Interkosmosforschung und „Aktuelle Kamera“ damals, Hightech-Industrie und „Anne Will“ heute. Die Wissenschaftsstadt Berlin-Adlershof ist Deutschlands größter Wissenschaftspark und Berlins größter Medienstandort. Auf gut vier Quadratkilometern sind 1.041 Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen mit 16.778 Mitarbeitern ansässig.
Die Anfänge vor mehr als 260 Jahren waren bescheiden. Friedrich der Große siedelte auf dem Areal Kolonisten an und ließ 3.000 Maulbeerbäume für die Seidenproduktion pflanzen. Das 1754 gegründete Zinsgut Adlershof gab der benachbarten Kolonie ihren Namen. Im Jahr 1800 zählte die Ansiedlung 65 Einwohner. 1872 begann der Unternehmer Quistorp den Bau einer Villenkolonie. Er ging jedoch pleite, in den folgenden Jahren wurden nur wenige Häuser gebaut. Dennoch erhielt die 1867 fertiggestellte Görlitzer Eisenbahn 1874 eine Haltestelle in Adlershof. Fünf Jahre später wurde das Gut Adlershof aufgelöst und in eine Gemeinde umgewandelt. Nun ging alles schnell. Im Zuge der Industrialisierung Berlins siedelte sich in Adlershof 1882 die Chemiefirma “C. A. F. Kahlbaum” an, der bald weitere Fabriken folgten. Die Einwohnerzahl erhöhte sich bis 1900 auf mehr als 8.000.
Zentrum des Flugwesens
1909 wurde im westlich angrenzenden Ortsteil Johannisthal der erste deutsche – und weltweit zweite – Motorflugplatz in Betrieb genommen und wegen seiner Lage Johannisthal-Adlershof genannt. 1912 nahm die auf Initiative von Graf Zeppelin gegründete Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt (DVL) in Adlershof ihre Arbeit auf. Schnell wurde das Gebiet zu einem Zentrum der deutschen Flugzeugindustrie. Die Rüstungsindustrie kurbelte im Ersten Weltkrieg die Produktion an, fast jede dritte deutsche Militärmaschine wurde hier gebaut.
Aerodynamik und Zwangsarbeit
1919 startete dann der erste deutsche Linienflug mit Passagieren nach Weimar. Infolge des Versailler Vertrages kam die Luftfahrtforschung praktisch zum Erliegen und wurde erst 1922 mit erheblich weniger Umfang wieder aufgenommen. Von der Luft ging es zurück auf die Erde. 1929 rollte das erste Modell des BMW „Dixi“ vom Band.
Sehr einträglich war der Standort bis 1933 auch für die Spielfilmproduktion. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg entstanden auf dem Gelände in Adlershof erste Filmstudios. Legendäre Filmklassiker, wie „Das Testament des Dr. Mabuse“, wurden hier gedreht.
Erst die Nazis machten Adlershof wieder zum zentralen Standort der deutschen Luftfahrtforschung. 1934 und 1936 wurden zwei der damals weltweit modernsten Windkanäle in Betrieb genommen. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges liefen die Forschungsanlagen der DVL auf Hochtouren. Große Flugzeugfirmen wie Junkers, Heinkel oder Messerschmitt waren vor Ort. Geforscht wurde zu Aerodynamik, Navigationsgeräten, Luftfahrtmedizin, Motorenbau, Thermodynamik und Triebwerksmechanik. Es war aber auch das dunkelste Kapitel in der Geschichte Adlershofs. In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich eines der größten Berliner Zwangsarbeiterlager. Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge schufteten beim Bau von Schutzräumen und in der Produktion.
Neustart mit Aktueller Kamera
Während in Berlins Mitte noch gekämpft wurde, inspizierte Ende April 1945 eine sowjetische Expertengruppe die Forschungsanstalt. Die noch verbliebenen Triebwerke, Flugzeuge, Ausrüstungen und Waffenmuster wurden getestet und in die Sowjetunion verfrachtet, ebenso wie die technischen Einrichtungen. Der Flugbetrieb verlor weiter an Bedeutung und wurde 1954 endgültig eingestellt.
Die sowjetische Besatzungsmacht erteilte 1946 den Befehl zur Gründung der Deutschen Akademie der Wissenschaften, ab 1972 dann Akademie der Wissenschaften der DDR. In Adlershof entstand ein großes naturwissenschaftliches Forschungszentrum für Physik, Chemie, Material-, Luft- und Kosmosforschung.
1952 nahm in Adlershof auch der Deutsche Fernsehfunk seinen Sendebetrieb auf, zuerst mit einem öffentlichen Versuchsprogramm mit täglich zwei Stunden Sendezeit für 60 Fernseher. So viele gab es damals in der DDR, und alle standen in Berlin. Zum regulären Sendestart 1956 waren es schon 50.000 Geräte republikweit. Die erste Sendung nach der Begrüßung der Zuschauer war ab 1952 die Aktuelle Kamera. Die älteste deutsche Nachrichtensendung – sie war fünf Tage älter als die Tagesschau – flimmerte bis Dezember 1990 über die Bildschirme.
Im einst größten Fernsehstudio Europas wurden Fernsehfilme und -serien, Shows und Unterhaltungssendungen, Nachrichten- und Ratgebermagazine, Kinder- und Jugendprogramme sowie Schulfernsehen produziert. Ganze Generationen haben mit Tom und Peggy Englisch gelernt. Legendär die Straßenfeger der 1960er und 1970er-Jahre wie die „Blaulicht“-Reihe, der „Kessel Buntes“ oder „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ zu Weihnachten. Die 1989 gestartete Jugendsendung „Elf99“ hatte die damalige Postleitzahl von Adlershof im Namen. Nur wenige Formate überlebten die Abschaltung des Sendebetriebs Ende 1991, darunter das Sandmännchen, der Polizeiruf 110 und das Gesundheitsmagazin „Visite“.
Während links der Rudower Chaussee geforscht und gesendet wurde, entstanden auf der anderen Seite ab 1954 Kasernen für das Wachregiment der Staatssicherheit „Feliks Dzierzynski“.
Hoch hinaus ins All
Die DDR wollte mit dem großen Bruder mithalten und beteiligte sich deshalb am Interkosmos-Programm der UdSSR. 1978 erfüllte sich dann ein großer Traum – der erste Deutsche im All kam aus dem Osten: Sigmund Jähn. Die Multispektralkamera an Bord stammte aus Adlershof. 1981 gründete sich dort das Institut für Kosmosforschung (IKF).
Nach 1990 wurde mit dem Fernsehen und dem Wachregiment auch die Akademie der Wissenschaften abgewickelt.
Aus ihr gingen acht außeruniversitäre Forschungseinrichtungen hervor, darunter die Institute für Weltraumsensorik und Planetenerkundung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die damalige EGA und heutige WISTA-Management GmbH wurde beauftragt, in Adlershof einen Hochtechnologiestandort zu entwickeln, die „Stadt für Wissenschaft und Wirtschaft“. Ab 1996 wuchs der naturwissenschaftliche Campus mit den Fakultäten der Humboldt-Universität zusammen. Untergebracht ist dort auch das Archiv der Uni, wo mehr als 200 Jahre Universitätsgeschichte aufbewahrt werden. Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologiepark zählt zu den 15 größten Scienceparks weltweit. Zu ihm gehören Unternehmen, die sich unter anderem auf Photovoltaik und erneuerbare Energien, Mikrosysteme, IT und Biotechnologie konzentrieren. Die Humboldt-Universität unterhält sechs naturwissenschaftliche Institute. In der Medienstadt haben sich 147 Unternehmen angesiedelt, darunter auch „Will Media“, die Firma von Anne Will, sowie gleich nebenan 382 Gewerbebetriebe, Restaurants, Geschäfte und Hotels.