Die Augenklinik Sulzbach sagt der altersbedingten Makuladegeneration den Kampf an. Im Rahmen einer klinischen Studie wird hier erstmals in Deutschland eine gezielte Stammzell-Therapie gegen AMD angeboten, in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT.
"Wir können noch keine Heilung versprechen. Aber die Medizin steht vor einem Durchbruch", sagt Prof. Dr. Peter Szurman, Chefarzt der Augenklinik Sulzbach. Die Rede ist von einer neuartigen AMD-Therapie, die derzeit in Sulzbach entwickelt wird. Hier kommen Stammzellen zum Einsatz. Daraus werden im Labor bestimmte Netzhautzellen hergestellt, die das geschädigte Nährgewebe der Netzhaut regenerieren und so den Verfall der Sehzellen stoppen sollen. Eine Premiere in Deutschland. Bei der häufigsten Form der Makuladegeneration, der trockenen AMD, wäre dies die allererste Therapie-Möglichkeit.
Stammzellen spielen seit Langem eine wichtige Rolle in der Medizin. Vielleicht haben Sie selbst schon einmal an einer Typisierungsaktion für Knochenmarkspender teilgenommen? Seit über 40 Jahren werden die blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks erfolgreich bei der Behandlung von Leukämie und von Lymphomen (Lymphknotenkrebs) eingesetzt.
Was sind Stammzellen?
Als Stammzellen werden Körperzellen bezeichnet, die sich in verschiedene Zelltypen ausdifferenzieren können. Differenzieren bedeutet das Entwickeln von einem weniger spezialisierten in einen stärker spezialisierten Zustand. Dabei unterscheidet man verschiedene Arten von Stammzellen, die ein mehr oder weniger ausgeprägtes Differenzierungsvermögen an den Tag legen.
Wie gewinnt man Stammzellen für die Therapie?
Embryonale Stammzellen können zu verschiedenen Zelltypen ausdifferenziert werden. Sie sind daher hochinteressant, aber aufgrund ethischer Bedenken
(Embryonenschutz) stark reglementiert. In Deutschland kommen Stammzellen zum Einsatz, die zerstörungsfrei gewonnen und im Labor nachgezüchtet wurden. Im Gegensatz zu embryonalen können adulte Stammzellen aus verschiedenen Geweben von Erwachsenen gewonnen werden, zum Beispiel aus einer Blutspende. Sie lassen sich aber nicht beliebig ausdifferenzieren, das heißt, aus einer Fettgewebe-Stammzelle entwickelt sich keine Nervenzelle.
Seit wenigen Jahren kommt ein neuer Stammzelltyp ins Spiel, der aus normalen Körperzellen im Labor künstlich erzeugt wird: iPS-Zellen. Induzierte pluripotente Stammzellen. Pluripotente („mehr vermögende") Stammzellen sind noch auf keinen bestimmten Gewebetyp festgelegt. Sie lassen sich zu jedem Zelltyp eines Organismus differenzieren. 2006 konnten im Labor des japanischen Forschers Shinya Yamanaka die ersten iPS-Zellen hergestellt werden. Yamanaka erhielt dafür 2012 den Nobelpreis. Viele Forscher sehen hier ein großes Potenzial für die Medizin. Neue Herzmuskelzellen nach einem Infarkt, neue Nerven bei Querschnittslähmung oder eben neue retinale Pigmentepithelzellen bei altersbedingter Makuladegeneration – die Möglichkeiten erscheinen verlockend. Das meiste jedoch ist noch Zukunftsmusik.
Erste positive Ergebnisse
Stammzelltherapien werden zurzeit bei vielen Krankheiten erforscht. So auch im Bereich der Makuladegeneration. Bisher gab es erst kleinere Studien weltweit. Insgesamt wurden in den letzten Jahren etwa 40 Patienten mit trockener AMD per Stammzellen behandelt. 2014 berichtete das renommierte Wissenschaftsjournal „The Lancet" von positiven Ergebnissen. Dem Fachblatt zufolge zeigte die Mehrzahl der Patienten nach der Behandlung Sehverbesserungen.
Im kommenden Jahr startet die Augenklinik Sulzbach eine klinische Studie zur Stammzell-Behandlung der AMD. Schon seit 2014 arbeitet die Klinik mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT zusammen „mit dem Ziel, eine Stammzelltherapie mit iPS-Zellen am Menschen möglich zu machen", so Peter Szurman. An der Augenklinik Sulzbach werden dafür ganz neue Operationsverfahren entwickelt. Das IBMT wiederum arbeitet seit über zehn Jahren in der Stammzellforschung, verfügt über umfangreiche Biobanken zur Tieftemperatur-Lagerung. Das Institut baut gerade eine große, internationale Zellbank mit iPS-Zellen auf, der neuesten Errungenschaft auf dem Gebiet der Stammzellforschung. „Es besteht somit die einmalige Chance, hier am Standort Sulzbach in engster Kooperation der beiden Institutionen, die neusten Entwicklungen im Labor direkt zum Nutzen für die Patienten zum Einsatz zu bringen", so Prof. Dr. Hagen von Briesen, Leiter der Hauptabteilung Medizinische Biotechnologie am Fraunhofer IBMT.
Die neue Therapie der Augenklinik Sulzbach knüpft an den vielversprechende Studien in den USA und Großbritannien an. Patienten mit trockener AMD, die daran interessiert sind, können sich ab sofort bei der Augenklinik Sulzbach melden (siehe Infokasten S. 21). Sie werden registriert und ausgiebig untersucht. Nach Analyse des Krankheitsbildes und des Verlaufs werden in einem weiteren Schritt geeignete Studienteilnehmer für die neue Stammzellbehandlung ausgewählt. In Zukunft sollen nach und nach weitere Verfahren eingeführt werden, die auch die feuchte AMD mit einschließen. Dabei geht es um Operationstechniken, die aus Stammzellen erzeugte Pigmentepithel-Zellen in die erkrankte Netzhaut einbringen. Im Pigmentepithel, der Nährschicht der Netzhaut, liegt der Schlüssel zur AMD-Behandlung (siehe auch S. 14). Peter Szurman sieht in der neuen Chirurgie mit Stammzellprodukten eine große Chance: „Die AMD ist eine schlimme Volkskrankheit. Früher konnte man nichts machen, oder, in seltenen Fällen, eine große Operation wagen. Die heutige Therapie der feuchten AMD mit Spritzen (IVOM) erreicht keine besseren Ergebnisse als die OP, aber dafür ohne deren Komplikationsrisiken. In den letzten Jahren hat sich die Forschung auf immer bessere Medikamente konzentriert. Jetzt, nach nunmehr zehn Jahren IVOM, ist abzusehen: Da kommt kein revolutionärer Durchbruch mehr." Szurman ist überzeugt: „Nur der operative Weg kann eine AMD heilen."
Hier setzt jetzt die neue Therapie an. „Bisher konnte eine OP die Ernährungsschicht nicht erneuern, nur ersetzen. Jetzt, mit Stammzellen, ist erstmals eine Lösung dieses Dilemmas in Sicht. Das wird die einzige Therapie sein, die die Chance auf eine AMD-Heilung bietet." Bei der trockenen AMD sei dieses Verfahren sogar noch einfacher als bei der feuchten, weil man die Gefäßmembran nicht entfernen müsse.
Die Stammzellbehandlung, mit der die Augenklinik Sulzbach im kommenden Jahr startet, soll nur der Anfang sein. Weitere Verfahren stehen in den Startlöchern. Dafür hat
Szurman den Stammzellforscher und Netzhautchirurgen Dr. Boris Stanzel mit ins Boot holen können. Er ließ sich von den besonderen Möglichkeiten in Sulzbach locken. Hier kann er nämlich sowohl in der Augenklinik als auch im Fraunhofer-Institut arbeiten. Stanzel hat eine Trägermembran-Technik entwickelt die, so Szurman, „die Zellen wie einen Rollrasen ins Auge einbringt." Das soll nun in die Sulzbacher Entwicklung mit einfließen. „Wir entwickeln gerade eine neue OP-Technik, die deutlich schonender ist als alle bisherigen. In Zukunft werden wir ganz ohne Netzhautschnitt auskommen. Wir werden minimal-invasiv per Endoskop operieren." Das Ziel der Behandlung ist ein Stillstand der AMD. Bereits zugrunde gegangene Sehzellen können allerdings noch nicht ersetzt werden. „Deshalb brauchen wir ein schonendes, minimal-invasives Verfahren, damit sich die Patienten früher behandeln lassen." In einem frühen Stadium der AMD angewendet, wenn die meisten Sehzellen noch intakt sind, könnte somit ein Großteil der Sehkraft erhalten werden.
Nun also blickt die Fachwelt gespannt aufs saarländische Sulzbach. Und Millionen von AMD-Patienten hoffen auf eine Heilungschance.