Im Zuge des Athleisure-Hypes haben Designer diesen Winter einem Accessoire Trendpotenzial bescheinigt, das früher nur auf den Tribünen der Fußballstadien für Furore gesorgt hatte. Dabei haben sie dem traditionellen Fanschal ein modisches Facelifting verpasst.
Im modernen Fußball spielen Merchandising-Artikel eine immer wichtigere Rolle. Neben den Trikots erfreuen sich vor allem Fanschals größter Beliebtheit. Denn während die Leibchen der favorisierten Vereine der 1. Bundesliga mit rund 80 Euro so richtig ins Geld gehen können, sind die traditionellen Fußballschals schon für etwa 14 Euro zu haben. Allerdings haben viele deutsche Clubs inzwischen erkannt, dass manche ihrer Stadionbesucher bei letzterem Produkt auch gesteigerten Wert auf den modischen Aspekt legen. Von daher haben sie ihr Fanartikel-Sortiment um Strick- oder Zopfschals erweitert, bei denen nicht mehr das Logo im Fokus steht, sondern eher die Streetwear-Tauglichkeit. Solche Schals können dann schon mal 30 Euro kosten.
Bis Anfang der 70er-Jahre waren die meisten Schals Handarbeit aus Wolle, genau wie ihre frühen Vorläufer aus den 20er- und 30er-Jahren. Sie waren fast ausschließlich auf den Arenen-Rängen der britischen Insel anzutreffen. Nur auf Schalke oder im Bremer Weserstadion konnten damals auch hierzulande schon von Oma gestrickte Schals in Vereinsfarben vereinzelt gesichtet werden. Erst danach wurden sie von industriell hergestellten Fanschals aus Polyester mit Logo- oder Namen-Prints abgelöst. Die britischen Clubs nahmen den Vertrieb dieses lukrativen Accessoires im Rahmen des für den Fußball komplett neuen Merchandising-Geschäfts dabei selbst in die Hand. In Deutschland sollte es noch geraume Zeit dauern, bis der FC Bayern München dank seines Managers Uli Hoeneß als erster Verein die interessanten Vermarktungsmöglichkeiten erkannt haben würden.
Mit der High-Fashion gab es für den Fußballschal fast ein Jahrhundert lang keinerlei Berührungspunkte. Schließlich galt er als proletenhaft und schrill in Wortwahl und Gestaltung und brachte die (vermeintliche) Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlich nicht allzu hoch angesiedelten Gruppe zum Ausdruck, die an Spieltagen in der Regel durch Alkoholexzesse und gelegentliche Gewalteskapaden von sich reden machte. Was Band-T-Shirts für Anhänger von Rock- oder Pop-Gruppen waren, das waren die Schals für Fußballbegeisterte. Mit ihnen ließ sich das Fan-Sein, das Bekenntnis zu einem bestimmten Club, die Zugehörigkeit oder das Abgrenzen von anderen, öffentlich bestens zum Ausdruck bringen. Einen Fanschal trug man Jahrzehnte lang nicht einfach nur zum Spaß oder als Halswärmer, geschweige denn als schmückendes Teil.
Vor wenigen Jahren begann diesbezüglich ein Umdenken. Was zunächst, wie die „Zeit“ in einem Artikel von Anfang 2011 bemerkt hatte, in einer zusätzlichen eleganteren Variante des Schals zum Ausdruck gebracht wurde. Das lässt gewissermaßen das Fan-Sein nur noch erahnen. Etwa zur gleichen Zeit war das Potsdamer Label Parol noch einen Schritt weiter gegangen und hatte lange Schals, die optisch an Fußballschals erinnerten, mit Bekenner-Sprüchen zu Schauspielern, Schriftstellern oder Komponisten wie Hildegard Knef, Albert Camus oder Richard Wagner ausstaffiert. Die Wiener Marke Christina Berger hatte in ihrer Sommerkollektion 2011 schwarz-weiß-gehaltene Fanschals mit der Aufschrift „Breasts not Bombs“ präsentiert. 2013 schenkte mit Comme des Garçons erstmals ein Fashion-Traditionshaus dem Fußballschal seine Aufmerksamkeit. Für 220 Euro wurde in der Sommer-Kollektion der „Patchwork Soccer Flags Scarf“ angeboten, der ohne konkreten Bezug auf einen bestimmten Verein verschiedenste Details von Streifen bis zu Sternen auf bunten Untergrund munter vermischte.
Schrill sind die Schals, aber nicht mehr proletenhaft
Spätestens als in der Wintersaison 2015/2016 Vetements seinen ersten Statement-Fußballschal in Rot-Schwarz mit Fantasie-Beschriftung und Fransensaum präsentiert hatte, war klar, dass sich das Ganze zu einem Trend entwickeln würde. Zumal Demna Gvasalia wenig später in seiner Pre-Fall-Kollektion 2016 für Balenciaga mit einem überdimensionierten Schal mit plakativem Balenciaga-Schriftzug nachgezogen hatte. Und auch der russische Fashion-Shootingstar Gosha Rubchinsky hatte die Fanschals längst zu einem fixen Bestandteil seiner Kollektionen gemacht, wobei er auf kyrillische Schriftzeichen setzte. 2016 sprang auch das innovative Münchner Label A Kind of Guise auf den Trendzug auf und präsentierte verschiedene Schals, beispielsweise in Zartrosa, mit Frakturschrift, mit Drachen oder Smileys. Bei all diesen verschiedenen Fanschals kristallisierten sich einige wenige Merkmale als elementare Bestandteile heraus: mindestens zweifarbig, Logo-Print oder Aufschrift, Fransen.
„Fußball-Anhänger tragen Schals mit dem Logo ihres Lieblingsvereins. Warum dann nicht einen vom Lieblingsdesigner tragen, so als Clubausweis?“, so das Magazin „Harper’s Bazaar“. Der kann gelegentlich schon mal etwas Geld kosten, genau wie Schals von Vetements, für die stolze 880 Euro verlangt werden. Da ist Gosha Rubchinsky schon weitaus fanfreundlicher eingestellt, sein günstigster Schal wurde im Handel schon für gut 30 Euro gesichtet, es gibt allerdings auch Exemplare für rund 80 Euro. „Der Siegeszug des Fanschals in der Mode ist eine neue Art von Luxus, man zahlt dafür, zu einer coolen Elite zu gehören“, so die Wiener Tageszeitung „Der Standard“. „Das Accessoire wird zum Code, zum Erkennungszeichen für Insider. Man ist Mitglied des FC Fashion.“
Die Designer haben es dabei geschafft, dem braven Accessoire vom Spielfeldrand seinen Anti-Chic auszutreiben. Immerhin war das ihnen auch schon bei anderen lässig-sportiven Teilen wie Jogginghosen, Tracksuits oder jüngst den Radlerhosen gelungen. Dem Beispiel von Vetements und Rubchinsky folgend, brachten jüngst auch Labels wie Stella McCartney, Gucci, Versace, Supreme oder Palace ihre spezielle Statement-Schalversion auf den Markt. Diesen Winter können modebewusste Männer oder Frauen die Lust am Stilbruch mittels eines Statement-Scarfs munter weiter treiben, sofern sie das Glück haben sollten, eines der heiß begehrten und daher meist in Windeseile ausverkauften Accessoires tatsächlich käuflich erwerben zu können. Im Internet konnten wir noch aktuelle Fashion-Fanschals von Vetements, Gosha Rubchinsky, Y/Project (mit Porträts europäischer Herrscher wie Napoleon oder Ludwig XVI.), Monki, Urban Outfitters, Granted oder Token Surfobards entdecken. Beim Tragen sollte keinesfalls der Fauxpas begangen werden, den Schal um den Hals zu wickeln oder zu verknoten. Am besten locker über die Schulter werfen und wie ein Banner an beiden Seiten herunterbaumeln lassen.