Hans-Jürgen Hubert Dohrenkamp alias Jürgen von der Lippe (69) ist einer der bekanntesten deutschen Unterhaltungskünstler. Sein aktuelles Hörbuch „Der König der Tiere" erreichte Platz eins der „Spiegel"-Bestsellerliste. Sein neuester Coup ist eine Leselachshow im Internet. Der Komiker, Autor und Schauspieler über Lieblingsbücher, das Älterwerden und die Aufgabe von Humor.
Herr Dohrenkamp, Ihre neue Leselachshow heißt „Lippes Lese-Lust". Wollen Sie das Format Literatursendung neu erfinden?
Nein. Ich habe nur einen anderen Namen genommen, damit es sich von den alten „Was liest Du"-Sendungen unterscheidet. Man soll nicht den Eindruck bekommen, dass es sich um eine Wiederholung handelt.
Haben Sie einen anderen Blick auf Literatur als Ihre Kollegen vom Literarischen Quartett?
Wir haben relativ wenige Berührungspunkte, weil ich keine Besprechungen mache. Ich präsentiere alte und neue Bücher mit komischen Stellen. Anhand der vorliegenden Titel mache ich dann im Idealfall mit einem genialen Partner zusammen Comedy. Ich sage auch immer dazu, wenn ein Buch nur noch antiquarisch zu bekommen ist.
Welche Rolle spielt das Lesen in Ihrem Leben?
Ich bin von klein auf süchtig nach Büchern. Ich war immer das Kind, das in der letzten Stunde vor den Ferien vorgelesen hat. Gerade habe ich wieder ein spannendes Kinderbuch („Propeller Opa") von David Walliams eingelesen. Und auf den finnischen Top-Autor Arto Paasilinna bin ich als Hörbuch-Einleser abonniert. „Zehn zärtliche Kratzbürsten" ist schon älter und war ein Herzenswunsch von mir, es ist mit Abstand sein erotischstes Buch!
Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer Sendung auch junge Menschen für die Literatur begeistern können?
Was jetzt auf dem Kanal passiert, weiß ich nicht. Ich finde es einfach spannend, diese Show im Netz zu präsentieren. Sollte es sich als erfolgreich herausstellen, habe ich ganz viele andere Ideen. Bei „Was liest Du" hatten wir die jüngste Zuschauerschaft im WDR. Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass man Youtube den Kindern überlassen muss. Im Netz tummeln sich auch viele Silver Surfer.
„Ich gönne mir eine Literatursendung"
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Das kann ich ganz schwer sagen. Die Bücher meiner Kindheit – wie „Dr. Doolittle" und „Nils Holgersson" – habe ich allesamt geliebt. Bei „Onkel Toms Hütte" musste ich furchtbar weinen. Bis heute bin ich nah am Wasser gebaut. Jedes Jahr zu Weihnachten war Karl May genauso dran wie die von Hal Foster gezeichneten „Prinz Eisenherz"-Bände. Ganz früh gelesen habe ich die Sagen des klassischen Altertums.
Warum kommt „Lippes Lese-Lust" nicht ins TV?
Weil es keiner haben wollte. Ich hatte diesen Abend mit Jochen Malmsheimer zusammen schon lange geplant, als Lesung bei den Wühlmäusen in Berlin. Die Aufzeichnung wollte aber keiner haben, weshalb wir damit in vier Häppchen auf einen Youtube-Kanal gehen, auf dem auch fünf meiner Programme zu sehen sind. Und dann schaue ich, ob ich auf dieser Schiene weitermache oder alleine. Immer mehr Leute gehen nicht mehr ins Fernsehen, sondern arbeiten mit den Streamingdiensten zusammen.
Mit welcher Begründung hat man „Lippes Lese-Lust" abgelehnt?
Mit gar keiner. Sie werden sich gesagt haben: Der Opa hat lange genug seinen Spaß gehabt, jetzt wollen wir auf dem Sendeplatz innovative, sensationelle Ideen verwirklichen. Ich renne deshalb nicht den ganzen Tag rum und weine, ich mache es jetzt einfach auf mein Risiko und meine Kosten. Andere Leute kaufen sich teure Autos, ich gönne mir eine schöne Literatursendung.
Sehen Sie Ihre Zukunft im Internet?
Ich bin ausgelastet, ich habe meine Hallentourneen mit den Comedyprogrammen und meine Lesungen mit den Büchern. Mir ist einfach nur wichtig, dass mir keiner reinredet. Ich bin halt sehr verwöhnt. In der Kunst kann es nur heißen: „No risk, no fun." Einen richtigen Geistesblitz wird nur ein Einzelner haben. Aber heute geht es beim Fernsehen nur um Sicherheit, und es wird eklektizistisch von allen Erfolgsformaten irgendetwas zusammengekloppt. Das ist auch okay, aber wann ist der letzte echte Knüller im Fernsehen produziert worden? Seitdem Stefan Raab weg ist, ist Feierabend.
Nächstes Jahr werden Sie 70 Jahre alt. Denken Sie daran, ein wenig kürzerzutreten?
Nächstes Jahr toure ich statt drei nur noch zwei Wochen am Stück. Aber ich bekomme jeden Abend auf der Bühne von meinem Publikum mitgeteilt, dass ich ganz offensichtlich noch in der Lage bin, Menschen zum Lachen zu bringen – und zwar in einer höheren Gag-Dichte, als es bei den meisten der Fall ist. Ich habe nach wie vor Spaß an meinem Beruf und fiebere noch keiner Pensionsgrenze entgegen. Man wird mich wohl totschlagen müssen, um mich an der Ausübung meines Berufs zu hindern.
Kommt mit dem Alter die Weisheit?
So weit würde ich nicht gehen. Ich denke, dass ich es geschafft habe, bis kurz vor 70 der Kindskopf zu bleiben, der ich immer war. Es gibt den berühmten Ausspruch „Es ist nie zu spät, um eine glückliche Kindheit zu erleben". Als Unterhalter muss man neugierig bleiben und beobachten, was die Jungen machen, ohne ihnen hinterherzuhecheln. Sie sind fitter und schneller in der Birne. Schon allein das ist Grund genug, sich auch mit jungen Leuten zu umgeben.
Wie denken Sie über die Jugendsprache von heute?
Sie gehört zu meinem Handwerkszeug. Bei vielen Wörtern habe ich das Gefühl, dass sich da ein arbeitsloser Werbetexter im Bereich der Jugendsprache verwirklicht, weil sie so verkopft sind.
Der türkische Präsident Erdogan ist wegen Majestätsbeleidigung gegen den deutschen Satiriker Böhmermann vorgegangen. Geht heute in der Satire deutlicher weniger als früher?
Nein, Erdogan ist ja abgeschmettert worden. Ich habe natürlich die Berichterstattung verfolgt und mir daraus ein Opening gebastelt. Die „Süddeutsche Zeitung" hatte im Zuge der Satire-Diskussion junge Türken in Deutschland befragt und einer sagte: „Der Böhmermann hat überhaupt keine Ahnung von Muslimen. Wir würden doch keine Ziegen ficken, die fressen wir. Über Esel können wir reden!" Das war komisch und souverän.
Darf Satire unsachlich sein und muss sie wehtun?
Nicht jeder gute Witz hat eine aggressive Komponente, die sich gegen eine Person richtet. Aber eine aggressive Komponente muss schon sein, sonst ist so ein Gag wirkungslos.
Größte Wirkung mit Tabuverletzungen
Von Freud wissen wir, mit Tabuverletzungen lässt sich die größtmögliche Wirkung erzielen. Es darf halt nicht in Widerwillen beim Verbraucher umschlagen. Jemand, der diese Kunst beherrscht, kann wirklich alles sagen.
Können Sie die verstehen, denen bei dieser Massivität von Anschlägen die Lust auf Satire vergeht?
Nein, wir können uns nicht von ein paar Gestörten die Lust auf Humor als Lebenshilfe austreiben lassen. Humor ist das probate Mittel, um mit allen Unwirtlichkeiten des Lebens fertig zu werden, ob das ein persönlicher Verlust ist oder eine nationale Tragödie. Die Berichterstattung wird aber auch ein bisschen übertrieben, weil sie nur noch auf Sensationen abzielt. Weihnachten war ich mit meiner Frau im Urlaub, und wir verfolgten im Fernsehen, wie das Programm wegen des Anschlags in Berlin unterbrochen wurde. Den ganzen Abend wurde davon berichtet, aber es gab noch gar keine Fakten. Natürlich war das ein furchtbarer Anschlag, aber unterm Strich hätte man auch sagen können: Es ist etwas passiert. Sowie wir mehr wissen, unterrichten wir Sie.
Bücher schreiben, Lesungen halten, Fernsehsendungen und Comedy-Programm machen und dabei immer auf dem Laufenden sein: Wie kriegen Sie das alles auf die Reihe?
Ich sehe zu, dass ich jeden Tag schreibend verbringe. Das ist aber nichts Ungewöhnliches, in meinem Beruf gibt es keinen Feierabend. Ich schreibe immer ganz entspannt, dann kann ich es mir auch leisten, mehr Sachen wegzuschmeißen. Und im Urlaub koche ich gern, dafür sammele ich das ganze Jahr Rezepte.
Macht es eigentlich einen Unterschied, vor wem oder wo Sie auftreten, also ob im Fernsehen, im Internet oder auf der Bühne?
Naja, im Internet trete ich bis jetzt noch nicht live auf, aber es ist auf jeden Fall denkbar. Fernsehen ist immer ein zusätzlicher Kick, weil man da Dinge macht, die nicht geschrieben sind. Das lockt dann das Adrenalin aus seinem Häuschen. Und was Tourneen betrifft: Egal in welcher Gegend man ist, wenn man en suite spielt, ist kein Abend wie der andere. Die persönliche Befindlichkeit macht mindestens 50 Prozent aus. Standen tags zuvor die Leute auf den Stühlen, bin ich verwöhnt. Geht das Publikum dann aber nicht so aus sich raus wie am Vorabend, muss man aufpassen, nicht ärgerlich zu werden. Und wenn ich mit mir einmal überhaupt nicht zufrieden bin, gebe ich am nächsten Abend mindestens 30 Prozent mehr. Das lasse ich nicht auf mir sitzen.
Comedians füllen inzwischen die ganz großen Hallen. Gibt es für Live-Comedy eine „natürliche" Zuschauer-Obergrenze?
Das ist ein Phänomen, das schon wieder abebbt. Angefangen natürlich bei Mario Barth, unserem Weltmeister. Und das sage ich ohne jede Ironie. Wahnsinn, was der Junge da macht! Er ist wirklich sehr komisch, nur wenn jemand vor 100.000 Leuten steht, hat er eine andere Körpersprache als vor 120 Leuten. Da muss man anders arbeiten. Dieser Sachzwang ist nicht unbedingt günstig fürs Fernsehen, dort wirkt er nämlich übertrieben, aber man kann daran nichts machen. Ich möchte heute nicht mehr in 3.000er-Hallen auftreten, weil ich mich da nicht mehr wohlfühle, aber ich weiß noch, wie ich immer möglichst große Gesten gemacht habe. Man wird langsamer, weil der Schall ja auch braucht, um anzukommen. Vieles funktioniert in großen Hallen nicht. Der Hauptdarsteller der Serie „Breaking Bad" sagte einmal in einem Interview, er habe früher Theater gespielt vor 1.500 Zuschauern. Dort setzte man bei den Proben Leute in die letzte Reihe, die sagen sollten, was noch zu sehen ist und was nicht mehr geht. Das ist sehr spannend und wahnsinnig professionell.