Personaldiskussionen sind die logische Folge von Wahlverlusten. Entsprechend heftig geht es bei Union und SPD zur Sache. Zunehmend spannend wird die Frage, wer nach Merkel ins Kanzleramt einzieht. Ein Name fällt dabei immer wieder.
Für den „Stern“-Kolumnisten Hans Ulrich Jörges ist es schon seit Langem klar: „AKK ist Merkels Kronprinzessin“. Als Beweis für seine These zitiert er gern eine Episode kurz vor der Bundestagswahl. Damals habe eine Runde von Vertrauten im Amtszimmer von Bundeskanzlerin Angela Merkel über einen möglichen Ersatz für eine „Elefantenrunde“ im Fernsehen beraten, an der Merkel partout nicht teilnehmen wollte.
Dabei sei Merkel spontan der Name der Saar-CDU-Chefin und Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer eingefallen, wie Jörges von einem Teilnehmer der Runde erfahren haben will. Sofort sei ihr dann klar geworden, dass das ja nicht gehe und auch als Vorentscheidung für ihre Nachfolge gewertet werden könnte.
Die Bundestagswahl vom 24. September war nicht nur für die SPD ein Schock. Auch CDU und CSU rutschten gewaltig ab und müssen um ihren Ruf als Volksparteien bangen. Innerhalb von SPD und Union werden Stimmen laut, die auch eine personelle Erneuerung fordern.
Als Erstes steht die Entscheidung bei der CSU an. Die in Bayern siegesgewohnte Partei ist am 24. September auf unter 40 Prozent abgesackt, ihr schlechtestes Ergebnis seit 70 Jahren. Die Strategie von Ministerpräsident und Parteichef Horst Seehofer, sich als rechte Alternative zur AfD aufzustellen, scheint gescheitert.
Derzeit herrscht bei den Bayern eine Art Burgfrieden. Als Chefunterhändler seiner Partei bei den Koalitionsgesprächen hat Seehofer etwas Luft. Aber bei einem CSU-Parteitag, der von November auf Dezember verschoben wurde, dürfte die Personaldebatte bei den Bayern wieder neu aufbrechen. Die Anhänger von Seehofer-Kritikern, wie Finanz- und Heimatminister Markus Söder, scharren schon mit den Hufen. Bis Anfang kommenden Jahres könnte dann eventuell ein neues Personaltableau stehen: Bleibt Seehofer CSU-Chef? Und wer wird die CSU als Spitzenkandidat in die Landtagwahl im Herbst 2018 führen?
Nach drei verlorenen Landtagswahlen und dem Desaster bei der Bundestagwahl will sich die SPD jetzt in der Opposition neu aufstellen. Wahlverlierer und Parteichef Martin Schulz hat die Chance, den Übergang in die neue Zeitrechnung zu gestalten. Jörges etwa findet, Schulz müsse das „Regiment der alten Männer beenden“.
Als eine der starken Frauen gilt die Parteilinke Andrea Nahles, die jetzt zur Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gekürt wurde. Als weitere Kandidatinnen, die künftig eine noch größere Rolle in der Partei spielen könnten, gelten die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig und Noch-Sozialministerin Katarina Barley.
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz meldete sich jüngst mit einem kurz vor der ersten von acht Regionalkonferenzen veröffentlichten Positionspapier zur künftigen Aufstellung der SPD zu Wort. Titel: „Keine Ausflüchte! Neue Zukunftsfragen beantworten! Klare Grundsätze!“.
Die SPD will beim nächsten ordentlichen Bundesparteitag vom 7. bis 9. Dezember Pflöcke für einen inhaltlichen Neuanfang einschlagen. Für einen Personalwechsel ist es dann aber wohl noch zu früh.
Die Königsfrage stellt sich in der CDU. Wer folgt Angela Merkel als Parteichefin und Bundeskanzlerin nach? Spätestens seit der Bundestagswahl, bei der die Union 8,6 Prozent verlor, scheint klar, dass sie ihren politischen Zenit überschritten hat. Noch hat Merkel das Heft in der Hand und kann selbst einen geordneten Übergang regeln.
Vorstellbar wäre etwa, dass sie auf einem für Ende nächsten Jahres geplanten Wahlparteitag den Parteivorsitz abgibt. Im folgenden Jahr könnte sie auch als Kanzlerin zurücktreten, um rechtzeitig vor der nächsten Bundestagwahl eine Nachfolgerin aufzubauen.
Derzeit lässt sich Merkel nicht in die Karten schauen. Bei ihrer Kandidatur zur Bundestagswahl hat sie nur gesagt, dass sie eine volle Legislaturperiode weitermachen wolle – wenn sie gesund bleibe.
Die Kandidatenliste wird übersichtlicher
Warnzeichen aus der Partei gibt es seit der Wahlschlappe immer wieder. So stimmten bei der Wiederwahl zum CDU-Fraktionschef nur noch gut drei Viertel der Abgeordneten für Merkels Favoriten Volker Kauder. Und innerhalb der CDU wurden sowohl von Konservativen, als auch aus der Jungen Union Stimmen nach einem neuen Parteichef laut.
„Merkel muss ihre Nachfolge regeln“, kommentierte Ende Oktober die Schweizer „Neue Züricher Zeitung“. Die Zeitung, die als ein Leitmedium im deutschsprachigen Raum gilt, warnte die Kanzlerin vor dem Schicksal Helmut Kohls. Bei der Bundestagwahl 1998 hatte Kohl nach 16 Jahren als Kanzler eine Niederlage erlitten.
Die Frage nach der Merkel-Nachfolge ist nicht neu. Seit Jahren wird spekuliert, wer und wann die Rolle übernehmen könnte. Lange Zeit führten Finanzminister Wolfgang Schäuble, die derzeitige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Innenminister Thomas de Maizière die Liste an.
Schäuble hat sich nach der Wahl zum Bundestagspräsidenten aus der Kandidatenriege verabschiedet, und die beiden anderen gelten inzwischen nicht mehr als Favoriten. Von der Leyen fehlt Rückhalt in großen Teilen der CDU, erst recht seit dem Vorwurf, die Bundeswehr habe ein Haltungsproblem gegenüber Rechtsradikalen. De Maizière gilt als zu spröde für die Kanzlerrolle.
Schon auf dem Parteitag 2014 galten zwei weitere Frauen als Nachfolge-Favoriten: die CDU-Chefinnen von Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner, und Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, kurz AKK. Klöckner ist seit der verpatzten rheinland-pfälzischen Landtagswahl 2016 aus dem Rennen.
Inzwischen werden auch Jens Spahn sowie die gerade gekürten Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein, Armin Laschet und Daniel Günther gehandelt. Der ehrgeizige konservative Spahn gilt als Kandidat der jüngeren Garde, ist bei der Jungen Union beliebt, aber für die derzeitige Merkel-CDU zu rechts, Günther als zu jung, Laschet gilt im gerade zurückeroberten Düsseldorf als unabkömmlich.
Bleibt noch AKK. Schon 2014 bezeichnete das Politmagazin „Cicero“ die Saarländerin unter Berufung auf CDU-Führungskreise als „Merkels Nummer eins“. Kramp-Karrenbauer sei der Kanzlerin durch ihre ruhige nüchterne und sachorientierte Art aufgefallen. Im Saarland hat die heute 55-Jährige CDU-Landeschefin schon reichlich Regierungserfahrung.
2012 wurde sie Ministerpräsidentin, ein halbes Jahr später ließ sie die erste Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen auf Landeseben platzen, angeblich gegen den Rat der Bundesvorsitzenden. Der Mut zum Risiko von Neuwahlen wurde belohnt und sicherte ihr Anerkennung.
Die hohe Meinung soll sich bei Merkel verfestigt haben. Das meinen zumindest Beobachter der Berliner Politikszene wie Jörges. Der Stern-Kolumnist zeigt sich inzwischen sicher: „Wenn es nach Merkel geht, ist AKK ihre Nachfolgerin.“ Für die Partei wäre Kramp-Karrenbauer sogar die „bessere Merkel“.
Zum einen verkörpere sie die unter Merkel sozialdemokratisierte CDU. Zum anderen gilt die gläubige Katholikin als wert-konservativ, hat sich gegen die „Ehe für alle“ eingesetzt.
Bei den Verhandlungen über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist sie hart aufgetreten, hat für das Saarland – zumindest nach ihrer Auffassung – den bestmöglichen Kompromiss erreicht.
Bei „Jamaika“ hat es Merkel in der Hand
Als ihr Name 2014 erstmals als mögliche Merkel-Nachfolgerin auftauchte, sagte sie nur, das ehre sie sehr, doch stehe diese Frage gar nicht zur Diskussion. Ihre Tonlage hat sich verändert. Auf eine Frage des Saarländischen Rundfunks antwortete sie unlängst, sie strebe zwar kein neues Amt auf Bundesebene an, aber: „Ich habe in meinem Leben gelernt, dass es überhaupt nichts nützt, ob ich etwas ausschließe oder nicht.“
Die Saarländerin hat selbst nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie am liebsten in ihrer Heimat bleiben möchte. Aber wenn sie nach Berlin gerufen würde, könnte sie kaum Nein sagen, weiß ein altgedienter CDU-Politiker und Vertrauter von Kramp-Karrenbauer.
Skeptiker zweifeln, dass sie das Format für Berlin hätte. „So tüchtig sie im Saarland ist, ist das doch ein ganz anderes Gelände“, meint etwa der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter. Ob das am Ende auf AKK hinauslaufe, könne er nicht sagen. Wann Merkel ihre Nachfolge regelt, hänge erst mal davon ab, ob „Jamaika“ zustande kommt. Dann kann Merkel den Zeitpunkt eines Rückzugs selbst bestimmen. „Und bis dahin kann noch viel Wasser die Spree herunterlaufen.“, sagt Falter.