Sein Gesang ist Balsam für die Seele. Seit 30 Jahren betört der Bariton sein Publikum. Das Studioalbum „Der perfekte Moment … wird heut verpennt" hat der Wahlberliner gemeinsam erarbeitet mit dem Kreativteam von Rosenstolz, Annette Humpe und Achim Hagemann. Im Interview spricht der Sänger Max Raabe alias Matthias Otto über den Sinn des Lebens, das Glück und den Tod.
Herr Raabe, Ihr neues Album ist eine Zusammenarbeit mit dem Kreativteam von Rosenstolz. Was interessiert Sie an Popmusikern?
Ich habe Peter Plate mal bei einer Eurovision-Song-Contest-Veranstaltung kennengelernt. Aber erst Annette Humpe, deren Urteil ich sehr vertraue, brachte mich auf die Idee, gemeinsam mit den Rosenstolz-Leuten Musik zu machen. Das hat auf Anhieb funktioniert und Spaß gemacht. Es hätte ja auch sperrig sein können, aber das Gegenteil war der Fall. Nach dem ersten Treffen stand schon das Gerüst von anderthalb Stücken. Die Rosenstolzler wollen vieles ausprobieren.
Wie haben Sie den Sound für das Album gefunden?
Das wussten wir bis zum Schluss nicht so richtig. Der Sound hat sich mit der Arbeit ergeben. Am Anfang hatte die Rhythmusfraktion einen enormen Rums, aber ich habe noch nichts gesagt, weil mir zuerst einmal Melodie und Text wichtig waren. Später sind sie ganz von selbst drauf gekommen. Ich habe mich auch schon einmal mit Leuten getroffen, denen die Reime egal waren. Aber ich liebe es, Worte zu finden und den Inhalt mit beiläufig klingenden Reimen zu bauen.
Ihr letztes Studioalbum liegt vier Jahre zurück. Lassen Sie sich immer so viel Zeit?
Wir haben wirklich sehr lange an dem Album gearbeitet, weil dieser Haufen so schwer zusammenzutreiben ist. Wir sind da nicht verbissen hinterher gejagt, sondern haben uns dann getroffen, wann es gepasst hat. Und dann war die Arbeit jeweils entspannt.
Das Album heißt „Der perfekte Moment … wird heut verpennt". Konnten Sie bei dieser Produktion perfekte Momente erleben?
Eine Menge! Man sitzt zum Beispiel zusammen und freut sich über die Ideen, die man hat und keiner kann sagen, woher die eigentlich kommen. Oder man trifft sich morgens und grübelt bis Mittag vor sich hin. Plötzlich fällt ein Satz und alle schreien „Hurra". Der Rest sprudelt dann ganz von selbst hervor.
Sind Sie schnell mit sich zufrieden?
Nein. Annette Humpe ist da ganz arg und wahnsinnig präzise. Das ist das Schöne an der Zusammenarbeit mit anderen. Ich habe auch schon Stücke allein geschrieben über markante Themen wie Rinderwahn, Klonen oder „Kein Schwein ruft mich an". Würde mir jemand sagen, ich solle ein Stück übers Fahrradfahren schreiben, ginge meine innere Schranke sofort runter. Aber wenn mir jemand anbietet, im Team solch ein Stück zu machen, bin ich viel mehr bei der Sache und denke sofort über Reime nach. Ich hocke einfach nicht gern allein überm Notizblock.
Nach welchen Regeln funktioniert die Zusammenarbeit mit Annette Humpe?
Wir suchen immer zuerst nach einem Thema. Welche Schlagzeile bringt uns auf die Idee für eine Geschichte? Wie kann man einem Menschen auf originelle Weise sagen: Wollen wir uns Treue schwören? Dieser Satz würde bei uns so niemals durchgehen. Wenn wir schließlich die ideale Formulierung haben, fangen wir an, Geschichten zu schreiben. Und die Melodie gesellt sich durch den Rhythmus der Worte ganz von selbst dazu.
Wo suchen Sie nach den Worten?
Natürlich wird man permanent inspiriert, aber dass ich jetzt eine Idee übernähme, ist mir noch nicht passiert. Als „Kein Schwein ruft mich an" fertig war, dachte ich, es gäbe diesen Satz schon irgendwo. Mindestens drei Jahre lang hatte ich Sorge, dass irgendjemand um die Ecke kommt und mir Ideenklau vorwirft. Weil Text und Melodie des Liedes so klangen, als hätte es sie schon immer geben müssen.
Brauchen Sie Ihre gewohnte Berliner Umgebung, um schreiben zu können?
Nein, ich könnte auch woanders schreiben. Aber wenn die Idylle zu groß ist, ist man abgelenkt. In der normalen Rumpeligkeit von Berlin treffe ich mich mit Peter Plate und Ulf Leo Sommer im Studio, während der geniale dritte Mann Daniel Faust nebenan schon irgendwelche musikalischen Gerüste an der Gitarre oder am Computer vorbereitet. Dann singe ich etwas ein, was ich mir schon am selben Abend zu Hause anhören kann. Und mit Annette sitze ich immer am Küchentisch mit einem Schreibblock und suche nach Zeilen.
Wie kam die Zeile „Heute ist ein guter Tag, um glücklich zu sein" zu Ihnen?
„Guten Tag, liebes Glück" war das letzte Stück, das ich mit Peter Plate und Ulf Leo Sommer schrieb. Die beiden meinen, ich hätte diesen Satz gesagt, aber ich habe keine Erinnerung daran. Es ist eigentlich kein typischer Satz für mich, weil er esoterisch daherkommt. Auf jeden Fall rappelte es gleich los. Peter Plate schreibt immer alles mit, was man raushaut. Während ich bei Annette Humpe und Achim Hagemann einfach nach Hause gehe und am nächsten Morgen mit ein paar Zetteln wiederkomme. Die werden dann entweder zerhackstückt oder für gut befunden. Nichts von dem, was ich da gemacht habe, wäre ohne die anderen entstanden. Es war bei drei verschiedenen Arbeitskreisen nicht zu ahnen, dass die Platte wie aus einem Guss klingen würde.
Woran liegt das?
Es hat damit zu tun, dass bei allen drei Arbeitskreisen, die unabhängig voneinander tätig waren, ein und derselbe Mann dabei war. Mir wurde erst später klar, wie groß mein Einfluss ist.
Machen Sie Musik, um andere Menschen glücklich zu machen?
Ich will sie in den Bann ziehen und unterhalten. Die Leute, die in unsere Konzerte kommen, sollen spätestens nach der zweiten Nummer vergessen haben, dass ihr Auto im Parkverbot steht. Ich möchte sie ganz aus der Realität reißen. Mit dem Hauptrepertoire der 20er- und 30er-Jahre ist das sowieso immer so gewesen. Es ist ziemlich unpolitisch, hat aber diese Kraft. Bei den Stücken von heute ist es eigentlich auch so. Ich möchte Geschichten erzählen, den man bis zum Schluss zuhören will. Mal ernsthaft, mal mit ironischen Brüchen.
Die momentane Weltenlage gibt eigentlich keinen Anlass zu Fröhlichkeit. Färbt diese Stimmung auf Ihre Musik ab?
In meiner Platte schwingt eine leichte Melancholie mit. Sie klingt sehr sommerlich, aber man merkt, dass es auf August zugeht. Ganz klar politisch sind diese Lieder nie. Das würde man bei Lady Gaga auch nicht hören. Ich habe aber gelesen, dass Eminem Herrn Trump etwas vor den Koffer gehauen hat.
Sie waren im Frühjahr 2017 wieder in den USA. Welche Stimmung haben Sie dort vorgefunden?
Wir sind nicht in den Gegenden, in denen Trump den großen Erfolg hatte. Bei unserem Publikum ist das nicht so zu merken.
Hat das Lied „Heut bring ich mich um" etwas mit der Weltenlage zu tun?
Ich finde, es ist eines der lustigsten Stücke auf der ganzen Scheibe! Ein selbstmitleidiges, ironisches Lied über Männerschnupfen. Das Gefühl kennt jeder, selbst Kinder sagen manchmal: „Wenn ich mal tot bin, dann seht ihr, dass ich euch fehle! Dann schaue ich euch von oben zu, wenn ihr weint." Am Ende des Lieds sage ich ganz klar, dass es nur ein Gedankenspiel ist. Ich gebe zu, eine sehr spezielle Form von Humor.
Gibt erst die Arbeit Ihrem Leben einen Sinn?
Wenn ich dann erst mal tot bin, hoffe ich, ein paar Antworten darauf zu kriegen. Ich glaube, der Sinn ist, dass man ein gutes Leben führt und mit anderen gut umgeht. Diese Grundhaltung sollte eigentlich hinter dem ganzen System stecken.
Machen Sie sich zu Lebzeiten Gedanken darüber, was Sie als Künstler einmal der Nachwelt hinterlassen werden?
Was nützt mir der Nachruhm? Ich möchte, dass es jetzt schön ist! Ich stehe auf der Bühne und singe. Die ganzen digitalen Tonträger werden sich in Luft auflösen. Unsere Vinylplatten werden vielleicht ein bisschen länger bleiben. Aber wer hört sie sich dann noch an? Vor ein paar Jahren habe ich mir einen privaten Computer angeschafft, um die Arbeit mit dem Büro zu erleichtern. Was es allein bei Youtube an Tonaufnahmen und Konzertmitschnitten gibt! Wenn man auf die Straße geht und die Leute nach den Künstlern fragt, kennt sie kein Mensch mehr. Da mache ich mir überhaupt keine Illusionen.
Vermissen Sie irgendetwas in Ihrem Leben oder sind Sie wunschlos glücklich?
Ich vermisse nichts, nein. Natürlich hat man immer was zu mäkeln, aber ich finde mein Leben gut. Durch die Tourneetätigkeit und das gemeinsame Musizieren kommt man auf neue Sachen und bringt diese auf den Punkt. Gäben wir weniger Konzerte, hätten wir nicht diese Lässigkeit. Dann würde jeder von uns an den Noten kleben. Je länger ein Programm läuft, desto selbstverständlicher und schöner wird die Gestaltung. Es hat auch etwas für sich, wenn man viel arbeitet. Mir fallen überhaupt keine Reime ein, wenn ich frei habe, aber wenn ich im Arbeitsmodus bin, ärgere ich mein Umfeld mit Reimen.
Drückt die Zeile „Liebling, wir lassen uns gehen" den insgeheimen Wunsch aus, sich auch einmal gehen und Ihre perfekte Frisur verflusen zu lassen?
Ja natürlich. Das Lied dreht sich um eine Beziehung, wo man sich gegenüber sitzt und sagt: „Du, sag mal, wir beide müssen uns zusammenreißen und ein bisschen mehr auf uns achten". Das kennt man doch, wenn man älter ist. Wenn ich einen Frack oder Smoking anhabe, ist die halbe Miete schon drin. Bei Nahaufnahmen merke ich aber schon, dass ich eher für die Bühne als für HD geschaffen bin.