Am 17. November 1997 richteten islamistische Attentäter ein Blutbad mit 62 Toten in einer der größten Touristenattraktionen Ägyptens an. Viele Details des Verbrechens blieben bis heute ungeklärt.
Obwohl der Anschlag vor dem Ägyptischen Museum in Kairo, bei dem zwei islamische Fundamentalisten neun deutsche Urlauber und deren einheimischen Busfahrer erschossen hatten, gerade mal zwei Monate zurücklag, befanden sich am frühen Morgen des 17. November 1997 unter den Besuchern des terrassenförmig angelegten Totentempels der Königin Hatschepsut in Deir-el-Bahari am Westufer des Nils vor den Toren Luxors auch deutsche Touristen. Sie hatten die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes offensichtlich nicht ernst genommen. Vielleicht auch, weil von ägyptischer Regierungsseite der Kairoer Anschlag als Amoklauf eines einzelnen Psychopathen deklariert worden war und ausländische Besucher nichts zu befürchten hätten.
Gegen 9 Uhr waren Schätzungen zufolge immerhin schon rund 400 Touristen auf Besichtigungstour durch die weitläufige Anlage, die seinerzeit täglich bis zu 4.000 Menschen angelockt hatte. Besondere Sicherheitsmaßnahem gab es nicht, sämtliche Monumente rund um Luxor, darunter vor allem die Sehenswürdigkeiten im Tal der Könige, wurden von gerade einmal 35 Beamten der lokalen Touristenpolizei überwacht.
Als die morgendliche Stille plötzlich durch peitschende Gewehrsalven durchbrochen wurde, war niemand zur Stelle, der den panischen Besuchern und ihren ebenso verschreckten ägyptischen Führern hätte zur Hilfe kommen können. Wie sich später herausstellte, waren die wenigen Wachen am Eingang der Anlage von den sechs Attentätern zuerst ausgeschaltet worden. Diese hatten irgendwann zwischen 8.45 und 9.20 Uhr das Feuer eröffnet. Sie trieben ihre Opfer gnadenlos vor sich her und schossen wild mit automatischen Waffen der Marke Kalaschnikow um sich, um offensichtlich so viele Menschen wie möglich zu töten.
Das Massaker dauerte etwa eine Stunde, 62 Menschen kamen dabei ums Leben. Neben vier Einheimischen, drei Polizisten und einem Reiseführer waren es vornehmlich Touristen – 35 Schweizer, zehn Japaner, sechs Briten, vier Deutsche und zwei Kolumbianer. Die Terroristen wollten niemanden davonkommen lassen. Sie feuerten sogar weiter auf angeschossene, am Boden liegende Opfer, um sicherzugehen, dass keiner überlebt. Dennoch konnten später zwölf Schweizer, zwei Japaner, zwei Deutsche, ein Franzose und neun Ägypter verletzt, aber lebend geborgen werden.
Eigene Ermittlungen der Schweizer
Letztlich stieg die Zahl der Toten sogar auf 68, da auch die sechs Attentäter starben. Bis heute ist allerdings ungeklärt, ob sie von ägyptischen Polizeikräften erschossen wurden oder gemeinsamen Suizid in einer Berghöhle begangen hatten, die von den Sicherheitskräften umstellt worden war.
Da unter den Opfern und Verletzten sehr viele eidgenössische Staatsbürger waren, hatte die Schweizerische Bundespolizei ein eigenes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Allerdings wartete sie dabei vergeblich auf die Unterstützung durch die zuständigen ägyptischen Sicherheitsdienste. Vielmehr erhielt sie nur Informationen, die ohnehin längst durch die Medien bekannt waren oder inhaltlich mit einer offiziellen Erklärung übereinstimmten, die der Bundespolizei zehn Tage nach dem Drama zugestellt worden war.
Im Zuge ihrer Untersuchungen, deren Ergebnisse in einem im März 2000 veröffentlichten Bericht nachzulesen sind, kam eine ganze Reihe von Ungereimtheiten ans Tageslicht. Die ägyptischen Behörden mussten einräumen, dass sie weder die teils ziemlich widersprüchlichen Zeugenaussagen noch die Spuren am Tatort verwertbar gesichert hatten. Persönliche Gegenstände, die zur schnellen Identifizierung der Opfer hätten hilfreich sein können, waren vertauscht oder entwendet worden.
Gerüchte, dass bei dem Attentat nicht nur eine, sondern drei Terroristengruppen beteiligt gewesen seien, wurden von ägyptischer Seite ebenso wenig überprüft wie der Wahrheitsgehalt von mindestens sieben verschiedenen Bekennerschreiben. Obwohl den ägyptischen Sicherheitsbehörden nur einer der sechs Täter bekannt war, nämlich ein gewisser Medhat Mohammad Abdel Rahmann Hassan, und dieser Mitglied der radikal-islamischen Gamaa al Islamija-Gruppierung war, wurde er zum Hauptverantwortlichen für das Attentat deklariert. Er habe seine fünf Mittäter, Studenten aus der Region, an der Universität von Kenneh im Auftrag von Gamaa al Islamija rekrutiert, hieß es. Sie hätten bei dem Verbrechen auch Messer zur Verstümmelung ihrer Opfer benutzt, womit sie diesbezüglich erstmals dem Beispiel algerischer Terroristen gefolgt seien. Für den Einsatz von Stichwaffen konnte die Bundespolizei jedoch bei den eidgenössischen Betroffenen keinerlei Nachweise entdecken.
Vor diesem Hintergrund sollte die von offiziellen ägyptischen Stellen in Umlauf gebrachte Version des Tatverlaufs mit großer Vorsicht behandelt werden. Die in Polizeiuniformen gekleideten Terroristen ließen sich demnach mit einem Taxi zu der Tempelanlage chauffieren. Während des Massakers sollen sie sich in arabischer und englischer Sprache mehrfach zu Gamaa al Islamija und dessen militärischem Führer Moustafa Hamza bekannt sowie sich als „Bataillon der Zerstörung und Verwüstung" bezeichnet haben. Nach der Tat kaperten sie einen Touristenbus und zwangen den Fahrer, sie in Richtung der nahen Berge zu kutschieren, wo sie nach einer Verfolgungsjagd von Polizisten erschossen worden sein wollen.
Mehr vertuscht als aufgeklärt
Laut den Recherchen der Schweizerischen Bundespolizei könnte die Flucht allerdings ein wenig anders abgelaufen sein. Demnach seien sie zunächst in ein Taxi gesprungen, hätten den Fahrer jedoch schon nach rund 200 Metern zum Anhalten gezwungen, um in einen dort wartenden Touristenbus umzusteigen. Sie hätten den Fahrer mit Waffengewalt dazu gezwungen, ihr offenbar nächstes Attentatsziel, das Tal der Könige, anzusteuern. Als sie auf dem Weg dorthin auf eine Beerdigungsprozession trafen, sollen die Terroristen dem Busfahrer den Befehl gegeben haben, eine andere Route zu wählen, auf der jedoch eine Straßensperre der Polizei errichtet war. Bis zu diesem Zeitpunkt seien sie nur von unbewaffneten Zivilisten verfolgt worden, von Sicherheitskräften sei bis dahin nirgendwo etwas zu sehen gewesen. In einem Feuergefecht an der Straßensperre sei einer der Attentäter verletzt worden. Seine Komplizen hätten ihn zurücklassen müssen, da sie ihre Flucht zu Fuß Richtung der nahen Berge fortsetzten. Ob die Polizei beim Stürmen der Höhle die fünf Terroristen erschossen hatte oder ob diese Selbstmord begangen hatten, wird sich wohl nie aufklären lassen.
Im Unterschied zu den ägyptischen Behörden hielt es die Bundespolizei für wenig wahrscheinlich, dass es sich bei den Attentätern um eine autonom agierende Gruppe der Gamaa al Islamija gehandelt haben könnte. Vielmehr gingen die Schweizer davon aus, dass es Hintermänner gegeben haben musste, dass die Täter auf Befehl gehandelt hatten. Die Mitte der 70er-Jahre gegründete Gamaa al Islamija war erst einige Monate zuvor auf einen Gewaltverzichtskurs umgeschwenkt, nachdem sie sich seit Anfang der 90er-Jahre gemeinsam mit der Dschihad-Bewegung im südlichen Oberägypten einen regelrechten Abnutzungskrieg mit dem Staat geliefert hatte. Mit gezielten Anschlägen auf Touristengruppen wollte die Gamaa den Staat immer wieder an seiner Achillesferse treffen. Allein in den fünf Jahren bis zum Massaker von Luxor konnte die Schweizerische Bundespolizei rund 1.000 solcher Attentate auf Touristen nachweisen.
Allerdings hatte sich die Gruppierung damit in einem Land, in dem mindestens jeder zehnte Arbeitsplatz vom Fremdenverkehr abhing, zunehmend gesellschaftlich isoliert. Von daher waren die Überlegungen der komplett in ägyptischen Gefängnissen einsitzenden Gamaa-Führung vom Juli 1997 zu einer „Initiative für Gewaltfreiheit" nur allzu verständlich. Doch die ins Ausland geflüchteten Gamaa-Kader mit Aiman al-Sawahi, dem späteren Al-Qaida-Chef, und Ahmed Refai Tahaan, dem Gamaa-Militärstrategen an der Spitze, wollten den Kampf unbedingt weiterführen. Wahrscheinlich waren sie oder ihre Gefolgsleute die Drahtzieher des Massakers von Luxor. So konnten sie zeigen, dass die Gamaa immer noch eine mächtige Untergrundorganisation war, mit der sie der ägyptischen Tourismusindustrie einen schweren Schlag versetzen konnten.
Tourismus heute wieder auf Talfahrt
Die Besucherzahlen brachen entsprechend in den zwei Jahren nach dem Massaker geradezu dramatisch ein, nachdem noch 2016 allein rund 440.000 Deutsche im ehemaligen Pharaonenreich Urlaub gemacht hatten. Doch schon bald schnellten die Zahlen wieder nach oben und erreichten vor der Arabischen Revolution 2010 die Rekordzahl von annähernd 15 Millionen. Seit dem Sturz Hosni Mubaraks im Februar 2011 geht es mit dem Tourismus in Ägypten wieder mehr und mehr bergab. Und seit der Havarie der russischen Chartermaschine im Oktober 2015 über dem Sinai mit 224 Toten, die nach Moskauer Erkenntnissen von einer Bombe verursacht wurde, müssen viele ägyptische Hotels über Leerstand klagen. Vor allem, weil speziell die Russen, die in den vergangenen Jahren zur Hauptklientel geworden waren, das Land am Nil seither aus Sicherheitsgründen meiden.