Der Berlinerin Petrissa Solja steht nach beachtlichen Erfolgen am Wendepunkt ihrer Karriere. „Körperlich und mental erschöpft" muss die Mannschafts-Olympiazweite ihre schon monatelange Wettkampfpause mindestens noch bis Jahresende verlängern.
Die kurze Meldung ging Anfang November im schnelllebigen Nachrichtengeschäft beinahe unter: „Wettkampfpause für Petrissa Solja", überschrieb der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) gezielt nüchtern eine Mitteilung zur Situation seines Damen-Stars vom TTC Berlin Eastside. Trotz einer praktisch auskurierten Verletzung ihres Schlagarms, ließ der Verband die Linkshänderin dabei sagen, „fühle ich mich körperlich und mental erschöpft". Eine Rückkehr in Trainingsalltag und Wettkampfgeschehen „würde jetzt schon keinen Sinn machen". Es folgten noch Hinweise von DTTB-Funktionären auf ein „Gefühl des Überspieltseins" durch die hohen Belastungen für Solja in den vergangenen Monaten und besonders auch darauf, dass die Nationalspielerin bei ihrem noch nicht näher terminierten Comeback „zunächst nationale Wettkämpfe bestreiten" würde.
Die Wahrheit hinter der nackten Nachricht dürfte allerdings weitaus dramatischer sein: Petrissa Solja steht mit erst 23 Jahren schon am Scheideweg ihrer Karriere. „Mental ausgebrannt", beschrieb ihr Berliner Vereinspräsident Alexander Teichmann denn auch die Schwierigkeiten seiner Vorzeigespielerin in einem Zeitungsinterview und sprach erst gar nicht von anderen, körperlichen Problemen.
Ihr letzter Wettkampf liegt auch bereits fast drei Monate zurück. Bei der Mannschafts-EM in Luxemburg musste „Peti" offiziell noch wegen ihrer Verletzung passen und im Vormonat für das Weltcup-Eliteeinladungsturnier in Kanada nach DTTB-Lesart wegen fehlender Fitness durch Trainingsrückstand absagen. Für Berlin stand Solja in der laufenden Saison auch noch nicht am Tisch.
Der überwiegend umständliche, weil vorsichtige Umgang mit Soljas Situation in der Öffentlichkeit ist jedoch ein starkes Indiz für die tatsächlichen Probleme der großen Hoffnungsträgerin. Bei psychischen und seelischen Schwierigkeiten oder Erkrankungen wie Depressionen greifen im Leistungssport Alarmsysteme und Abschottungsmechanismen gleichermaßen. Fast genau acht Jahre nach dem Freitod des deutschen Fußball-Nationaltorhüters Robert Enke ist die Psyche von Profis – entgegen der hehren Ankündigungen aus der gesamten Szene von künftig stärkerer Beachtung dieses sensiblen Bereiches – immer noch weitgehend ein Tabu-Thema.
Tatsächlich gehört zum Erfolg als Profi längst schon viel mehr als herausragendes Talent. Auch die Persönlichkeitsstruktur von Berufssportlern muss zu den außergewöhnlichen Anforderungen ihres Lebens im Rampenlicht passen, den Belastungen außerhalb von Trainingsplatz und Sporthalle gewachsen sein.
„Ich mache mir viel zu viele Gedanken"
Von der Veranlagung her hat Petrissa Solja schon seit jeher alles mitgebracht, was eine Topspielerin zum Aufstieg in die Weltspitze braucht. Mitunter historische Erfolge und Titel gehörten bei ihr bis zuletzt geradezu zum Alltag: deutsche Meisterin, mehrfache Europameisterin im Doppel und mit der Mannschaft, Weltcup-Dritte 2015, Olympia-Silber 2016 mit der Mannschaft und zuletzt im Juni WM-Bronze im Mixed. Zwischenzeitlich klopfte die Wahl-Berlinerin auf Platz 13 sogar an der Tür zu der ausschließlich von China und anderen asiatischen Ländern dominierten Weltrangliste an.
Eine Bilderbuch-Laufbahn also – möchte man meinen. Doch erst kürzlich noch hatte Solja auch vereinzelt Probleme mit ihrer Rolle im Blickpunkt des Interesses und in der Öffentlichkeit durchblicken lassen. „Ich mache mir viel zu viele Gedanken darüber, was andere über mich denken, und wenn es etwas Negatives ist, lässt mich das nicht kalt", sagte die gebürtige Südpfälzerin in einem TV-Beitrag des SWR. Noch früher machte Solja in einem Zeitungsinterview vor ihrem WM-Erfolg in Düsseldorf in Bezug auf Kritik an ihrem vergleichsweise kräftigen und damit nicht der Idealnorm entsprechenden Körperbau klar, dass ihr „besser als früher gelingt, darüber zu stehen". Geradezu demonstrativ wirken vor diesem Hintergrund rückblickend künstlerische Fotos der jungen Dame für die „Playboy"-Ausgabe vor den Olympischen Spielen 2016 in Rio.
Die Fotoserie kann im Nachhinein aber auch als der Versuch eines Befreiungsschlages gewertet werden. Mit drei Jahren als Kind in einer tischtennisverrückten Familie erstmals am Tisch, erkrankte Solja noch im Grundschulalter an Krebs, war auf den Rollstuhl angewiesen und musste inklusive eines Rückfalls fünf Operationen über sich ergehen lassen. Auch diese belastende Phase ihres Lebens machte Solja, deren weitere Karriereplanung später auch zu einem vorübergehenden Zerwürfnis zwischen Verband und Familie führte, erst im vergangenen Spätsommer öffentlich. Beinahe mutet ihre Vorgehensweise jedenfalls an, als ob Solja sich just in dieser Zeit – nach natürlich erfolgreicher Bewältigung jeglichen sportlichen Drucks durch Olympia und die Heim-WM – geradezu von seelischem Ballast zu entledigen versuchte.
Hinter die Zukunft der Tischtennis-Spielerin Petrissa Soljas ist in jedem Fall ein Fragezeichen geraten. Für den Menschen Petrissa Solja dürfte allerdings ohnehin von viel größerer Bedeutung sein, eine innere Balance zu finden und einen gesunden Umgang mit den Begleiterscheinungen ihres Berufes zu entwickeln.
Ihre bisherigen Wegbegleiter im Sport sichern dem Publikumsliebling jegliche Rückendeckung zu. Beim DTTB wird keinerlei Erwartung hinsichtlich einer Genesung bis zur wichtigen Mannschafts-WM Ende April im schwedischen Halmstad formuliert, und bei Triple-Gewinner Berlin Eastside stellte Teichmann zuletzt noch ausdrücklich eine Verlängerung des am Saisonende auslaufenden Vertrages in Aussicht.