Bildung im Zeitalter einer wahrhaftigen Wissensexplosion bedeutet, neue Wege zu finden, effizient zu lernen. Der Megatrend des Neuen Lernens beschreibt Herausforderungen und Chancen für die Gesellschaft von heute und morgen.
Das Zukunftsinstitut in Frankfurt hat bereits im Jahr 2015 gleich elf Megatrends zusammengetragen. Einer davon heißt „Neues Lernen", und der ist auch zwei Jahre später noch nicht einmal in seinem Kern erfüllt. Doch was heißt das eigentlich? Am Lernen ist schließlich erst einmal nichts neu, Kinder machen das schon vom Zeitpunkt ihrer Geburt an, Tag für Tag. In der Schule wird der Lerneffekt dann von ausgebildeten Fachkräften begleitet mit dem Ziel, einem Lehrplan gerecht zu werden, aufgestellt vom Bildungsministerium, den Bildungsexperten heute als mehr als bedenklich bewerten.
Dabei bringen Kinder doch alle Voraussetzungen für eine positive Lernzukunft mit. Laut Neurobiologen wird jeder Mensch mit einer explodierenden Lernfreude geboren. Er will entdecken, erfahren, erleben. Diese Freude bezeichnen die Wissenschaftler als „Schatz der Kindheit". Um diesen zu erhalten und zu entfalten, braucht es hirngerechte Bildung. Das bedeutet, das Gehirn kann nur lernen, wenn das Erlebnis als solches mit emotionalen Aspekten verknüpft wird. Interesse und Lernwille können nur wachsen, wenn das Thema für das Individuum spannend ist. Nur so können eigene Gedanken entstehen, sich kreative Ideen entwickeln und sich schlussendlich eine Persönlichkeit herausbilden, die die Anforderungen der modernen Welt meistern kann.
Das wusste bereits die schwedische Reformpädagogin Ellen Key, die um 1900 erklärte: „Die Zeit ruft nach Persönlichkeiten, aber sie wird so lange vergeblich rufen, bis wir die Kinder als Persönlichkeiten leben und lernen lassen, ihnen gestatten, einen eigenen Willen zu haben, ihre eigenen Gedanken zu denken, sich eigene Kenntnisse zu erarbeiten, sich eigene Urteile zu bilden; bis wir, mit einem Wort, aufhören, in den Schulen die Rohstoffe der Persönlichkeit zu ersticken, denen wir dann vergebens im Leben zu begegnen hoffen."
Und obwohl das Thema keinesfalls neu ist, die Probleme lange bekannt sind, bleibt es vielerorts dabei. Lehrer stehen als Allwissende vor dem Schüler, versuchen in Form von Frontalunterricht die Anforderungen des Lehrplans zu bewältigen. Das leere Wissensfass soll am Ende des Schuljahres gefüllt sein. Ziel ist es, die vermittelten Lerninhalte wiedergeben zu können, ohne Rücksicht darauf, ob sich dieses Wissen wirklich festigt oder nicht. Es geht um das Wiederkäuen von Informationen, Kritiker sprechen von einer Art bulimischen Zustand. Das Kurzzeitgedächtnis nimmt alles auf, der Schüler speit es aus, und schon kurz darauf ist alles wieder vergessen.
Neues Lernen erfordert auch neues Lehren
Neues Lernen erfordert neues Lehren, eine Grundaufgabe der Institution Schule und die wahrscheinlich schwerste gleich mit dazu. Nicht zuletzt deshalb titelte bereits 2008 der Spiegel reißerisch „Die pädagogische Revolution hat begonnen". Und auch jetzt, 2017, steckt sie noch immer in den Kinderschuhen. Dabei ist längst klar, welche Kernkompetenzen in der Wissens- und Ideengesellschaft des 21. Jahrhunderts notwendig sind: Kreativität, Selbstkompetenz, Eigenständigkeit, emotionale Intelligenz und Teamfähigkeit. Deshalb sollen Lehrer Moderatoren sein, Schüler zum Selbstlernen anregen und die unterschiedlichen Kompetenzen, Ideen und Interessen stärken. War es während der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert noch notwendig, sich Sachkenntnis und solides Kernwissen anzueignen, um die Herausforderungen des Berufs kompetent zu erfüllen, sind heute andere Fähigkeiten gefragt. Die Gesellschaft ist im Wandel. Wissen ist überall abrufbar. Es gibt eine wahre Explosion von Bildungsgütern, und all das bietet eine unglaubliche Chancenvielfalt. Passende Angebote wahrzunehmen, die Bereitschaft für lebenslanges Lernen mitzubringen und einen eigenen Workflow zu entwickeln – das ist die Kernaufgabe des Neuen Lernens. Dazu braucht es eine angepasste Bildungssituation, die diesem Anspruch gerecht wird. Basierend auf den Thesen von Schilling, Sprenger und Calzaferri hat Franz Kühmayer im Jahr 2015 für das Fachsymposium Empowerment die fünf wichtigsten Thesen zur Bildung zusammengetragen:
Demnach soll Bildung in jeder Hinsicht offen sein. Das meint die Bereitschaft, sämtliche Zugangswege zur Bildung zu öffnen, nicht sturen Frontalunterricht zu bieten, sondern auch andere Wege des Lernens zugänglich zu machen. Bildung der Zukunft ist ferner geprägt von Kollaboration. Nicht nur die Schule als Lernzentrum soll Bildung vermitteln, es müsse vielmehr eine Verbindung von vielen Lernzentren, Bildungseinrichtungen und Sonstigem geben, um ein breites Angebot bieten zu können. Dazu müssen Bildungseinrichtungen künftig als Multi-Touch- beziehungsweise Multi-Channel-Einrichtungen fungieren. Sie sollen Raum bieten für eigene Lernerfahrungen, aber diese nicht stur vorgeben. Stattdessen, so die vierte These, soll Bildung der Zukunft geprägt sein von mehr Eigenverantwortung. Das setzt voraus, dass keine strukturierten Lehrpläne mehr existieren, es stattdessen mehr in den Händen der Schüler liegt, wie sie ihre Lernerfahrungen sammeln und deren Inhalte für sich aufbereiten. Das führt zur fünften und letzten These, nach der die Bildungseinrichtungen in der Zukunft vielfältigere Aufgaben wahrzunehmen haben, denn nur so werden sie dem steigenden Anspruch der Schüler gerecht. All diese Herausforderungen zu meistern liegt in der Hand der Verantwortlichen, die die Chancen hinter dem Neuen Lernen erkennen und sich diesen stellen müssen.
In anderen Ländern sind hierfür bereits erste Schritte getan. So gibt es in vielen Ländern Skandinaviens, aber auch in den USA und in Kanada längst unterschiedliche Selbstlernangebote wie offene Klassenräume, diverse Arbeitsgemeinschaften im Nachmittagsbereich, E-Learning-Kurse und vieles mehr. Hier können sich Schüler sogenannte Metakompetenzen aneignen, um Probleme der Zukunft zu lösen.
Ein großes Hindernis all dieser Chancen für das Individuum ist die Frage nach dem großen Ganzen. Bislang galt es, durch Lernen eine Art Wissenseinheit zu bilden, die sich dann am Tage des Abschlusses bündelte und die Schüler belegen konnten, wie erfolgreich der Schulweg und die spätere Universitäts- und Ausbildungszeit für sie war. Fakt ist: In Deutschland freuten sich laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2016 rund 492.000 Studenten über einen Hochschulabschluss, das sind etwa 16 Prozent der Gesamtbevölkerung, Tendenz steigend. In Kanada, Schweden, Finnland und Dänemark sind diese Zahlen wesentlich höher, hier sind es bis zu 60 Prozent aller Schüler, die später einen Universitätsabschluss in Händen halten.
Bildung ist mehr als auswendig Gelerntes
Doch was bringt dieser Abschluss, wenn er einen doch mehr schlecht als recht auf die nächsten 40 Jahre Berufsleben vorbereitet? Heute sieht ein klassischer Berufsweg nicht mehr gradlinig aus. Der Mensch lernt nicht einen Beruf und kann dann dieses Wissen bis zur Rente beibehalten. Stattdessen erwartet ihn ein bunter Arbeitsmarkt voller Möglichkeiten. Der klassische Kurzlebenslauf ist längst einem breiten Gemisch aus Jobs gewichen. Nur wer bereit ist, sich immer wieder neuen Aufgaben zu stellen und sich auszuprobieren, der wird bestehen können und Freude haben an seinen zukünftigen Aufgaben, sind sich Bildungsexperten sicher. Die Akademie für Potenzialentfaltung sieht genau hier einen Ankerpunkt zum Handeln: „Bildung ist mehr als auswendig gelerntes Wissen", sie muss mehr sein, denn nur so lassen sich Gestaltungslust und Entdeckerfreude ein Leben lang erhalten. Deshalb brauche es in der Zukunft eine Gesellschaft voller hochgebildeter Menschen. Bildung ist in dieser Vorstellung allerdings nicht gemessen am Bildungsabschluss, sondern an der Bereitschaft und Fähigkeit, sich ständig weiterzuentwickeln, zu lernen und neugierig zu bleiben.