Senf spielt in der elsässischen Küche eine große Rolle. Keine Wurst kommt ohne ihn auf den Teller. Alélor ist das einzige Unternehmen in Frankreich, das auch Meerrettichpasten produziert.
Alain Trautmann ist seit elf Jahren Geschäftsführer von Alélor im elsässischen Mietesheim. Er gehört bereits zur vierten Generation, die Meerrettichprodukte und Senf in einem Familienbetrieb in Frankreich herstellt. „Wir sind stolz darauf, die Tradition der Senfherstellung nach so langer Zeit weiterführen zu dürfen", sagt er. Natürlich gibt es noch einige kleinere gallische Senfmühlen, die kaum einen nennenswerten Beitrag zum Gesamtvolumen der französischen Produktion ausmachen. Außer dem Elsässer Familienunternehmen Alélor gibt es noch eine Moutarderie in Burgund, die Historische Senfmühle der Familie Fallot.
1873 gründeten Jean und Robert Stumpf in Lingolsheim, nahe Straßburg, eine Senfmanufaktur. „Damals war es etwas Besonderes, Senf herzustellen. Die Paste war Würze und Heilmittel zugleich. Senf regt den Appetit an, lindert Fieber und Kopfschmerz und soll sogar bei Asthma eine positive Wirkung haben", erzählt Trautmann. Der Name Alélor setzt sich aus den beiden Regionen Alsace et Lorraine zusammen. Dort fanden die Senfmacher Absatzmärkte und zufriedene Kunden. 1956 gründeten Urban Georges und Marguerite Schmidt das Unternehmen Raifalsa in Mietesheim. Beide stammten aus bäuerlichen Betrieben und verarbeiteten Le Raifort, Meerrettich. In Frankreich war der Konsum von Meerrettich nicht üblich und hatte so gut wie keine Bedeutung. In den vergangenen Jahren allerdings wächst der Verbrauch, langsam aber stetig.
1997 erwarb die Familie Trautmann Raifalsa. Bis heute ist es das einzige Unternehmen in Frankreich, das Produkte aus der Meerrettichwurzel erzeugt. Die Margen steigen, denn in der französischen Küche wird der Einsatz dieses scharfen Gewürzes immer beliebter. 2006 erwarben die Trautmanns den Betrieb der Stumpf-Brüder und führten 2009 die beiden Unternehmen zu Raifalsa-Alélor zusammen. „Wir haben den Standort in Lingolsheim daraufhin aufgegeben und in Mietesheim die Produktionsfläche um 1.000 Quadratmeter vergrößert", berichtet Alain Trautmann. „Da wir die einzigen sind, die sich auf die Herstellung von Meerrettichprodukten in verschiedenen Geschmacksrichtungen verstehen, besitzen wir im Moment ein Monopol. Dass kann sich allerdings schnell ändern, denn der Markt schläft nicht. Was für uns letztlich bedeutet, dass wir alle unsere Innovationen in Le Raifort stecken müssen."
Senf gibt’s nur aus dem Glas, nicht aus der Tube
Fast 100 Prozent der Wurzeln, die ihre Schärfe erst entwickeln, wenn man sie schneidet oder zerreibt, stammen von Landwirten aus dem Elsass. In unverarbeitetem Zustand ist die Wurzel geruchslos. „Aber gerieben – in Sahne, Senf oder Soßen – verströmt sie einen stechend, beißenden Geruch, der Tränen fließen lässt und einem die Schädeldecke hebt", sagt Alain Trautmann. „Das putzt!" Schon seit Langem gehört der Meerrettichanbau im Elsass zur bäuerlichen Tradition, konnte sich aber nie über die Region hinaus behaupten. Doch seit sich internationale Küchen regional etablieren, haben Regionalprodukte auch innerhalb Frankreichs größere Chancen, in den Töpfen der Verbraucher zu landen. Man könnte fast glauben, die japanische Küche – gemeint sind Sushi oder Speisen mit rohem Fisch, gewürzt mit Wasabi, – hätte einen Anteil daran. Der grüne japanische Meerrettich unterscheidet sich nicht im Aroma von der europäischen Wurzel, ist lediglich etwas schärfer und macht einen frischeren Eindruck. So jedenfalls erklärte es einmal ein Aachener Zwei-Sterne-Koch.
Die Mietesheimer arbeiten mit 20 Elsässer Bauern zusammen, die 90 Prozent der Meerrettichpflanze anbauen. Zehn Prozent der Kreuzblütlerwurzeln kommen aus Deutschland. Und die Regionalität soll weiter wachsen. Auch die Senfsaaten kommen heute zu 50 Prozent von sechs landwirtschaftlichen Betrieben aus dem Elsass. Der Rest wird aus dem Ausland, meist aus Kanada, dazugekauft. Wie Trautmann mitteilt, sollen aber bereits in fünf Jahren 100 Prozent aus regionaler Produktion stammen.
Für die heimische Landwirtschaft wäre dies eine durchaus positive Entwicklung. „Zwar müssen wir ebenso strikt kalkulieren wie die großen Produzenten, doch uns kommt es auf eine zuverlässige Partnerschaft an, und diese ist nur mit lokalen Lieferanten möglich."
Die ganz großen Player im Lebensmittelsektor, zum Beispiel Maille (gegründet von Antoine Maille 1747) und Amora, beziehen ihre Senfsaat vorwiegend aus den riesigen Mono-Anbaugebieten Kanadas, wo auf 131.000 Hektar (2015, 131.000 Tonnen) Senfsaat und nichts anderes angebaut wird. Mittlerweile gehören die traditionellen Senfunternehmen zum Nahrungsmittel-Multi Unilever (2000), jedoch vertreibt die saarländische Melfor GmbH mit Sitz in St. Ingbert eigenständig Amora-Senf-Produkte, Cornichons und einiges mehr. Im Jahr 2009 entschloss sich der niederländisch-britische Multi Unilever, die letzte historische Senf-Fabrik in Dijon dicht zu machen und etwas außerhalb der Burgund-Metropole in Chevigny zu produzieren.
Auch für das Elsässer Senfhaus stiegen die Kosten in den vergangenen Jahren, doch Raifalsa-Alélor kann sich nicht über Zuwächse beschweren. „Auch wir müssen rechnen", sagt Alain Trautmann, „doch wir sind bislang in der komfortablen Lage, 20 Mitarbeiter krisenfest zu beschäftigen. Dank wachsendem Umsatz, den wir letztlich unseren innovativen Produkten zu verdanken haben."
200 Tonnen Senfsaat jährlich verarbeitet
In der Mietesheimer Produktionsstätte riecht es nach Gewürzen, der ätherischen Schärfe des Meerrettichs, gemahlenen Senfsaaten, Essig und dem würzigen Senfbrei, der aus den Maischebehältern fließt und dann in einer kleinen Abfüllanlage in sterile Gläser gefüllt, verdeckelt und etikettiert wird. Wer erwartet, Senf in der Tube zu finden, der wird enttäuscht sein, denn die Tube ist bei einem Traditionshersteller von hochwertigen Senfprodukten verpönt.
Die Herstellung der Senfpaste ist denkbar einfach: Die gewaschenen und getrockneten Senfkörner werden gequetscht, mit Wasser, Essig oder Wein vermengt und mit Salz, Zucker und – wenn gewünscht – mit weiteren Gewürzen vermischt. Für einige Stunden fermentiert diese Maische, ähnlich wie bei der Bierherstellung, und wird danach erneut vermahlen. Verwendet der Senfmüller Traubenmost und Weißwein, wird der Senf Moutarde und in manchen Regionen Deutschlands Mostert (auf den Most bezogen) genannt. Je nach Art der Senfsaat – gelb, braun, schwarz oder weiß – variiert das Endprodukt in Farbe und Schärfe. Mehr als 20 Senf-Varianten produziert das Unternehmen, darunter so verführerisch klingende Sorten wie Ail et Persil, Tomate Basilic, 3 Poivres, Miel, Vinaigre de Cidre, Herbes de Provence, Wasabi, Châtaigne und mehr.
2015 erwarb das Unternehmen die Marke Domaine des Terres rouge, um im französischen Markt weiterhin Zukunftschancen zu haben. Diese Linie beinhaltet vorwiegend Produkte aus dem Spitzensegment der Senfherstellung. Luxusvarianten wie Moutarde à l’Ancienne, à L’Estragon, Moutarde au Pastis, Moutarde à la Figue, Moutarde aux Cèpes, au Cognac, au Calvados und Moutarde à l’Absinthe liegen wohl ganz auf der Linie nicht nur französischer Gourmands. Die Marke Domaine des Terres rouge soll vorrangig in französischen Feinkostgeschäften und der Gastronomie etabliert werden. „Unser Moutarde ist eine wertvolle Kochhilfe", sagt der Mietesheimer Senfmacher. „Feinschmecker, die sich unserer Produkte bedienen, sollen authentische Aromatik in Farbe und Duft erleben. Nicht nur an Festtagen sollen festliche Düfte durch die Küchen ziehen."
Auch die Meerrettichvarianten sind originelle, gesunde Würzen mit starkem Geschmack. Lediglich Öle und Essige stammen nicht aus der eigenen Produktion, sondern werden von Qualitätsproduzenten dazugekauft. Eine ganze Reihe von bio-zertifizierten Erzeugnissen findet sich in der Mietesheimer Produkt-ausstellung und demnächst wieder in einem Online-Portal. Dort findet der Interessierte Cornichons, Rote Beete, Kapern, Bärlauch-Pesto, Harissa und einiges mehr. Aus 200 Tonnen Senfsaat stellen die Elsässer jedes Jahr das scharfe Gold der Küche her.
Und noch etwas zur Geschichte des Mostert: Griechen und Römer schon liebten die Gewürzpaste und aßen sie gerne zu gebratenem Fleisch. Der Römer Plinius lobte den Senf überschwänglich. Schon Karl der Große ordnete offiziell im Jahre 795 den Anbau von Kräutergärten und im Besonderen den Senfanbau in Deutschland an. Ludwig XI. von Frankreich sagt man nach, dass er angeblich nie ohne ein Senftöpfchen aus dem Haus ging – für den Fall, dass er bei senfabstinenten Barbaren übernachten musste.
Die Produkte von Raifalsa-Alélor sind in Supermärkten und dem Lebensmittelhandel der Großregion Grand Est-Elsass, Champagne-Ardenne und Lothringen und zu haben.