Das Saarlandmuseum lädt zu einer Ausstellung ein, die dem Thema Provenienzforschung gewidmet ist. Der Besucher erhält ungewöhnlichen Einblick in spannende Museumsarbeit und ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte.
Proaktiv!“, wenn Dr. Kathrin Elvers-Svamberk, die stellvertretende Leiterin des Saarlandmuseums, dieses Wort ausspricht, dann blitzen ihre blauen Augen, als habe sie eine Formel entdeckt, die sie künftig in die Lage versetzt, Wunder zu bewirken. Tatsächlich bezeichnet der Begriff einen Paradigmenwechsel in Sachen Provenienzforschung am Saarlandmuseum. Abgeleitet aus dem Lateinischen provenire, zu Deutsch „hervorkommen“, beschäftigt sich die Provenienzforschung mit der Herkunfts- und Eigentümergeschichte von Kunstwerken.
In der Vergangenheit reagierte das Saarlandmuseum lediglich auf Anfragen, wenn Ansprüche an Werke, die sich im Besitz der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz befinden, von außen angemeldet wurden. Heute agieren die Verantwortlichen: proaktiv. Erst seit zwei Jahren ist eine wissenschaftliche Mitarbeiterin beauftragt, die Sammlung Kohl-Weigand systematisch dahingehend zu analysieren, inwieweit sich Werke darunter befinden, die im Zeitraum von 1933 bis 1945 einem NS-verfolgungsbedingten Entzug zuzurechnen sind. Maité Schenten benötigt Geduld und Spürsinn und kann sowohl auf digitale Kataloge als auch einen Archivbestand zugreifen, um die komplexen Fälle zu erforschen.
Dass im Zuge der Wiedereröffnung des Saarlandmuseums der Provenienzforschung ein eigener Raum gewidmet, dem Publikum eine Seite der Museumsarbeit offenbart wird, die sonst hinter den Kulissen abläuft, ist bemerkenswert und, insbesondere, was den Umfang dieser Spezial-Schau anbelangt, sogar bundesweit eine Besonderheit.
Die Washingtoner Erklärung von 1998, die auch Deutschland ratifiziert hat, strebt die „Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes“ öffentlicher Sammlungen an und fordert eine „faire und gerechte Lösung“ mit den Erben auszuhandeln. Sowohl eine Restitution als auch der Rückkauf eines Werkes kann die Folge sein.
Systematische Aufarbeitung
„Das öffentliche Interesse an diesem Thema ist groß“, stellt Dr. Kathrin Elvers-Svamberk fest, das zeigten auch die Besucherzahlen der laufenden Ringvorlesung „Herkunft ungewiss?“. Vor zehn Jahren sei das noch ganz anders gewesen. Als „Jahrmarkt in St. Ingbert II“ von Albert Weisgerber seitens des Museums von den Erben zurückgekauft wurde, gab es Stimmen, die es grundsätzlich infrage gestellt hätten, ob es zulässig sei, öffentlichen Besitz an Erben zurückzugeben. „Jahrmarkt in St. Ingbert II“ zählt zur Ausstellung Provenienzforschung, die im Gebäude A, im Untergeschoss Raum vier zu erkunden ist. Warum sind zwei Werke, gleichsam als Schatten ihrer selbst, nur in Schwarz-Weiß an der Wand? Man ahnt es. „Strand mit Fahnenstange“ von Albert Weisgerber und „Gewitter unter dem Rosengarten“ von Max Slevogt sind zurückgegeben worden.
Wer die Dossiers liest, die in der Mitte des Raumes auf dem Tisch ausgelegt sind, wird unmittelbar in eine Geschichtsstunde versetzt, die sich auf intensive Weise durch die Berichte der Forscherinnen fortsetzt. Die Kunstwerke erzählen über Menschen, die in einer Zeit gelebt haben, die keiner von uns erlebt haben will. Interesse, an dem sperrig-trögen Thema Besitzverhältnisse zu entwickeln, fällt leicht, wenn die Vermittlung gewährleistet wird, nicht jeder wird den Zugang alleine finden können. Eigene Führungen zur Ausstellung Provenienzforschung bietet das Saarlandmuseum derzeit nicht an. Die Spezial-Ausstellung soll in ihrer derzeitigen Form bis Mitte nächsten Jahres bestehen bleiben, da bleibt noch Zeit, ein Kunstvermittlungsangebot aufzulegen, vor allem für Gymnasiasten der Oberstufe kann eine Kunst-Geschichtsstunde an diesem Ort eindrucksvoll sein.
Maité Schenten deutet auf Grafiken an der Wand – es sind Kopien, die empfindlichen Originale bleiben verwahrt – und erzählt aus dem Leben der Martha Liebermann. Es fallen Worte wie „Judenvermögensabgabe“ und „Reichsfluchtsteuer“. Begriffe, die ein perfides System bezeichnen, das jüdischen Mitbürgern – aber nicht zu vergessen auch anderen, beispielsweise Kommunisten – Besitz abpresste. Auf den Blättern – mit zartem Strich von Bleistift, Tusche oder Kreide; auf zweien ist Liebermanns Enkelin Maria zu sehen – liest man deutlich den Namen Liebermann, es handelt sich jedoch nicht um eine Signatur, sondern um eine Stempelung. Auf diese Weise autorisierte Martha Liebermann Werke von Max Liebermann, die sie nach dem Tod ihres Mannes 1935 veräußern musste. Die Villa wurde enteignet, sie lebte unter erbärmlichen Umständen. Ihre Tochter war bereits emigriert, erst wollte Martha Deutschland nicht verlassen, dann war es zu spät. 1943 beging sie kurz vor ihrer Deportation nach Theresienstadt Selbstmord. Die Nachfahren leben in Amerika. Proaktiv wandte man sich seitens des Saarlandmuseums an den Direktor der Liebermann-Villa in Berlin, der den Kontakt zum Anwalt der Erben vermitteln konnte. Ein schwebendes Verfahren. In diesem Fall ist der Nachlassstempel ein eindeutiger Beweis, dass die Liebermann-Werke aus der Sammlung Kohl-Weigand im eingeführten Ampelsystem mit Rot zu klassifizieren sind.
Grün lautet die Befundlage dagegen für „Erdbeeren mit Zuckerdose“. Die Besitzer konnten sich samt „Erdbeer-Bild“ retten, was eine erhaltene und aufgefundene Umzugsliste beweist. Das Gemälde wurde erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs veräußert.
Mit Gelb belegte Kunstwerke sollen im Zuge der Provenienzforschung in eine Datenbank eingestellt werden. „Wir wissen nicht, was zwischen 1930 und 1953 war. Eine Lücke“, sagt Maité Schenten und heftet den Blick auf ein Diagramm an der Wand, das neben Albert Weisgerbers „Halbakt in gelber Hose“ den derzeitigen Forschungsstand darstellt: ein gelber Kandidat.
Die Lost Art-Datenbank, seit 2001 von der Stiftung Deutscher Kulturbesitz als Instrument für Such- und Fundmeldungen für Privatpersonen und Museen ins Leben gerufen, gleichzeitig Informationsdatenbank, die zudem Kunsthändler und Sammler aufführt, ist ein wichtiges Recherchewerkzeug in der Provenienzforschung.
Ampelsystem zur Kennzeichnung
Einen Glücksfund, der kürzlich bei der Aufarbeitung der eigenen Archivbestände des Saarlandmuseums ans Tageslicht kam, stellen zwei Bilderlisten von Max Slevogt dar. Der Künstler hat sie in Vorbereitung einer Retrospektive 1928 gemeinsam mit seiner Tochter erstellt und seine Gemälde und deren Besitzer darin aufgeführt. Kohl-Weigand hat die handschriftlichen Dokumente auf dem Slevogthof eingesehen und Typoskripte erstellt, die in einer Vitrine ausgestellt sind. Schauen Sie doch einmal selbst genau: Welches Stillleben, das sich im Raum Provenienzforschung befindet, entdecken Sie auf einer Liste?
„Ja, das ist Detektivarbeit. Man fühlt sich schon manchmal wie Sherlock Holmes“, bekennt Maité Schenten lachend. Ihre Forschungsstelle, finanziert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverlust in Magdeburg, ist befristet und läuft Mitte nächsten Jahres aus. Die Antwort zum Slevogt-Bild lautet übrigens: Ananas. Die Sammlung Kohl-Weigand umfasst 200 Gemälde und 8.000 Grafiken. Kohl-Weigand erwarb einige Werke aus „nicht arischem Besitz“ – mit diesem Vermerk wurden Gemälde bei Auktionen in den 30er- und Anfang der 40er-Jahre angeboten – die Ankaufsunterlagen jedoch fehlen. Zu tun gibt es wohl noch genug, jedenfalls, wenn es im Saarlandmuseum proaktiv weitergehen soll.