Beim Big Air stürzen sich die Athleten mit Skiern oder Snowboard eine Rampe hinunter und zeigen nach dem Absprung in der Luft gewagte Salti und Schrauben. Das größte Event der Welt findet in Deutschland statt, fernab der klassischen Wintersportorte: das Arag Big Air Freestyle Festival in Mönchengladbach – eine gelungene Mischung aus Spitzensport und Musikfestival.
Aus der Ferne sieht sie aus wie eine Skisprungschanze: die 300 Tonnen schwere Stahlkonstruktion, die dort 49 Meter hoch in den Himmel ragt, so hoch wie ein Haus mit 16 Stockwerken. Das allein wäre schon seltsam genug, schließlich steht diese temporäre Schanze in Mönchengladbach im Rheinland – nicht gerade der Nabel der Wintersportwelt. Doch damit nicht genug. Denn diese Rampe ist keine normale Schanze. Dort wird nicht einfach bloß auf Weite gesprungen: Stattdessen drehen sich die Fahrer gleich mehrfach mit Salti und Schrauben um die eigene Achse, manch einer fährt gar rückwärts an – alles mit dem Ziel, die Punktrichter mit möglichst komplexen und somit schwierigen Tricks zu überzeugen. Big Air heißt diese spektakuläre Disziplin – weil man bei den Sprüngen lange in der Luft ist und entsprechend viel Luft (Air) unter sich hat. Die Bewertung erfolgt nach dem DEAL-Prinzip nach Schwierigkeit (Difficulty), Ausführung (Execution), Weite und Höhe (Amplitude) sowie Sauberkeit der Landung (Landing).
Es ist schon erstaunlich, was sich alles mit Skiern oder einem Snowboard an den Füßen anstellen lässt. Zum Beispiel ein „Switch Doublecork 1440" – ein rückwärts angefahrener Doppelsalto mit vierfacher Schraube, den man als Laie wohl besser gar nicht erst versucht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich die Freestyle-Disziplinen des Skisports, zu denen auch der Big Air gehört, einer stetig wachsenden Beliebtheit erfreuen: Dort gibt es noch echte Helden, die aber gleichzeitig so cool daherkommen, wie es sich für eine Trendsportart gehört. Bei den vergangenen Olympischen Winterspielen in Sotschi (Russland) lagen die weltweiten Einschaltquoten der Snowboard- und Ski-Freestyle-Wettbewerbe laut Auswertung von APM (American Public Media) jedenfalls weit vor den klassischen Disziplinen wie Langlauf oder Ski alpin.
Das hat man auch in Neuss unweit von Mönchengladbach erkannt, dem Sitz der Firma Allrounder Mountain Resort, die dort seit 2001 sehr erfolgreich eine Skihalle betreibt. Ende 2014 hatte Gesellschafter August Pollen die Idee, es einmal mit einer Big-Air-Veranstaltung in einer Stadt auszuprobieren. Weil auch er begeistert war von der Flugshow der Athleten. Aber auch aus einem wirtschaftlichen Interesse heraus. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte er: „Wir holen den Sport in die Stadt. Wir haben ein Interesse daran, dass der Wintersport nicht untergeht, dass sein Bazillus die Kids noch erreicht, davon leben wir." Unterstützung kommt dabei auch vom Deutschen Ski-Verband. Ebenfalls in der „FAZ" sagte Heli Herdt, der zuständige sportliche Leiter im DSV: „Wir wollen die Gelegenheit nutzen, die Disziplin Freeski einer breiten Masse an Interessierten und Fans näherzubringen. Der Heim-Event ist dabei ein erster wichtiger Schritt."
„Wir holen den Sport in die Stadt"
Im vergangenen Jahr feierte das Arag Big Air Freestyle Festival im Mönchengladbacher Hockeypark seine Premiere. Knapp 20.000 Zuschauer kamen an den beiden Tagen, die Veranstaltung war nahezu ausverkauft. „Der Sparkassen-Park ist die ideale Bühne für großen Sport und Konzerte, die Zigtausende Menschen begeistern. Diese Stärken miteinander zu verknüpfen und in einem spektakulären Event zu vereinen, ist eine geniale Idee", sagt Mönchengladbachs Oberbürgermeister Hans Wilhelm Reiners. „Im vergangenen Jahr hat sich eindrucksvoll bestätigt, dass sie in der Sportstadt Mönchengladbach auch funktioniert. Dazu kann ich die Macher nur beglückwünschen. Und für die zweite Auflage wünsche ich wieder viel Erfolg."
Diese findet in diesem Jahr am 1. und 2. Dezember statt, erneut mit der bewährten Kombination aus Spitzensport und Musikfestival. Nach den Wettkämpfen heizen den Fans wieder zwei nationale Top-Acts ein – im vergangenen Jahr waren es die Beginner und die Sportfreunde Stiller, dieses Mal kommen Kraftklub und Cro. Auf dem Festivalgelände werden außerdem eine Test- und Label-Area, Aftershow-Partys sowie diverse Möglichkeiten zum Skaten, Rodeln oder Snowboarden geboten. Organisator August Pollen meint: „Das Feedback der Sportler und Zuschauer sowie des internationalen Skiverbands waren überwältigend. Unsere Idee, einen Doppelweltcup mit Top-Musik-Acts zu kombinieren und so ein neues cooles Festival auf die Beine zu stellen, ist voll aufgegangen. Das ist eine riesige Motivation, weiter Gas zu geben, erst recht im Olympiawinter. Denn der Weg zu Olympia 2018 führt definitiv über Mönchengladbach. Ich bin mir sehr sicher, dass wir die nächsten Olympiasieger bereits Anfang Dezember hautnah erleben werden."
Erneut werden rund 120 Topsportler am Start sein, die in den Wettbewerben der Freestyle-Skifahrer (Freitag) und Snowboarder (Samstag) um Weltcup-Punkte kämpfen werden und teilweise auch um die Qualifikation für die nächsten Olympischen Spiele in Pyeongchang (Südkorea). Dort wird die Disziplin Big Air zumindest für die Snowboarder erstmals zum olympischen Programm gehören – ihre Kollegen mit Skiern bleiben dagegen vorerst außen vor.
Einer von ihnen ist der Deutsche Florian Preuss, der deshalb in diesem Winter verstärkt auf die olympische Disziplin Slopestyle setzt – die Athleten befahren dabei einen Parcours mit mehreren Sprüngen und anderen Hindernissen, eine Jury bewertet die gezeigten Tricks nach Schwierigkeit und Style. In diesem Wettbewerb will der 25-Jährige den Sprung zu Olympia schaffen, der ihm im Big Air bis auf Weiteres verwehrt bleibt.
„Die Stimmung war bombastisch"
Das Arag Big Air Freestyle Festival zählt für ihn trotzdem zu den Höhepunkten des Winters. Denn Preuss stammt anders als die anderen deutschen Freestyle-Skifahrer nicht aus den Alpen – er ist in Sprockhövel im Ruhrgebiet geboren, nur etwa eine Stunde von Mönchengladbach entfernt. „Das ist schon etwas Besonderes, einen Wettkampf in der Gegend zu absolvieren, in der man aufgewachsen ist", sagt er. Preuss war bereits 2016 dabei und erinnert sich immer noch gern an seine Teilnahme zurück, auch wenn die Veranstaltung für ihn sportlich nicht nach Wunsch verlaufen war: „Die Stimmung war einfach bombastisch", meint er. „Beim Weltcup treten wir normalerweise vor 50 Anwesenden an, aber in Mönchengladbach waren es dann plötzlich 10.000. Das war definitiv das größte Event des Jahres!"
Mit 18 Monaten stand Preuss erstmals auf Skiern. Seine gesamte Familie ist wintersportbegeistert, sein Vater rief sogar einst den örtlichen Skiverein ins Leben, dem Preuss bereits seit Geburt angehört. Als 14-Jähriger versuchte er sich dann zum ersten Mal beim Trickski, seine ersten Wettbewerbe erlebte er in der Neusser Skihalle. Seit 2013 gehört er nun fest zum Nationalteam, wo er längst geschätzt wird. Anfangs wurde er wegen seiner Herkunft noch belächelt, doch mit guten Leistungen ließ der Westfale die Kritiker bald verstummen. 2016 wurde er deutscher Meister im Slopestyle, im selben Jahr gewann er außerdem einen Europacup auf der Seiseralm (Italien).
Bevor er sich mit einem neuen Trick auf die Piste wagt, trainiert Florian Preuss die Bewegungsabläufe erst einmal auf dem Trampolin. „Man muss sich die Bewegung im Kopf genau vorstellen können, ehe man den nächsten Schritt wagt", erklärt er. Akrobatik und Turnen sind überhaupt fester Bestandteil des Trainings, bei dem außerdem viel Wert auf Kraft und Kondition gelegt wird. Mindestens genauso wichtig ist jedoch die Kreativität. Beim Freestyle-Skifahren existiert kein fester Katalog mit Sprüngen, die bei einem Wettkampf gezeigt werden müssen, wie es ihn etwa für das Kurzprogramm beim Eiskunstlauf gibt. „Jeder kann machen, was er will, auch etwas komplett Neues", sagt Florian Preuss. Deshalb sei die Bandbreite an möglichen Tricks riesig, und es würden immer wieder neue Kreationen entstehen. „Ziel ist es, die Kampfrichter und die Zuschauer jedes Mal wieder zu überraschen", sagt er.