„Berlin tut gut“ – so wurde in den 80er-Jahren für einen Besuch an der Spree geworben. Dann sorgten Mauerfall und Wiedervereinigung für einen Neustart im Tourismus, dessen Erfolgsstory bis heute anhält. Denn nach London und Paris ist Berlin derzeit Nummer drei unter den meistbesuchten Metropolen. Und punktet dabei unter anderem mit seinem überwältigenden Kulturangebot zu verhältnismäßig günstigem Preis.
Neugier auf die jahrelang geteilte Stadt, vor allem auf den endlich problemlos zugänglichen Ostteil, ein Besuch bei den noch stehenden Resten der Mauer, durchtanzte Nächte in Kellerclubs abrissreifer Altbauten – in den 90er-Jahren gab es reichlich neue Gründe für eine Reise nach Berlin. Die Besucherzahlen zogen deutlich an, von rund 2,1 Millionen Gästen 1988 bis auf gut 3,6 Millionen zehn Jahre später. Die Zahl ausländischer Touristen verdoppelte sich fast in diesem Zeitraum auf 920.000.
Besonders geschickt sei es gewesen, dass Berlin diesen Hype durch gekonnte Inszenierung des Umbaus zur deutschen Hauptstadt genutzt habe. So seien auch in den Jahren darauf die Touristenzahlen weiter gestiegen, sagt Christian Tänzler, Sprecher der Berlin Tourismus und Kongress GmbH Visit Berlin. Ein Beispiel: die Großbaustelle Potsdamer Platz. In der Infobox habe man sich über Geschichte und Bebauung des Areals informieren können, Events wie die „tanzenden Kräne“ sorgten für spektakuläre Highlights und zogen Publikum an. Immerhin seien Zehntausende Menschen auf eine der damals größten Baustellen Europas gekommen, auf der es zeitweise nicht allzu viel zu sehen gab. Andere Städte hätten sich an dem Erfolgskonzept orientiert, ihre Großprojekte ähnlich inszeniert – beispielsweise das Centre Pompidou im lothringischen Metz.
Menschenströme verteilen sich gut
Einen richtigen Schub habe es dann noch einmal durch die Fußball-WM 2006 gegeben – da sei einfach alles zusammen gekommen, so Tänzler. Die sportliche Leistung des deutschen Teams, die weltweit ausgestrahlten Bilder von einer Hauptstadt im Fußballfieber voller gut gelaunter Menschen – das alles noch dazu bei bestem Wetter. Das habe zu deutlich höheren Besucherzahlen beispielsweise aus Brasilien geführt. Aber nicht nur der Fußball, auch die Feierlichkeiten und Events zum 20-jährigen und 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls hätten das Ihrige dazu beigetragen, dass die Touristenzahlen ständig gestiegen sind und das noch weiter tun. Kamen 2005 rund 6,4 Millionen Touristen in die deutsche Hauptstadt, davon knapp zwei Millionen aus dem Ausland, so waren es zehn Jahre später 12,3 Millionen Gäste – fünf Millionen von ihnen von jenseits der deutschen Grenzen. Die meisten reisen aus Großbritannien an, an zweiter Stelle rangieren die US-Amerikaner gefolgt von den Spaniern.
Viele dieser Besucher seien schon öfter in Berlin gewesen, oder anders herum gesehen: Sie kämen gern wieder. Gerade das vielfältige Kulturangebot, die riesige Auswahl an Museen, die dynamische Galerienlandschaft sind wichtige Anreize. Zudem lockt die Gastro-Szene, die sich schon lange vom verstaubten Image der ehemaligen Mauerstadt-Gastronomie befreit hat. Kreative Chefs aus aller Welt probieren in Berlin Neues, setzen Trends – um das zu entdecken, reisen viele gern auch für einen Kurztrip an die Spree. Bevorzugt mit einer der günstigen Flugverbindungen, die Berlin vor allem Großbritannien, Italien und Spanien „näher gebracht“ haben.
Viele, aber selten zu viele Touristen
„Wir möchten eine Segmentierung des Berlintourismus fördern“, erklärt der Visit-Berlin-Sprecher. Natürlich wolle jeder Erstbesucher das Brandenburger Tor, den Reichstag, die Museumsinsel sehen. Dann aber gingen die Interessen doch teilweise weit auseinander – von Design und Mode über Festivals, zeitgenössische Kunst oder Tanz bis hin zum Outdoorerlebnis in der Großstadt. Das alles könne Berlin bedienen, aufgrund seiner vielen ganz unterschiedlichen Kieze. Hier gebe es nicht, wie beispielsweise in Amsterdam oder Dubrovnik, ein Stadtzentrum, das schnell überlaufen sei. Die Menschenströme verteilen sich.
Und dort, wo Besucher- und Einwohnerinteresse möglicherweise aufeinanderprallen, ist das sogenannte Kiezmobil von Visit Berlin unterwegs. Hier will man Stimmen einfangen, sich über etwaige Probleme informieren, gemeinsam nach Lösungen suchen, was laut Tänzler gut funktioniert.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Tourismusfachleute mit der App „Going Local“. Berlinreisende können sich dabei Infos gemäß ihrer speziellen Interessen herunterladen, werden so auch in Gegenden der Stadt gelotst, die noch nicht in jedem Reiseführer stehen. Das trägt weiter dazu bei, dass es trotz der über zwölf Millionen Gäste im letzten Jahr erstaunlich wenige Punkte in der Stadt gibt, an denen aus vielen Touristen gefühlt zu viele werden.
Besucherströme verteilen, die Bevölkerung miteinbeziehen, eine enge Zusammenarbeit mit den Bezirken weiter vorantreiben – das sind Punkte, die in der neuen Tourismusstrategie Berlins eine Rolle spielen werden. Im kommenden Jahr soll sie von Wirtschaftssenatorin Pop präsentiert werden. Eines steht aber jetzt schon fest: Das Thema Nachhaltigkeit soll in allen Bereichen seinen Raum finden. Daneben werde es auch um den weiteren Ausbau und die Vermarktung des Sektors Gesundheitstourismus gehen, so der Visit-Berlin-Fachmann. Das sei ein erheblicher Wirtschaftsfaktor, der von der Öffentlichlichkeit bislang gar nicht als solcher wahrgenommen werde. Denn schon jetzt kämen wohlhabende Besucher aus dem Nahen oder Fernen Osten, um sich in Berlins Kliniken behandeln zu lassen.
Das Besondere: Es seien Gäste, die stets mit Entourage reisten – und diese sei an Kultur, Shopping und Gastronomie interessiert. 11,6 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr in Berlin durch Tourismus eingenommen. Und es sieht ganz danach aus, als ob auch dieses Ergebnis in den kommenden Jahren noch getoppt werden könnte.