Vor zehn Jahren verließ Regina Halmich den Boxring nach 13 Jahren Profikarriere. Sie machte die Sportart für Frauen populär, ist noch heute Vorbild für viele von ihnen. Ein Rückblick.
Wir schreiben den 30. November 2007. Knapp 8.000 Boxfans jubeln in der dm-Arena in Rheinstetten bei Karlsruhe der WIBF-Fliegengewichts-Weltmeisterin Regina Halmich im Ring zu. Der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs Günther Oettinger feuert die 1,60 Meter kleine Powerfrau an, auch Fußball-Bundestrainer Joachim Löw, Schauspieler Martin Semmelrogge und Ex-Box-Weltmeister Dariusz Michalczewski. Erstmals überträgt das ZDF an einem Freitag einen Kampfabend. Es wird der letzte für die 31-Jährige sein. Denn in diesen Stunden will sich Regina Halmich nach 13 Jahren Profikarriere aus dem Ring verabschieden, ihre Boxhandschuhe an den Nagel hängen.
In ihrem 56. Kampf möchte sie die Israelin Hagar Shmoulefeld Finer ausknocken, ihren WM-Titel noch einmal verteidigen. Nur so wird sie ihre Profikarriere tatsächlich auch beenden. Denn dies wäre nicht ihr letzter Kampf, sollte sie ihn verlieren. Das hat Halmich in den Medien bereits angekündigt. Sie werde die Bühne nur als Weltmeisterin verlassen. „Mit einer Niederlage könnte ich nicht abtreten. Das wäre wirklich die größte sportliche Katastrophe", hatte sie den Journalisten rein vorsorglich in den Block diktiert. Sie brauche nicht zehn Jahre, um zu wissen, dass sie nicht mit einer Niederlage aufhören könne, spielte sie auf Henry Maske an, der nach seinem Rücktritt ein Re-Match gegen seinen einstigen Bezwinger Virgil Hill bestritten hatte.
Ein Comeback in späteren Jahren, möglicherweise auch, um den klammen Geldbeutel noch einmal aufzufüllen, schließt die gebürtige Karlsruherin aus dem Universum-Boxstall kategorisch aus. Es sei für alle schwierig, mal ein Ende zu finden, sagt sie. Das sehe man ja an den männlichen Kollegen.
Noch etwas dürfte Halmich bei ihrem Abtritt bewusst sein: Sie war es gewesen, die das Frauenboxen in Deutschland überhaupt erst salonfähig, ja sogar populär gemacht hat. Als sie erstmals in den Ring stieg, war sie eine unbekannte Rechtsanwaltsfachangestellte. Viele Jahre später verlässt sie ihn als Millionärin. In den vergangenen Jahren bedeuteten ihre Kämpfe für das Zweite Deutsche Fernsehen sichere Quotenhits. Nicht selten fünf bis sechs Millionen Menschen saßen seit 2004 vor den heimischen Bildschirmen, um Halmich fighten zu sehen – die Protagonistin des Frauenboxens, die Quoten-Queen des Sportfernsehens.
Diese Popularität hilft der Sportlerin auch außerhalb des Rings, sie wirbt für Käse, Dessous, Impfstoffe, einen Kabelnetzbetreiber. Sechsstellig sollen ihre Einnahmen gerüchteweise pro Vertrag liegen. Nach Tennisstar Steffi Graf und Schwimmerin Franziska van Almsick übernimmt jetzt Halmich das Werbegeschäft. Sie weiß, dass es einer gewissen Öffentlichkeit bedarf, einer starken Präsenz, damit die Kasse auch ohne Wettkämpfe klingelt. So etwa fährt sie schon mal in einer Kutsche zu ihren Pressekonferenzen vor – oder in einer schwarzen Stretchlimousine. Auch ihr Äußeres ändert sich, Halmich legt plötzlich Wert auf Sexyness. Stets akkurat und nicht zu unauffällig geschminkt ist sie, und hochgeschnürte Lederstiefel stehen schließlich auch einer Boxerin.
Vielfältiges soziales Engagement
Weit entfernt sei sie von Modelmaßen, hat Halmich einmal gesagt. Trotzdem zieht sie blank – im Mai 2003 und im März 2015 im „Playboy", im Mai 2007 in der „Max" und im Juli 1998 im „Penthouse". Legendär sind auch ihre Show-Boxkämpfe gegen Ex-Fernsehmoderator und TV Total-Lästermaul Stefan Raab. Mehr als sieben Millionen Zuschauer sehen im Fernsehen, wie die junge Frau Raab 2001 im Kölner Capitol mehr als nur einen Denkzettel verpasst. Sie bricht ihm das Nasenbein. Halmich über ihren wahrscheinlich aufsehenerregendsten Kampf und Gegner Raab: „Er ist vom Ehrgeiz zerfressen, der Mann. Ein schlechter Verlierer. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er mich ausgeknockt." Auch die Wiederauflage des Matches sechs Jahre später in der Kölnarena vor 19.500 Zuschauern gewinnt sie klar, allerdings (nur) nach Punkten. Abermals sitzen sieben Millionen Menschen vor ihren Fernsehern daheim und fiebern mit.
Nicht nur im Ring sind Halmichs Talente gefragt. Auch vor der Kamera inszeniert sie sich, übernimmt Gastrollen in Serien wie „Hinter Gittern" und „Soko Stuttgart". Im Jahr 2011 will sie Dancing Star bei RTL werden, doch fliegt sie mit Tanzpartner Sergiy Plyuta gleich in der ersten Sendung aus „Let’s Dance". Walzer steht ihr dann doch nicht so gut wie das Boxen. Ihr musikalisches Talent testet sie ebenfalls aus. Mit der Band Umbra et Imago nimmt die Blondine das Lied „Schlag mich" auf. „Ob die Politik wohl meine Bühne ist?", muss sie sich 2009, zwei Jahre nach ihrem Ausstieg aus dem Profisport, gefragt haben. Denn sie gehört der 13. Bundesversammlung an, die am 23. Mai Horst Köhler zum Bundespräsidenten macht.
Gelegentlich versucht sich Halmich als Kommentatorin bei TV-Übertragungen von Boxkämpfen. Auch am 7. Dezember 2007 moderiert sie – den Kampf, bei dem Susi Kentikian gegen Nadia Hokmi gewinnt und so den eine Woche zuvor freigewordenen WIBF-Weltmeistertitel von Halmich holt.
Die junge Frau, die zwei Jahre lang mit Fußballprofi Martin Driller und später zwölf Jahre mit dem Justizvollzugsbeamten Andreas Jourdan zusammenlebte, ist auch sozial eingestellt. Sie engagiert sich im „Weißen Ring" für die Unterstützung von Kriminalitätsopfern. Sie wird Schirmherrin der Aktion „Gewalt gegen Frauen – nicht mit uns" des Deutschen Olympischen Sportbundes, engagiert sich seit drei Jahren auch als Botschafterin des Deutschen Kinderhilfswerks und Unterstützerin der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten". Und sie setzt sich für ein Verbot von Wildtieren in deutschen Zirkussen ein.
Ach ja: Halmich – und das ist Geschichte – verteidigt ihren WM-Titel an diesem Abend des 30. Novembers 2007. In einem offenen Schlagaustausch bezwingt sie Hagar Shmoulefeld Finer in zehn Runden nach Punkten. Es sei ein spannender Kampf gewesen und ein knappes Ergebnis, zieht sie ihr ganz persönliches Fazit. Doch sie habe verdient gewonnen, werde sich daher von ihrer wundervollen Karriere zurückziehen. Ihr Promoter Klaus-Peter Kohl sagt: „Sie hat Großes für das Frauenboxen geleistet und war auch außerhalb des Rings stets ein Vorbild". Nach der Siegerehrung schenkt er Halmich einen Brillantring als Dank für die gemeinsame Zeit.