Jacqueline Lölling ist derzeit die erfolgreichste Skeleton-Fahrerin der Welt. Im vergangenen Winter gewann sie das Triple als Europameisterin, Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin. Doch die 22-Jährige ruht sich nicht auf ihrem Erfolg aus. Im Sommer ist sie nun noch einmal besser geworden – und spätestens jetzt die große Favoritin für die Olympischen Spiele 2018 in Pyeongchang.
Der erste Gedanke ist unweigerlich: Die müssen doch verrückt sein! Wenn die Fahrer beim Skeleton bäuchlings und mit dem Kopf zuerst mit bis zu 135 Kilometern pro Stunde durch den Eiskanal schießen, das Gesicht nur wenige Zentimeter über dem Boden, dann kann einem schon vom Zuschauen ein bisschen mulmig werden. Skeleton ist eine faszinierende Sportart, die hierzulande allerdings immer noch klar im Schatten von Rodeln und Bobfahren steht. Am Erfolg kann es nicht liegen: Schließlich kommt mit Jacqueline Lölling die derzeit erfolgreichste Skeleton-Fahrerin der Welt aus Deutschland.
„Die letzte Saison war einfach Wahnsinn“
Die 22-Jährige hat im vergangenen Winter in ihrer Disziplin alles gewonnen, was man gewinnen kann. Erst wurde sie Europameisterin, dann Weltmeisterin, als jüngste Fahrerin der Geschichte, und schließlich auch noch Gesamtweltcup-Siegerin. „Die letzte Saison war einfach Wahnsinn“, sagt die junge Frau aus Siegen, die damit schon jetzt als eine der größten deutschen Medaillenhoffnungen für die Olympischen Winterspiele im Februar 2018 in Pyeongchang (Südkorea) gilt. Und der Wahnsinn könnte sich fortsetzen, wenn am 9. und 10. November in Lake Placid (USA) die neue Weltcupsaison eröffnet wird. Denn Jacqueline Lölling, die schon im vergangenen Jahr die Beste der Welt war, ist über den Sommer noch einmal besser geworden.
Fahrerisch fuhr sie vorher schon in einer eigenen Liga. Schwächen hatte Lölling dagegen bislang am Start, wo ihr die Konkurrenz stets ein paar Zehntel abnehmen konnte. Das lag zum einen an ihrer Körpergröße. Mit 1,76 Meter gehört sie zu den größten Fahrerinnen im Feld – „da ist es schwierig, in gebückter Haltung schnell zu laufen“, sagt sie. Anders als die Rodlerinnen, die beim Start bereits auf ihrem Schlitten sitzen, starten die Skeleton-Fahrerinnen nämlich im Stehen und springen nach einem kurzen Anlauf auf den Schlitten auf. Hinzu kamen technische Probleme, sodass Lölling ihre athletischen Fähigkeiten bislang nie richtig umsetzen konnte. Im Sommer hat sie deshalb verstärkt an ihrer Startphase gearbeitet. Mit Erfolg: Beim ersten zentralen Leistungstest vor der olympischen Wintersaison unterbot sie Mitte September erstmals die Fünf-Sekunden-Marke. „Das wird ihr weiteres Selbstvertrauen geben“, sagte Chef-Bundestrainer Jens Müller in der „Westfalenpost“.
Die ohnehin großen Erwartungen sind damit weiter gestiegen, auch wenn Müller im selben Interview davor warnte, seine Athletin schon jetzt zur Olympiafavoritin zu erklären. „Mal langsam. Wir müssen die ersten Fahrten und Weltcups abwarten. Anschließend weiß man, wo man selbst steht und wie sich die internationale Konkurrenz entwickelt hat“, so der Trainer des deutschen Bob- und Schlittenverbands (BSD). Lölling selbst lässt sich ebenfalls keinen Druck machen. Mit Blick auf ihr Alter sagt sie: „Druck haben doch eher die älteren Fahrerinnen, für die Pyeongchang die letzten Olympischen Spiele sein werden.“
„Druck haben doch eher die älteren Fahrerinnen“
So lange wird sie nicht auf eine Medaille warten wollen. Jacqueline Lölling war noch nie jemand, der die Dinge erst auf den letzten Drücker erledigt. Ihre Karriere verläuft bislang in ähnlich rasantem Tempo, wie sie selbst auch auf der Bahn unterwegs ist. Die erste WM-Medaille 2015 mit gerade einmal 20 Jahren und ohne vorher ein einziges Mal im Weltcup gefahren zu sein, im ersten Weltcuprennen dann gleich die erste Podestplatzierung, im zweiten Jahr der erste Weltcupsieg – dafür brauchen andere 20 Jahre. Sie war Juniorenweltmeisterin 2014 und 2015, holte 2012 Gold bei der Premiere der Olympischen Jugend-Winterspiele in Innsbruck. Seitdem hat sie davon geträumt, eines Tages auch einmal bei den „richtigen“ Winterspielen der Erwachsenen dabei zu sein. Diesen Traum wird sie sich, sofern keine Verletzung dazwischen kommt, in Pyeongchang erfüllen.
Die Bahn im Alpensia Sliding Center, auf der neben Skeleton auch die Wettbewerbe der Rodler und Bobfahrer ausgetragen werden, gilt als äußerst anspruchsvoll. „Sie hat einen ganz eigenen Rhythmus, das kann man schwer mit allen anderen Bahnen vergleichen“, sagt Jacqueline Lölling. Es ist also eine Bahn wie für sie gemacht. Eine Bahn, auf der fahrerische Qualität besonders zum Tragen kommt. Beim Weltcup-Finale im März konnte sie den Sieg davontragen, während die in der Gesamtwertung nach ihr platzierten Fahrerinnen allesamt große Probleme hatten. So landete ihre härteste Rivalin Tina Hermann dort nur auf Rang neun – ihr zweitschlechtestes Ergebnis des ganzen Winters. „Der Sieg dort gibt mir natürlich ein gutes Gefühl“, sagt Lölling. Andere behaupten, es bringe Unglück, wenn man den vorherigen Wettkampf auf der Olympiabahn gewinnt. „Wir werden sehen“, meint Lölling nur. „Olympia hat seine eigenen Gesetze.“
Erst seit 2002 ist Skeleton für die Frauen Bestandteil des olympischen Programms. Bisher hat noch keine deutsche Skeleton-Fahrerin je olympisches Gold gewonnen. Das beste Ergebnis waren 2010 in Vancouver (Kanada) eine Silbermedaille für Kerstin Szymkowiak sowie Bronze für Anja Huber. Jacqueline Lölling hat somit die Chance, deutsche Sportgeschichte zu schreiben. Sie selbst meint dazu: „Natürlich ist der Olympiasieg der Traum eines jedes Athleten, aber darüber will ich noch gar nicht nachdenken.“
Zum Skeleton kam Jacqueline Lölling mit zwölf. Vorher hatte sie Fußball, Leichtathletik und Rhönrad ausprobiert, aber alles nur hobbymäßig. Dann fragte 2007 ihre Sportlehrerin, deren Tochter Katharina Heinz ebenfalls erfolgreiche Skeleton-Fahrerin war, ob nicht mal jemand diese Sportart selbst ausprobieren will. Lölling wurde neugierig und wagte es. „Vor meiner ersten Fahrt war ich mega-nervös“, erinnert sie sich. „Und unterwegs wusste ich irgendwann gar nicht mehr, wo oben und unten ist.“ Wollte sie sich das wirklich häufiger antun? Sie wollte. Zwei Jahre später startete sie erstmals bei Deutschen Meisterschaften, 2010 feierte sie im Europacup ihr internationales Debüt, wo sie auf Anhieb die ersten beiden Rennen gewinnen konnte. „Wer bremst, verliert“ – dieses Motto beherzigte sie schon damals.
Gefährlich sei Skeleton im Übrigen nicht, sagt sie, auch wenn es auf den ersten Blick den Anschein hat. „Es sieht gefährlicher aus, als es ist“, sagt Lölling. Mehr als ein paar blaue Flecken passiere nur selten, so die Weltmeisterin. Weil die Fahrer wenige Zentimeter über dem Eis auf einem im Vergleich zum Rodeln deutlich schwereren Schlitten unterwegs sind – er wiegt zwischen 33 und 37 beziehungsweise bei den Männern 43 Kilogramm –, liegt der Schwerpunkt sehr tief und zudem unterhalb des Körpers. Ein Skeleton-Schlitten kippt deshalb auch in den steilsten Kurven nur selten um. Und wenn es doch mal zum Sturz kommt, kann der Schlitten nicht auf den Fahrer fallen und ihn verletzen. Auf der Internetseite des Bayerischen Skeleton-Clubs München (www.skeleton-sport.de), die einen guten Überblick über die Besonderheiten dieser rasanten Sportart bietet, heißt es: „Gleichzeitig hat der Sportler aber auch im Falle eines Sturzes die Möglichkeit, sich am Schlitten festzuhalten und sich wieder auf das Gerät zu ziehen. Das erspart den eventuell schmerzhaften Eiskontakt. Sollte dies nicht funktionieren und man verliert sein Gerät, fährt dieses ohne Sportler die Bahn weiter, und der Fahrer steigt, nachdem er ein paar Meter auf dem Eis gerutscht ist, aus der Bahn. Eis hat keine Balken, somit kann man nirgendwo dagegen fahren. Im schlimmsten Fall holt sich der Sportler leichte Abschürfungen, die aber meistens in Form von kaputter Kleidung auftritt.“
„Es sieht gefährlicher aus, als es ist“
Bei Jacqueline Lölling passieren solche Stürze äußerst selten. „Der Respekt ist aber immer da“, sagt die Siegerländerin. Zuletzt hat sie noch einmal anderthalb Wochen auf der Olympiabahn in Südkorea trainiert. „Die Form ist gut. Ich hoffe, dass ich an meine Leistungen aus dem vergangenen Winter anknüpfen kann.“ Die Befürchtung, dass ihre bislang beste Saison womöglich ein Jahr zu früh gekommen sein könnte, teilt sie nicht. Es sei nie zu früh für den Erfolg. „Europameisterin, Weltmeisterin, Weltcupsiegerin – das kann mir jetzt keiner mehr nehmen. Das steht schon einmal auf der Habenseite. Alles, was jetzt noch kommt, ist eine Zugabe.“