In den USA hat sich der Konsum von synthetischen Schmerzmitteln längst zu einer Epidemie entwickelt. Gerade hat US-Präsident Donald Trump sogar den Gesundheitsnotstand ausgerufen, denn stündlich sterben sieben Menschen aufgrund des Missbrauchs. Auch in Deutschland sind die Opioide auf dem Vormarsch – mit bis zu 300.000 Abhängigen und der neuen Killerdroge Fentanyl.
Als der Popstar Prince im April 2016 überraschend gestorben war, wurde nur allgemein von einer Überdosis starker Schmerzmittel als Todesursache gesprochen. Inzwischen weiß man Genaueres: Denn laut Gerichtsmedizin hatte die Musik-Ikone eine offensichtlich zu große Menge an Fentanyl zu sich genommen, einem 1960 entwickelten, sehr starken Narkotikum, das zu den Opioiden, einer Gruppe von synthetischen Substanzen mit morphinähnlichen Eigenschaften, gezählt wird. Fentanyl ist wie andere bekannte Opioide namens Oxycodon oder Hydrocodon strukturell mit dem halbsynthetischen Heroin verwandt, wirkt ähnlich, macht extrem schnell abhängig und wird daher häufig mit Heroin versetzt. Allerdings ist Fentanyl laut der „New York Times" „Heroins tödlicherer Cousin", weil es bis zu 50 Mal stärker als Heroin ist. Vor Prince war im Jahr 2008 auch schon der vor allem durch „Brokeback Mountain" international bekannt gewordene US-Schauspieler Heath Ledger Opfer einer Fentanyl-Sucht geworden. Öffentlich dazu bekannt haben sich bereits die US-Schauspielerin Winona Ryder oder die Musikerin Courtney Love.
165.000 Tote seit 1999
Die Sucht nach Opioiden hat sich in den Vereinigten Staaten längst zu einer Epidemie entwickelt, die das Leben von Millionen Amerikanern zerstört und sich immer weiter ausbreitet. Aktuellstem Zahlenmaterial zufolge sind schon mehr als zwei Millionen US-Bürger süchtig nach Opioiden, die eigentlich nur bei stärksten Schmerzen eingenommen werden sollten. Allein zwischen 1999 und 2013 hatten sich die Verschreibungen dieser Schmerzmittel laut Angaben der US-Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) verdreifacht. Die Zahl der Todesopfer hatte sich im gleichen Zeitraum sogar vervierfacht. Insgesamt kamen seit 1999 in den USA rund 165.000 Menschen durch Opioid-Überdosen ums Leben. Allein 2014 waren es mindestens 28.000 Menschen, davon 5.500 infolge von Fentanyl-Missbrauch.
Das Problem mit den Opioiden wird derzeit zusätzlich verschärft durch das Comeback des Heroins. Letztlich eine direkte Folge der Schmerzmittel-Sucht. Weil die Preise für Opioide auf Druck der US-Regierung deutlich angehoben und auch die lange Zeit fahrlässige Verschreibungspraxis inzwischen etwas strenger gehandhabt wird, stiegen viele Abhängige auf das billigere Heroin um, das von Mexiko aus massenweise in die USA eingeführt wird. Experten sprechen von einer regelrechten Heroinschwemme, die 2015 bei geschätzten 600.000 Abhängigen zu 13.000 Toten infolge einer Überdosis geführt hatte. Damit nicht genug, sind in den USA auch ständig neue, immer stärkere Opioide auf dem Vormarsch. Wobei Carfentanyl der absolute Killerstoff ist. Es soll 100 Mal stärker als Fentanyl sein, in der Tiermedizin wird es zur Betäubung von Elefanten eingesetzt. In der US-Drogenszene taucht es immer häufiger als Beimischung zum Heroin auf. Schon ein paar Krümel können einen Menschen töten, die US-Rauschgiftbehörde Drug Enforcement Administration, kurz DEA, deklarierte den Stoff als „wahnwitzig gefährlich".
Die Opioide-Epidemie in den USA ist gewissermaßen hausgemacht. Wurden starke Schmerzmittel noch in den 80er-Jahren fast ausschließlich nach Operationen oder bei schweren Krebserkrankungen verabreicht, wurden sie seit den 90er-Jahren ziemlich freizügig verschrieben. Nicht zuletzt deshalb, weil eine Reihe von inzwischen widerlegten Studien postuliert hatten, dass die mit der Einnahme verbundene Suchtgefahr als nicht sonderlich groß einzuschätzen sei. Damals begannen Pharmafirmen und Ärzte, Millionen von Amerikanern ziemlich wahllos mit starken, Opioide enthaltenden Schmerzmitteln wie Percoret, Oxycontin oder Vicotin zu füttern. Und sie damit in einen Wohlfühl-Nebel zu versetzen. Dadurch entstand ein riesiges Heer von Süchtigen, das auf Dauer seinen zunehmenden Bedarf nicht mehr nur auf legalem Wege decken konnte, sondern auch illegale Quellen wie den Drogenmarkt, korrupte Ärzte, kriminelle Apotheken oder Arzneigroßhändler nutzte.
Viel zu spät, erst im Jahr 2010, wurde das Suchtproblem von der US-Regierung erkannt. Es war festgestellt worden, dass allein die US-Bevölkerung 80 Prozent der weltweit verkauften Opioide-Schmerzmittel verkonsumierte und dass immer häufiger das direkte Umfeld eines Erkrankten, sprich Verwandte und Freunde, selbst zu den Schmerzpillen griff. Trotz des Versuchs, die Verschreibung der Medikamente etwas zu reduzieren, wurden 2014 in den USA immer noch mehr als 240 Millionen Rezepte für Opioide-Präparate ausgestellt – genug, um jeden erwachsenen Amerikaner mit einem eigenen Pillenfläschchen zu versorgen. Das bemühte Eindämmen der Opioiden-Ausgabe, was viele Betroffene durch ein erfolgreiches Doktor-Hopping zur Medikamentenverschreibung auszutricksen gelernt haben, hatte zudem das Florieren des illegalen Rauschgiftmarkts zur Folge, wo sich die Süchtigen als Ersatzdroge mit billigem Heroin eindecken können. Statt 50 Dollar für eine legale Opioide-Dosis auszugeben, kann ein Süchtiger einen Schuss Heroin schon für zehn Dollar erhalten.
Die US-Pharmaindustrie, die mit viel Geld eine starke Lobby in Washington unterhält, lässt nichts unversucht, den Schmerzmittel-Konsum ihrer Landsleute wieder anzutreiben. Laut einer gesponserten Studie wollen die Pillenhersteller herausgefunden haben, dass rund 40 Prozent der Amerikaner unter chronischen Schmerzen leiden – die natürlich nur mithilfe von starken Opioiden gelindert werden können. „Ich fürchte, wir werden keinen Rückgang in dieser Epidemie der Abhängigkeit erleben, bis die Verkaufszahlen der massiv beworbenen Medikamente sinken. Das ist noch ein langer Weg", ist sich Caleb Alexander, Co-Direktor des John Hopkins Centers für Medikamentensicherheit in Baltimore, sicher. Zusätzlich müsste laut Alexander unbedingt auch noch ein Therapieprogramm für Süchtige aufgebaut werden. Denn der Mangel oder in vielen ländlichen Kreisen sogar das Nichtvorhandensein von Therapieangeboten oder Therapieplätzen ist ein weiteres großes Erschwernis auf dem Weg zur Lösung der amerikanischen Opioide-Epidemie-Krise.
Starker Anstieg in Deutschland
Auch in Deutschland könnten Opioide bald zu einem ernsten Problem werden. Denn auch hierzulande ist die Zahl der von Ärzten verordneten Mengen dieser Schmerzmittel in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegen. Und zwar zwischen 2006 und 2015 um knapp ein Drittel, wie aus dem entsprechenden Eintrag im „Jahrbuch Sucht 2017" zu ersehen ist. Allein im Jahr 2016 war die Zahl der verschriebenen Opioide um 4,5 Prozent gestiegen, „ohne dass erkennbar wäre, dass die Patienten kränker geworden sind oder dass es neue wissenschaftlich begründete Indikationen gäbe", sagt Rainer Sabatowski, Leiter des Schmerz-Zentrums an der Universität Dresden. „All diese Mittel haben ein hohes Abhängigkeits- oder zumindest Missbrauchspotenzial", erklärt der Arzneimittel-Experte und „Jahrbuch"-Autor Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Zwischen 200.000 und 300.000 Bundesbürger sind inzwischen nach den hochpotenten Präparaten süchtig – Tendenz steigend.
Das hängt laut Glaeske vor allem damit zusammen, dass die Mittel bei Menschen mit chronischen Schmerzen – beispielsweise Rückenschmerzen oder Schmerzen durch Osteoporose – als sogenannte „Pflastertherapie" „oftmals zu schnell und zu hochdosiert" eingesetzt werden. Was bei Tumorpatienten oder bei Operationen sinnvoll sein mag, ist zur chronischen Schmerzbekämpfung nicht unproblematisch. Der Körper entwickelt eine Toleranz für Opioide, und daher müssen nach einiger Zeit immer größere Mengen eingenommen werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Das bringt häufig gravierende Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit, Verstopfung oder Atemdepression mit sich.
Gravierende Nebenwirkungen
Auch die EU, sprich die zuständige Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht der Europäischen Union (EBDD), schlug Anfang Juni dieses Jahres Alarm wegen der steigenden Zahl von Drogentoten im Rahmen der Gemeinschaft. Die Entwicklung wurde als „besorgniserregend" bewertet, wobei die Mehrzahl der insgesamt 8.441 Drogentoten 2015 (2014 waren 7.950 Todesfälle registriert worden, also sechs Prozent weniger) aufgrund von Überdosen von Heroin und anderen Opioiden gestorben war. Ganz besonders bedenklich fand die EBDD „zunehmende Gesundheitsgefahren durch hochpotente synthetische Opioide". Von denen wurden zwischen 2009 und 2016 gleich 25 neue Substanzen entdeckt. Sie seien so stark, dass schon kleine Mengen ausreichen, um unzählige Dosen zu produzieren. Und hier kam dann auch das Fentanyl ins Spiel. Das sei so gefährlich, dass selbst durch Hautkontakt oder Einatmen Dritten schwer geschadet werden könne. In Europa habe, so die EBDD, der Handel mit Fentanyl stark zugenommen. 60 Prozent der insgesamt 66 im Jahr 2016 entdeckten „neuen psychoaktiven Substanzen" seien Fentanyle gewesen. Doch noch sind laut der EBDD Kokain, Ecstasy und Amphetamine die meist konsumierten Drogen in Europa.