Die Gründung von „Athleten Deutschland" markiert einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Spitzensports. Am Ende der Entwicklung könnte nicht weniger als eine Umwälzung der Kräfteverhältnisse stehen.
m deutschen Leistungssport knirscht und rumort es. Längst hat sich der Unmut über die ausgesprochen holprig verlaufende Reform der Spitzensportförderung zur latenten Unzufriedenheit ausgewachsen. Ein Resultat auch dieser Probleme ist Mitte Oktober die Gründung der Sportler-Interessenvertretung „Athleten Deutschland" gewesen: Deutschlands Asse nabeln sich von den Funktionären ab und streben nach mehr Autonomie, mithin also nach mehr Einfluss auf unmittelbar die Aktiven betreffende Entscheidungsprozesse und Beschlüsse.
Fecht-Europameister Max Hartung und die Weltklasse-Kanutin Silke Kassner als treibende Kräfte hinter der Athleten-Initiative haben aber womöglich einen Stein ins Wasser geworfen, der schon bald noch höhere Wellen schlagen könnte. Denn bereits kurz nach der Ausrufung von „Athleten Deutschland" mit Mitgliedern aus Sportarten aus der sogenannten zweiten Reihe (neben Fechten und Kanu auch Rudern oder Turnen) regte sich auch bei prominenten Aktiven aus den Profi-Ligen der populären Mannschafts-Sportarten außerhalb des Fußballs lebhaftes Interesse an einem erneuten Anlauf zur Gründung einer Gewerkschaft für Berufssportler.
Die Sorgen aller Protagonisten sind groß und vielfältig. Verdienstfragen stehen dabei gar nicht einmal im Vordergrund. Vielmehr kämpfen die Sportler hauptsächlich für geeignete und würdige Rahmenbedingungen zur Vorbereitung und Konzentration auf ihre Arbeit und angemessene Möglichkeiten zum Einstieg ins Berufsleben nach der aktiven Karriere. Kritik seitens der Hauptdarsteller fordern auch zunehmend die größer werdenden Belastungen durch immer mehr Termine heraus.
Handball-Weltmeister Johannes Bitter freute sich über den wichtigen Schritt seiner Sportler-Kollegen Hartung und Kassner. „Es ist ein großes Zeichen, dass sich etwas tut. Die einzigen, die keine Stimme im Sport haben, sind die Sportler selbst – das kann nicht sein", meinte der Weltklasse-Torhüter.
Bitter war schon vor sieben Jahren innerhalb seiner Sportart Vorreiter für die Spieler-Vereinigung Goal. Das Projekt schlummert momentan aufgrund der ehrenamtlichen Strukturen, die eine intensive Bearbeitung von Schwierigkeiten praktisch unmöglich macht. Durch „Athleten Deutschland" sieht der 35-Jährige nunmehr allerdings die Chance zum ganz großen Wurf durch eine sportartübergreifende Gewerkschaft für Profis. Eine Verschmelzung der unterschiedlichen Vereinigungen und des neuen Vereins „zu einer Dachgewerkschaft würde Sinn machen. Es gäbe sicher sehr viele Synergieeffekte."
So weit hatten die Athleten-Vertreter bei ihrer Gründungsversammlung in Köln allerdings noch gar nicht gedacht. Im Kern wollen Hartung und Kassner aufgrund ihrer Erfahrungen in der Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vorrangig die Möglichkeiten der Aktiven zur Einflussnahme verbessern. „Der Sport wird professioneller, die Themen werden komplizierter. Um da richtig dabei sein zu können, reicht die ehrenamtliche Struktur nicht", meint Hartung und verweist auf seine bisherige Mehrfachbelastung durch Sport und Athletenarbeit. Mit einem noch abzusichernden Etat von 300.000 bis 400.000 Euro, für den die Politik bereits positive Signale gesendet hat und der nach den Vorstellungen der Sportler nicht auf Kosten der allgemeinen Spitzensportförderung gehen soll, will „Athleten Deutschland" eine Geschäftsstelle mit drei fest angestellten Mitarbeitern betreiben und dadurch ein wirksames Sprachrohr für die deutschen Spitzensportler besonders in Sachen Förderung und Zukunftssicherung sein.
In mehreren deutschen Profi-Ligen allerdings kam das Signal von der Athletenvollversammlung in Köln auch als Weckruf an. Unversehens ist eine Gewerkschaft für Berufssportler wieder ein Thema. „Es gibt seit längerem Versuche. Es scheitert aber daran, dass es ehrenamtlich läuft. Wir hoffen, jetzt die Ressourcen zu bekommen", sagte etwa der ehemalige Volleyball-Nationalspieler Max Günthör.
„Professionelle Vertretung"
Der Volleyball-Aktivensprecher und der Basketballer Sascha Leutloff sorgten denn auch bei der Gründung von „Athleten Deutschland" dafür, dass die Unterstützung von Profisportlern auf dem Weg zu einer eigenen Gewerkschaft als eines der Vereinsziele formuliert wurde. „Die, die in Arbeitnehmerverhältnissen mit Vereinen stehen, brauchen eine professionelle Vertretung", forderte der 32-Jährige, der dabei nicht auf finanzielle Hilfe, sondern auf „Kontakte und Know-how" hofft.
Die Resonanz in anderen Mannschaftssportarten ist in der Tat groß. „Ich finde es eine gute Sache", sagte Eishockey-Nationalspieler Christian Ehrhoff: „Die Spieler können so besser ihre Rechte und Anliegen durchsetzen."
Denn abgesehen von der 1987 aus der Taufe gehobenen „Vereinigung der Vertragsfußballer" (vdv) waren in Deutschland Versuche für die Etablierung einer Gewerkschaft in einzelnen Sportarten bisher kaum erfolgreich. Während die Handballer zumindest über ihre europäische Vertretung EHPU im Kontinentalverband EHF bei Profi-Themen mit am Tisch sitzen, sind Bemühungen im Basketball und Eishockey gescheitert.
In den 90er-Jahren gründete Ex-Nationalspieler Jörg Hiemer die „Vereinigung deutscher Eishockeyspieler" (vde), zu Beginn des neuen Jahrtausends versuchte der damalige Nationalspieler Jörg Mayr erfolglos eine Wiederbelebung dieser Idee.
Im Basketball riefen Nationalspieler 2005 als Reaktion auf das Bosman-Urteil und den drastischen Anstieg ausländischer Spieler in der Bundesliga die Spieler-Initiative „SP.IN" ins Leben. „Sie hat eine Quotenregelung durchgesetzt", verweist Leutloff zwar sogar auf einen vorweisbaren Erfolg, „aber es wurde versäumt, professionelle Strukturen zu schaffen. Die Organisation liegt brach."
Günthör hofft durch „Athleten Deutschland" ausdrücklich nicht auf finanzielle Unterstützung. Eine Gewerkschaft müsse sich durch ihre Mitgliedsbeiträge selbst finanzieren, sagte der Volleyballer. Vorbild sind die mächtigen Spielervereinigungen in den nordamerikanischen Profiligen. „In Amerika funktioniert es sehr gut", meint der frühere NHL-Profi Ehrhoff dazu.
In der Natur der Sache begründet der Wunsch der Sportler aller Bereich nach mehr Autonomie und Mitbestimmung einen Verteilungskampf mit der herrschenden Kaste der Verbandsfunktionäre. Auf dem Spiel stehen Macht und Geld. Kein Wunder also, dass Organisationen wie der DOSB oder die Deutsche Eishockey Liga (DEL) ausgesprochen reserviert auf die neuen Entwicklungen reagieren. Kenner der Szene werten die Zurückhaltung von Spitzenfunktionären sogar nur als Tarnung für grundsätzliche Ablehnung von wirklicher Teilhabe der Aktiven an wichtigen Entscheidungen.
Reaktionen des DOSB lassen solche Vermutungen jedenfalls nicht unbedingt als abwegig erscheinen. „Wir haben eine funktionierende Athletenvertretung", sagte DOSB-Vorstandschef allen Ernstes in Hartungs Anwesenheit und ignorierte damit völlig die Schilderungen von Deutschlands Aktivenvertreter Nummer eins. Schon vor der Gründung von „Athleten Deutschland" hatten Vesper und DOSB-Präsident gegenüber den Fachverbänden, von denen mehrere durchaus Sympathien für die Initiative der Sportler erkennen lassen, das gesamte Vorhaben nachdrücklich infrage gestellt.
Die Vorgehensweise hat offenbar Methode. Die DEL jedenfalls erteilte den Hoffnungen ihrer Profis auf eine gewerkschaftliche Vertretung ihrer Interessen mit vergleichbaren Argumenten eine indirekte Abfuhr: „Ich glaube nicht, dass die Situation schlecht ist und durch eine Gewerkschaft verbessert würde", sagte Geschäftsführer Gernot Tripcke.
Doch in ihrem teilweise existenziellen Kampf sind die deutschen Spitzensportler zur Verbesserung ihrer Situation mittlerweile fest entschlossen – und haben prominente Fürsprecher. „Ich habe", sagt etwas Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen, „schon immer kritisiert, dass der Athlet zu wenig wahrgenommen wird. Wir sind die Protagonisten – und wir dürfen eine Meinung haben. Die wird nur gern unter den Tisch gekehrt."