Vor 50 Jahren, im Juni 1967, schloss Berlin seine erste Städtepartnerschaft mit Los Angeles. Ein Gespräch über Städtepartnerschaften gestern und heute mit dem Politikwissenschaftler Kai Pfundheller.
Herr Pfundheller, sind Städtepartnerschaften noch zeitgemäß?
Städtepartnerschaften, so wie wir sie heute kennen, sind nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden. Leitgedanke der Gründung war der Frieden durch Austausch. Dabei sind zwei Entwicklungsstränge erkennbar. Zum einen die Etablierung von Städtepartnerschaften direkt nach dem Zweiten Weltkrieg mit Städten der Alliierten, wie zum Beispiel Bonn mit Oxford oder Hannover mit Bristol. Hier organisierte das Militär einen Austausch und zeigte beispielsweise den deutschen Ratspolitikern, wie Politik in einer Demokratie funktionieren kann. Oder aber sie schickten ausgezehrte Kinder in einen Erholungsurlaub. Der andere Strang waren die deutsch-französischen Partnerschaften ab Mitte der 1950er-Jahre, die im Zuge der Aussöhnungspolitik durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle auch massiv finanziell gefördert wurden. Aber auch wenn man sich die klassische deutsch-französische Städtepartnerschaft ansieht, muss man heute in einem positiven Sinne sagen: Es reicht nicht mehr, einen Bus für einen Schüleraustausch bereitzustellen. Andererseits sehen wir gerade auch, wie schnell europäische Selbstverständlichkeiten ins Rutschen geraten können. Aber natürlich gibt es heute andere Bedürfnisse an eine Partnerschaft.
Was sind das für Bedürfnisse?
Da gibt es viele, aber lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wir sprechen immer von einer internationalisierten Gesellschaft. Das stimmt aber so gar nicht. Oder es stimmt nur in Teilen. In einem universitären Umfeld oder auch in der Wirtschaft ist es heute fast selbstverständlich, einen Teil seiner Zeit im Ausland zu verbringen. Das zeigen zum Beispiel die Zuwachsraten bei den Erasmus-Stipendien. Am anderen Ende der Skala steht das Leonardo-Programm, das entsprechende Austausche bei Lehrberufen fördert. Aber von den Auszubildenden nimmt kaum jemand daran teil, nämlich unter einem Prozent. Also gibt es hier schon einen Bedarf nach internationalem Austausch. Da können Städtepartnerschaften einen Beitrag leisten.
Macht es denn Sinn, spezifische Themen in den Mittelpunkt einer Partnerschaft zu stellen?
Absolut. Wenn man an eine Stadt wie Berlin denkt, aber auch andere Großstädte, kann natürlich der fachliche Erfahrungsaustausch eine Rolle spielen. Zum Beispiel in Bereichen wie der Mobilität. Denn wissen Sie, die Problemlagen von Großstädten auf der Welt unterscheiden sich nicht so stark, wie man das vielleicht denken mag. In vielen Großstädten auf der Welt ist – um nur dieses Beispiel zu nennen – die Zukunft der Mobilität eine große Herausforderung. Selbstverständlich gibt es jede Menge internationale Fachforen, die man zu solchen Themen besuchen kann. Aber Städtepartnerschaften bieten darüber hinaus immer die Chance, ganz ungezwungen über Dinge zu reden. Die Amerikaner zum Beispiel interessieren sich stark für das deutsche Ausbildungssystem.
Es ist im Zusammenhang mit Städtepartnerschaften auch viel von „kommunaler Außenpolitik“ die Rede. Ist das ein mögliches Konzept?
In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind Städtenetzwerke entstanden. Prominentestes und größtes Beispiel sind die Eurocitys. Gegründet 1986 von Rotterdam, Frankfurt am Main, Barcelona, Birmingham, Lyon und Mailand. Heute sind unter anderem auch Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf, Leipzig, Stuttgart und viele andere europäische Städte vertreten, die zusammen rund 130 Millionen Menschen in die Waagschale werfen. Solche Zusammenschlüsse haben natürlich Gewicht und können ihren Einfluss im politischen Prozess geltend machen. Auf der anderen Seite gibt es etwa eine Schiene, die vom deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 herrührt – auch dort wird bilaterale Außenpolitik mit kommunalen Beziehungen vermengt. Die Grenzen sind fließend. Auch das Beispiel Köln ist interessant. Seit 1979 besteht die Partnerschaft mit Tel Aviv-Jaffa, 1996 ist die mit Bethlehem in den palästinensischen Autonomiegebieten hinzugekommen. Die außenpolitische Relevanz erklärt sich in solchen Fällen von selbst.
Berlin zum Beispiel unterhält auch Partnerschaften mit Städten wie Moskau, Istanbul oder Budapest, die derzeit mehr oder weniger auf Eis liegen. Ließen sich diese Kanäle nutzen, um mit Russland, der Türkei oder auch Ungarn wieder ins Gespräch zu kommen?
Politischer Austausch ist immer wünschenswert, aber es gibt zwei Denkschulen. Die eine besagt: „Klare Kante, Partnerschaften auf Eis legen.“ Die andere versucht, die Partnerschaft auf die zivilgesellschaftliche Ebene zu verlagern, ein bisschen nach dem Motto: „Jetzt erst recht!“ Aber das fällt kleineren Städten naturgemäß leichter als großen. Die partnerschaftlichen Aktivitäten stehen einfach mehr im Mittelpunkt als etwa Kontakte der Stadtspitzen. Hauptstädte wie Berlin stehen noch mal mehr im Fokus, da ist es naturgemäß schwieriger, alternative Wege zu finden. Gerade in Zeiten politischer Krisen ist der Austausch auf der zivilgesellschaftlichen Ebene meiner Ansicht nach umso wichtiger.
Gilt das auch für den Beginn einer Partnerschaft?
Meine Untersuchungen zeigen sehr klar: Partnerschaften, die von Beginn an von breiten Bevölkerungsschichten getragen werden, sind auch Jahrzehnte danach sehr viel aktiver als Städtepartnerschaften, die auf Initiativen Einzelner entstanden sind. Da kann ich wieder das Beispiel Köln anführen. Als in den frühen 50er-Jahren, wenige Jahre nach dem Holocaust, die ersten Kontakte nach Tel Aviv geknüpft wurden, bestanden sie in einem Schüleraustausch. Die Kölner Schüler waren in Absprache mit dem israelischen Bürgermeister als französische Jugendliche angekündigt – in der Tat waren wohl auch Franzosen darunter.
Kann auch die räumliche Distanz einer fruchtbaren Partnerschaft im Wege stehen?
Ja, eindeutig. Die einfache Erreichbarkeit spielt eine große Rolle. Einen Schüleraustausch mit Los Angeles organisiert man nicht so leicht.
Sind Partnerschaften innerhalb Europas also grundsätzlich sinnvoller?
Mehr als 90 Prozent der Städtepartnerschaften deutscher Städte sind in Europa angesiedelt. Aber wichtiger noch ist, dass eine konzeptionelle Idee dahinter steht. Im Falle Berlin und Los Angeles kann dies zum Beispiel Film und Kunst sein, das verbindet die beiden Städte.
Der klassische Schüleraustausch spielt aber eher bei innereuropäischen Partnerschaften die Hauptrolle?
Das ergibt sich schon aus den nackten Zahlen. Von den rund 5.200 Partnerschaften deutscher Städte sind 91,5 Prozent in Europa. Speziell mit Frankreich bestehen 2.100 Städtepartnerschaften, mit Großbritannien 500, mit Polen 420. Das ist der Kern. Und da spielt der Schüleraustausch weiter eine wichtige Rolle. Aber zum Beispiel auch der Kreisverkehr kam ganz wesentlich als Ergebnis der zahlreichen deutsch-französischen Kontakte wieder zurück nach Deutschland. Wichtigen Input lieferten französische Gemeinden auch beim Thema Migration und Integration von Einwanderern. Da waren die schneller.
Was hat umgekehrt den Weg nach Frankreich gefunden?
Das ist immer schwieriger zu sagen, weil ich mich hauptsächlich mit der deutschen Seite beschäftige. Aber das deutsche Berufsbildungssystem ist ein Dauerbrenner. Ebenso die Entscheidungsstrukturen in deutschen Kommunen oder die Umstrukturierung bei Kohle und Stahl.
Leiden Städtepartnerschaften auch unter der großen Mobilität heutiger Gesellschaften? Stichwort Billigflieger …
Insofern, als es nicht mehr reicht, einen Bus hinzustellen, der die Leute in die Partnerstadt bringt. Die Ansprüche heute sind andere. Das muss nicht schlecht sein. Denn wenn sich Städtepartnerschaften auf das touristische Programm beschränken, wären sie verfehlt.
Haben kleinere Städte es da grundsätzlich leichter?
Wie gesagt, es muss ein Plan dahinterstecken. Was ist das Ziel der Städtepartnerschaft, was möchte ich erreichen? Aber nicht selten ist dies für kleinere Städte tatsächlich einfacher. Städte ab 500.000 Einwohner nutzen viel stärker auch Netzwerke und versuchen sich auf diese Weise international einzubringen.
Was meinen Sie mit Plan, können Sie mir ein Beispiel nennen?
Sehr gerne. Viele Kommunen in Deutschland haben Nachholbedarf im Bereich Migration und Integration. Hier finde ich das Beispiel Versmold in Nordrhein-Westfalen sehr beeindruckend. Die 20.000-Einwohner-Stadt hat eine relativ große spanische Community, die zu 80 Prozent aus einer Gemeinde in Galicien, aus Tui, stammt. Also hat Versmold mit Tui eine Partnerschaft abgeschlossen, um das Verständnis füreinander zu erhöhen. Und der größte Erfolg bestand darin, die spanische Community in der eigenen Stadt näher ans Rathaus zu holen. Und der Erfolg zeigt sich, aktuell stammt ein Ratsherr der Stadt Versmold aus Spanien. Eine Stadt wie Berlin hat natürlich eine andere Rolle, in der Hauptstadt spielt die politische Komponente immer auch eine Rolle. Und das ist auch wichtig, in einer globalisierten Welt ist auch der politische Austausch zentral – Stichwort kommunale Außenpolitik.
Werden eigentlich noch viele Städtepartnerschaften geschlossen?
Der Trend, neue Partnerschaften abzuschließen, ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Es lassen sich drei große Wellen ausmachen. In den 50er und 60er-Jahren entstanden Partnerschaften im Zuge der Versöhnungspolitik mit dem Westen, nicht zuletzt der deutsch-französischen Freundschaft. Die machen bis heute den Löwenanteil aus. Die zweite Welle beginnt 1980, als im Zuge der Entspannungspolitik Partnerschaften mit osteuropäischen Städten geschlossen wurden. Ab 1986 (Saarlouis – Eisenhüttenstadt) gab es auch erste deutsch-deutsche Partnerschaften, nach dem Mauerfall kamen noch zahlreiche weitere hinzu. Aber natürlich gibt es irgendwann auch eine sinnvolle Höchstzahl an Partnerschaften, die sich überhaupt noch pflegen lässt. So muss man die heutige Zurückhaltung bei Partnerschaften sehen. Andererseits haben gerade Kiel und San Francisco einen Freundschaftsvertrag geschlossen.