Für den Berliner Ulrich Feick ist das Fahrrad „die beste Erfindung, die die Menschheit je gemacht hat". Für seinen Museumsladen im Bezirk Spandau hat der 58-Jährige zahlreiche Schätze aus 200 Jahren Fahrradgeschichte zusammengetragen.
Was es dort nicht alles gibt: ein Fahrrad mit Fahrtrichtungsanzeiger; ein Hochrad-Dreirad für Kinder; Fahrräder von Opel und Mercedes-Benz, die man heutzutage nur noch als Autohersteller kennt. All diese Schätze hat Ulrich Feick in seinem Museumsladen in Berlin-Spandau zusammengetragen. Dort gibt es historische Räder aus zwei Jahrhunderten Fahrradgeschichte zu bewundern. Einige von ihnen haben es sogar schon ins Kino geschafft: In der letzten Szene der Neuverfilmung von „Effi Briest" aus dem Jahr 2009 ist Hauptdarstellerin Julia Jentsch auf Berlins Prachtboulevard Unter den Linden zu sehen, um sie herum Fußgänger und Fahrradfahrer – mit den Modellen von Ulrich Feick.
Das älteste Rad in seiner Sammlung stammt von 1869; es handelt sich um ein Tretkurbelrad, ein sogenanntes Velociped – das erste Fahrrad, das mit Pedalen ausgestattet war. Erfunden hatte es der Franzose Pierre Michaux, daher nennt man sie auch manchmal Michaux-Räder. Es war eine Weiterentwicklung dessen, was Uli Feick als „die beste Erfindung, die die Menschheit je gemacht hat" bezeichnet: Vor 200 Jahren, am 12. Juni 1817, erfand der Mannheimer Karl Freiherr von Drais ein hölzernes Laufrad mit zwei Rädern – das erste Fahrrad der Geschichte, das der Entwickler auf den Namen „Draisine" taufte. Ein Nachbau steht auch bei Feick im Museum. Die Fortbewegung der Menschen wurde dadurch deutlich beschleunigt. Man könnte auch sagen: effektiviert. „Das Fahrrad ist das einzige Fahrzeug mit einem Wirkungsgrad von über 100 Prozent", sagt Ulrich Feick. Ein 20 Kilo schweres trage problemlos einen vier Mal so schweren Menschen; dagegen müssten beim Autofahren zwei Tonnen in Bewegung gesetzt werden, um eine 80 Kilo schwere Person zu befördern.
Seine Fahrräder waren schon in Filmen
Ulrich Feick ist gelernter Zimmermann, aber gleichzeitig ein begeisterter Radfahrer. „Ich habe bis heute kein Auto und keinen Führerschein", sagt er. 1983 machte er dann sein Hobby zum Beruf und eröffnete in der Spandauer Jagowstraße ein Fahrradgeschäft. Den Laden gibt es bis heute, auch wenn Feick mittlerweile kaum noch Räder verkauft – „das läuft heutzutage fast alles über die großen Ladenketten", sagt er. Doch nach wie vor ist er für viele Besitzer gerade älterer Modelle die erste Anlaufstation, wenn es um die Reparatur ihrer liebgewonnen Oldtimer-Räder geht. Bei Ulrich Feick bekommen sie die passenden Ersatzteile für ihre Fahrradklassiker.
Der Laden feiert 2018 sein 35-jähriges Bestehen. Das Museum wird im nächsten Jahr zehn Jahre alt. Im Mai 2008 eröffnete Feick die Räumlichkeiten, die sich direkt neben seinem Geschäft befinden. Über viele Jahre hatte er Dutzende historische Zweiräder und altes Zubehör zusammengetragen, teils als Mitbringsel von Kunden, teils von anderen Fahrradläden aufgekauft – Ladenhüter, für die dort niemand mehr Verwendung hatte. Nun gab es endlich auch den passenden Rahmen, um die Kollektion zu präsentieren. „Mit der Eröffnung des Museums ist ein Traum von mir in Erfüllung gegangen", sagt er.
Ein Besuch lohnt sich nicht nur für Technikbegeisterte. Denn die Geschichte des Fahrrads ist immer auch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse zu jener Zeit. Es ist eine Zeitreise in die deutsche Sozialgeschichte. Im 19. Jahrhundert etwa war das Fahrrad fast ausschließlich ein Sport- und Spielgerät der reichen Oberschicht. Ein Rad kostete damals so viel, wie ein Facharbeiter in einem halben Jahr verdiente, teilweise sogar noch mehr – das konnten sich viele schlicht nicht leisten. Und selbst wenn, dann hätten sie nach einer 72-Stunden-Arbeitswoche wohl auch gar keine Muße mehr gehabt, sich aufs Rad zu schwingen. Als die Preise später sanken, leistete das Fahrrad einen wichtigen Beitrag zur Emanzipation der Frau. Bodenlange Röcke waren zum Radfahren eher ungünstig, also wagten sich ein paar mutige Frauen in Hosen aufs Hochrad. Später ließen sie auch noch das Mieder weg, das sie eingeschnürt hatte, um beim Fahren freier atmen zu können. Mit der Kleiderordnung lockerte sich auch die gesellschaftliche Stellung der Frau. „Das Fahrrad bedeutete für die Frauen ein Stück Freiheit", sagt Ulrich Feick. Mit einem Mal waren sie nicht mehr nur an den heimischen Herd gefesselt, sondern konnten auf zwei Rädern die Welt erkunden.
Knapp 400 Räder im Depot
Seit 1992 ist Feick auch Mitglied im Verein „Historische Fahrräder Berlin", er war sogar eines der Gründungsmitglieder. Radkultur bewahren, historische Räder bewegen, Menschen begeistern – das hat sich die Gruppe auf ihre Fahnen geschrieben. Der Verein organisiert immer wieder Ausstellungen und jedes Jahr im September einen großen Fahrrad-Klassik-Markt, und er steht wie im Fall von „Effi Briest" auch für Filmaufnahmen bereit. Regelmäßig unternehmen die Mitglieder zudem gemeinsame Ausfahrten, natürlich stilecht in historischer Kleidung. Der Berliner Verein ist Mitglied im deutschen Dachverband „Historische Fahrräder e.V.", einmal im Jahr trifft man sich mit Gleichgesinnten aus der ganzen Bundesrepublik zur „Velocepiade". Es gibt auch eine eigene Zeitschrift: den „Knochenschüttler". Autor der meisten Artikel über alte Fahrradtechnik ist Ulrich Feick.
Zum 200. Jubiläum der Erfindung des Fahrrads stellte der Verein in Spandau eine große Ausstellung auf 240 Quadratmetern auf die Beine. In ganz Deutschland gab es in diesem Jahr Fahrradschauen – nur im Deutschen Technikmuseum in Berlin nicht. Dabei besitzt das Haus eine der größten Fahrradsammlungen Europas, knapp 400 Räder lagern im Depot. Gezeigt wurde davon nichts, was Ulrich Feick nicht verstehen kann, schließlich sei das Fahrrad „das erste Verkehrsmittel gewesen, das für die Allgemeinheit bezahlbar war". Dass es im Technikmuseum nicht entsprechend gewürdigt wurde, stimmt ihn traurig. Es hatte aber auch seine guten Seiten: So kamen Schulklassen, die etwas über die Geschichte des Fahrrads lernen wollten, stattdessen zu ihm in den Museumsladen. Ein modernes Fahrrad besitzt der 58-Jährige übrigens auch, zur Arbeit fährt er mit einem Trekkingrad. Oldtimer seien für den Alltag im Straßenverkehr nämlich nur bedingt tauglich, sagt Feick. Er meint: „Reflektoren sehen bei einem historischen Fahrrad einfach Mist aus."