Berlin baut auf „Zukunftsorte“ und Digitalisierungsforschung, die „Exzellenzinitiative“ und Nachwuchstalente. Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin und Senator für Wissenschaft und Forschung, über den urbanen Rohstoff Wissen.
Herr Müller, welche Bedeutung hat die Wissenschaft für Berlin?
Es mag wie ein Werbesatz klingen, aber es stimmt: Wissenschaft und Forschung sind die wichtigste Zukunftsressource Berlins. Deswegen bauen wir unsere Investitionen in diesen Bereichen in den nächsten Jahren stark aus. Berlin wird auch international zunehmend als die Stadt der Wissenschaft wahrgenommen – die Brain City, wie wir sie gerne nennen. Die deutschlandweit einzigartige Dichte und Vielfalt an leistungsstarken Hochschulen und Forschungseinrichtungen hat große Bedeutung für eine dynamische Entwicklung unserer Stadt.
Wie wichtig sind Forschung und Wissenschaft für die Berliner Wirtschaft?
Besonders für innovative Unternehmen und Start-ups bietet die Berliner Wissenschaft ein ideales Umfeld, mit vielen Impulsen aus der Grundlagenforschung und Kooperationsmöglichkeiten in der angewandten Forschung. Dazu kommt ein großer Pool an hervorragend ausgebildeten Absolventinnen und Absolventen. Das sind wichtige Faktoren bei der Standortwahl von Unternehmen, und viele kommen genau deshalb nach Berlin. Auch Ausgründungen aus unseren Hochschulen spielen inzwischen für das wirtschaftliche Wachstum eine wichtige Rolle, mit Tausenden neu entstandenen Arbeitsplätzen und Milliardenumsätzen.
Ist es denn gelungen, internationale Spitzenforscher zu holen?
Der weltweite Wettbewerb um die besten Köpfe ist hart, aber wir gehen ihn selbstbewusst an. Viele internationale Spitzenforscherinnen und -forscher sowie Nachwuchstalente überzeugen dabei als Berliner Gesamtpaket. Da ist die hohe Qualität der Forschung, eine große Bandbreite an herausragenden Institutionen und Vernetzungsmöglichkeiten. Natürlich spielt auch die Attraktivität der Stadt eine wichtige Rolle, mit ihrer kulturellen Vielfalt, Weltoffenheit und ausgeprägten Toleranz.
Gibt es in der Berliner Wissenschaft bewusste Schwerpunktsetzungen?
Es gibt bereits einige Schwerpunkte, die sich in Berlin ausgebildet haben und die wir auch gezielt weiter fördern, etwa durch unsere Einstein-Stiftung Berlin. Dazu gehört beispielsweise die starke geisteswissenschaftliche Forschung, die Mathematik, oder der gesamte medizinisch-lebenswissenschaftliche Bereich. Wir entwickeln auch weitere Schwerpunkte in wichtigen Zukunftsfeldern.
Welche Rolle spielen beispielsweise IT und Digitales?
Wir bauen Berlin zu einem internationalen Zentrum der Digitalisierungsforschung aus. Anfang des Jahres eröffnete das neue Fraunhofer Leistungszentrum Digitale Vernetzung. Kurz darauf folgte das Einstein Center Digitale Zukunft, an dem berlinweit über 50 neue Digitalisierungs-Professuren in Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik entstehen. Ein wichtiger Meilenstein ist auch die erfolgreiche Ansiedlung des Deutschen Internet Instituts in Berlin. Hier entsteht eine große Dynamik, von der auch Unternehmen profitieren, die sich mit Veränderungsprozessen durch die Digitalisierung auseinandersetzen müssen.
Adlershof – wie wichtig ist die Wissenschaftsstadt für das Image der Berliner Forschung?
Ich bin von der anhaltenden Entwicklung der letzten Jahre tief beeindruckt. Vielen gilt Adlershof zu Recht als Inbegriff für einen höchst erfolgreichen Wissenschafts- und Technologiestandort. Das wird auch weit über die Landesgrenzen hinaus gesehen.
Wie fügen sich die anderen WISTA-Standorte ins Adlershof-Konzept?
Adlershof steht gewissermaßen Pate für den Auf- und Ausbau weiterer Zukunftsorte in Berlin. Dabei geht es nicht darum, Adlershof zu duplizieren, dafür sind die Voraussetzungen an den verschiedenen Standorten in unserer Stadt zu unterschiedlich. Zukunftsorte, die vom Berliner Senat gefördert werden, wie etwa der Campus Berlin-Buch, das Fubic in Dahlem oder die geplante Urban Tech Republic am Standort Tegel, sollen von den Erfahrungen in Adlershof profitieren. Sie werden aber ihre eigenen Profile entwickeln, abhängig von der jeweiligen Zusammensetzung der lokalen Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen. Das ist ja das große Glück, das wir in Berlin haben: Die Wissenschaft und Forschung ist vielfältig und über die ganze Stadt verteilt.
Das Verhältnis zwischen den Berliner Hochschulen – ist es eigentlich eher von Konkurrenz oder von Kooperation geprägt?
Selbstverständlich ist in der Wissenschaft ein gewisses Maß an Wettbewerb förderlich, und natürlich gibt es in Berlin hier und da auch mal Konkurrenz. Was unseren Standort allerdings viel mehr prägt und inzwischen zu einem richtigen Markenzeichen geworden ist, ist eine wirklich starke Kultur der Kooperation. Die kluge Nutzung von Synergien über Fach- und Institutionsgrenzen hinweg eröffnet viele neue Möglichkeiten. Wir sehen die Erfolge in der Exzellenzstrategie und in der Ansiedlung neuer Institute.
Gelingt es den Hochschulen, genug Drittmittel einzuwerben? Oder sind sie von Subventionen abhängig?
Zunächst brauchen Hochschulen eine verlässliche Finanzierung für gute Lehre und Forschung. In Berlin erhöhen wir deshalb die Zuschüsse an die elf staatlichen Hochschulen in den nächsten fünf Jahren um zusätzliche 650 Millionen Euro. Natürlich sind aber auch Drittmittel zunehmend wichtig, sie erweitern Handlungsspielräume und fördern die Profilbildung. Dabei schneiden etwa die Freie Universität, die Humboldt-Universität und die Technische Universität im deutschen Vergleich sehr gut ab und werben jährlich jeweils zwischen 110 und 160 Millionen Euro Drittmitteln ein. Aber es gibt sicher noch Luft nach oben, etwa bei den Fördermitteln aus Brüssel und aus der Industrie. Da wollen wir noch besser werden.
Wie sieht es bei den Studierenden in Berlin aus? Bleiben sie in der Stadt? Finden sie hier Arbeitsplätze?
187.000 junge Menschen aus der ganzen Welt studieren oder promovieren an den elf staatlichen, zwei konfessionellen oder 29 privaten Hochschulen in unserer Stadt. Das ist ein neuer Rekord! Und unsere Absolventinnen und Absolventen sind begehrt – das gilt sowohl für den Berliner Arbeitsmarkt, der sich seit Jahren positiv entwickelt, als auch für andere Standorte. Manche gehen ins Ausland, andere wiederum gründen ein Start-up und werden selbst Teil der besonderen Berliner Wirtschaftsszene.
Welche Perspektive sehen Sie für die kommenden Jahre? Welche Herausforderungen gibt es?
Wir wollen Berlin zu einem der zehn wichtigsten Wissenschaftsstandorte weltweit machen. Daran arbeiten wir in den nächsten Jahren. Zugleich müssen wir uns dafür einsetzen, dass auch der Bund sein Engagement für die deutsche Wissenschaft und Forschung weiter ausbaut. Das gilt zum Beispiel für die dringend benötigte Verstetigung des Hochschulpaktes, eine deutliche Verbesserung der Wohnsituation für Studierende, und nicht zuletzt eine sachgerechte Finanzierung der Universitätskliniken. Denn nicht nur für Berlin gilt: Wissenschaft und Forschung sind unsere wichtigste Zukunftsressource.