Ein AfD-Bezirksstadtrat? Das ist vielen in Reinickendorf „ejal“: Schön wäre, es würde mal mehr passieren als „fromme Appelle“ gegen rücksichtslose Radler und Yoga auf dem Zierrasen. Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder ist da ganz anderer Meinung.
Die Frage, was eigentlich passiert, wenn die AfD mitregiert, wenn sie an entscheidender Stelle in der Berliner Verwaltung sitzt, lässt sich pauschal nicht beantworten. Denn das Phänomen ist neu. Die Partei ist jung und stellt erstmalig Bezirksstadträte in Berlin. Insgesamt gibt es derzeit sieben Stadträte, die für die AfD Aufgaben übernommen haben – jedoch sind nicht alle auch Mitglied der Partei. Daniel Krüger etwa ist Bezirksstadtrat in Pankow für die AfD und zuvor nach mehr als 20 Jahren aus der CDU ausgetreten. Parteimitglied der Alternative für Deutschland will er jedoch vorerst nicht werden. In Pankow leitet er das Ordnungs- und Umweltamt. In Neukölln trat der Umweltstadtrat Bernward Eberenz aus der AfD aus.
Über die Grenzen seines Bezirks hinaus und teilweise bundesweit bekannt geworden ist bislang ausschließlich Sebastian Maack. Seine Neuorganisation des Standesamtes in Reinickendorf war dem Wochenmagazin „Focus“ einen eigenen Beitrag wert: Ende 2016 mussten die Reinickendorfer über fünf Monate auf die Voranmeldung zur Eheschließung warten. Geburts- und Sterbeurkunden dauerten bis zu sechs Wochen. Maack entwarf ein Optimierungskonzept, das Erfolg hatte. Mit zusätzlichem Personal, das sich aus Inspektoranwärtern auf Probe, Auszubildenden, Abordnungen von Mitarbeitern anderer Fachbereiche und einem pensionierten Standesbeamten zusammensetzte, baute Maack den Rückstau im Standesamt ab. Ein Postsortierschrank, über den Bestatter mit vielen Vorgängen ihre Unterlagen abgeben und abholen können, erspart ihnen seit einigen Monaten die Wartezeit in der Sprechstunde. Zugutekommt die eingesparte Zeit allen anderen, die die Sprechstunde nutzen möchten. Prozessoptimierungen wie diese sind für den gelernten Wirtschaftsingenieur Maack, der lange als IT-Berater gearbeitet hat, kein Problem.
Außerhalb des Standesamtes nimmt man Maack in Reinickendorf vor allem über seine Schwerpunkteinsätze gegen Falschparker und rechtswidrig operierende Händler beim Flohmarkt an der Markstraße wahr. Seine Erfolge bei der Durchsetzung des Ordnungsrechts und beim Standesamt kommen bei vielen Reinickendorfern erwartungsgemäß gut an. Wäre Maack CDU-Mitglied, was der 47-Jährige rund drei Jahrzehnte auch tatsächlich war, dann wäre seine Arbeit als Bezirksstadtrat keiner weiteren Erwähnung wert. Doch hier geht es um die AfD. Es stellt sich die Frage, inwieweit Maacks Arbeit die Zustimmungswerte für seine Partei fördert und wie er selbst einzuordnen ist.
Der Politikwissenschaftler Carsten Koschmieder von der Freien Universität (FU) Berlin weist darauf hin, dass es unter den Berliner AfD-lern tatsächlich „Gemäßigte“ gebe, die lange in der CDU waren und nicht selbst durch rechtsextreme Aussagen aufgefallen sind. Koschmieder: „Ich finde aber die Unterscheidung schwierig: Ein Amt für eine Partei auszuüben, deren Vorsitzende, deren Spitzenkandidaten, deren Wahl- und Parteiprogramm antidemokratische und rassistische Positionen verbreiten – damit unterstützt man diese Positionen.“ Man arbeite aktiv daran, dass die Positionen Gehör fänden, dass sie mehr Stimmen bekämen. „Solange das in der Partei Randerscheinungen wären, könnten wir über einzelne Stadträte sprechen und wie die einzuordnen sind. Aber wenn die Ablehnung der Demokratie so weit verbreitet ist in der Partei und von den Vorsitzenden und Vorstandsmitgliedern geteilt wird, dann ergibt das keinen Sinn“, sagt Politikwissenschaftler Koschmieder.
Und inwiefern unterscheidet der Bürger auf der Straße zwischen den Positionen eines AfD-Bezirksstadtrates und den Werten dieser Partei? Wer sich längere Zeit beispielsweise mit Bürgern im beliebten und eigentlich eher beschaulichen Alt-Tegel unterhält, wird ein Stück weit verunsichert.
„Det is doch Sodom und Gomorrha hier in Alt-Tegel, egal wann man hierher kommt“, ruft Peter K. verärgert. Der 79-jährige Rentner schiebt seinen Rollator langsam aber zielstrebig über die Greenwich-Promenade am Ufer des Tegeler Sees. „Sehn Se!? Det mein ick!“ Ein Radfahrer zischt mit rasanter Geschwindigkeit sehr nah an dem Rentner vorbei, die erschrockenen Rufe des Rentners hört er aufgrund seiner ohrumschließenden Kopfhörer offensichtlich gar nicht. „Der Fahrradweg ist weiter links, hier is nur für Fußgänger“, beschwert sich der Rentner. „Watt, der Maack is‘ von der AfD, wusste ick ja jar nich‘. Is‘ mir aber auch fast ejal, Hauptsache, et macht mal eener wat!“
Eine weitere Tegelerin, um die 50, sitzt auf einer der Bänke und mischt sich ein. „Reinickendorf ist klassisches CDU-Gebiet, aber es scheint, als hätten die Christdemokraten uns nicht wirklich ernsthaft zugehört! 98 Prozent der Hundebesitzer hier führen ihr Tier doch wie selbstverständlich nicht mehr an der Leine. Obwohl das inzwischen verboten ist. Andere heizen hier am Tegeler See wie irre mit dem Fahrrad über den Gehweg oder machen auf dem Zierrasen Yoga, obwohl da überall ein Schild mit ‚Betreten verboten‘ steht“, empört sie sich und fährt fort: „Von den ganz besonders schlauen Leuten, die hier unerlaubt die Enten mit altem Brot füttern, reden wir besser mal gar nicht. Mit Brot! Wie blöde kann man eigentlich sein? Das ist doch schon immer verboten!“ Die Frau hat Recht, am Ufer des Sees, wo gerade eine Rentnerin eine große Tüte alter Brötchen an die Enten verfüttert, hat das Gartenbauamt gleich mehrere große Infotafeln aufgestellt. Auf denen wird erklärt, wie schädlich Brot für die Tiere ist, weil dem Backwerk die nötigen Nährstoffe fehlen, die die Tiere gerade jetzt zum Winter dringend brauchen. Sogar eine geeignete Alternative erwähnt das Amt auf dem Schild: Salatblätter. „Die Schilder sind schön, aber das bringt nichts, wenn man hier nicht konsequent durchgreift. Hier ist doch der ganze Bereich flächendeckend mit Entenkot verdreckt.“ Die einzige ordnungsrechtliche Maßnahme, die sie von der CDU jemals hier wahrgenommen hätte, bevor die AfD das Ordnungsamt übernahm, sei das Aufschreiben von Falschparkern oder eben „das Schild“ da vorne. Auf diesem speziellen Schild wird der Reinickendorfer Bezirksbürgermeister wie folgt zitiert: „An dieser Stelle dürfen Sie über das Wegwerfen von Müll und Abfall außerhalb der dafür vorgesehenen Behälter noch nicht einmal nachdenken.“
„Solche frommen Appelle reichen doch nicht aus, wenn det Fehlverhalten nicht gleichzeitig Konsequenzen zeitigt. Und ich sehe das Ordnungsamt hier vorne am See kaum – und zwar weder unter der CDU-Führung früher, noch unter der AfD jetzt“, sagt Peter K. Die 50-Jährige meint zustimmend: „Ja, genau, hier muss man die Übeltäter schon selbst ansprechen.“ Sagt sie und wendet sich an die etwa 70-jährige Entenfütterin: „Sie wissen doch, dass das verboten ist, schauen Sie, hier ist das Schild!“ Die ältere Dame reagiert unerwartet aggressiv, offenbar ist sie schon öfter für ihr Verhalten kritisiert worden. „Sind Sie jetzt fertig? Die Tiere haben doch Hunger, Sie sind doch nie hier. Ich bin jeden Tag hier, und Sie kommen einmal vorbei und pöbeln hier rum!“ Ein anderer Herr, der sich im weiteren Verlauf als Arzt herausstellt und seinen recht lebensfrohen Mischling mit der Leine betont eng am Körper führt, ruft der Entenfütterin zu: „Es wäre schön, wenn auch Sie die geltende Rechtslage anerkennen könnten!“ Die Seniorin sieht das anders: „Halt Du dein Maul“, schnauzt sie. Der Arzt antwortet: „Manchmal gehen die Situationen hier schon sehr stark ins Dissoziale.“ Wirklich erreicht hat er mit seinem Juristendeutsch gegenüber der ruppigen Entenfütterin nichts.
Peter K. schiebt seinen Rollator derweil resigniert weiter. „Seh’n Se, det kommt dabei ’rum, wenn man über Jahre dem Bürger gerne ‚zuhört‘, aber nicht handelt. Wer soll die Dame da oder die Leute, die ihre Hunde nicht anleinen, noch zur Räson bringen, wenn die etablierten Parteien das nicht schaffen?“
„Wählen tu ick die aber nicht. Aus Prinzip“
Folgt man dem Reinickendorfer Rentner, liegt die beste Möglichkeit, die Vertreter der AfD wieder aus den Bezirksämtern herauszubekommen, womöglich bei den etablierten Parteien. Vielleicht müssen CDU und SPD wieder lernen, dass Zuhören und Beschwichtigen nicht immer ausreichen, sondern manchmal auch zielstrebiges Handeln gegen Missstände im öffentlichen Raum nötig ist. Wer dabei sichtbare Erfolge nachweisen kann, kommt bei vielen Wählern gut an. „Wenn die CDU mal aktiv die Probleme anjegangen wäre, dann säße jetzt sicher nicht die AfD an der Spitze des Ordnungsamtes“, analysiert Peter K. „Wählen tu ick die aber trotzdem nicht. Aus Prinzip schon nicht.“