleitet wird.
An Ideen, die Gäste mit besonderen Gerichten und Traditionen vertraut zu machen, mangelt es ihm und dem Chefkoch nicht. Montags bis freitags sind zwischen 12 und 16 Uhr wöchentlich wechselnde Mittagsgerichte mit Suppe und Reis im Angebot. Sie kosten zwischen fünf und 7,20 Euro. Sonntags kommt ab 14.30 Uhr Biryani auf die Tische. Es besteht aus in Butterschmalz angeröstetem und vorgekochtem Reis, der mit Gemüse, Fleisch und Gewürzen geschichtet und langsam im Topf fertiggekocht wird. „Bei uns gibt’s Gosht Biryani, mit Lammfleisch. Ohne Rosinen und ohne Schnickschnack", sagt Sharma. Eine Reservierung ist nötig: „Wir machen so viele Portionen, wie wir brauchen." Spontanes Nachkochen ist nicht möglich. Damit es den Stammgästen nie langweilig wird, gibt es ebenfalls eine wechselnde Monatskarte.
Der Plan, dass sich Inder in Berlin im „Bahadur" wohlfühlen sollen, kann als aufgegangen bezeichnet werden. Der Mutter der Freundin, die mit ihrem Mann in den 60er-Jahren eines der ersten indischen Restaurants in Berlin eröffnete, schmeckte es unlängst beim Familienbesuch. Sie lässt Grüße an Sharma ausrichten und fragen, ob das Kind des jungen Vaters wohlauf sei.
Wir wiederum stürzen uns mit letzten kulinarischen Kräften und Löffeln auf die beiden Desserts: „Shrikand", eine Joghurtcreme mit Pistazien und Safran, und „Kesar Kulfi", ein cremiges Milcheis mit Safran. Sie besänftigen unsere Mägen nach dem üppigen Mahl mit kühler und nicht übersüßer Cremigkeit und lassen uns anschließend mit Wohlgefühl nach Hause entschweben.