Jerusalem-Frage oder Jobs: Der US-Präsident will seine Basis elektrisieren
Kaum ein Tag vergeht, an dem die Welt nicht verwundert nach Washington schaut. Egal ob Nordkorea, der Iran oder die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Immer wieder schreckt US-Präsident Donald Trump die internationale Öffentlichkeit auf. Die Unberechenbarkeit, so scheint es, ist das einzig Berechenbare bei Trump.
Doch diese Sichtweise täuscht. In vielen Fällen macht der Chef des Weißen Hauses genau das, was seine Wähler von ihm erwarten. Und nur das zählt für ihn. Der Präsident kalkuliert kühl und hat bereits zwei Zeithorizonte im Blick: Bei den Zwischenwahlen zum Kongress im November 2018 werden ein Drittel der Senatoren sowie alle Abgeordneten des Repräsentantenhauses neu gewählt. Im Senat verfügen die Republikaner nur über eine knappe Mehrheit – hier will Trump seiner Partei einen größeren Vorsprung bescheren. Dieser Rückenwind soll ihn dann in das Rennen um seine Wiederwahl zwei Jahre später tragen.
Die Entscheidung, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen, ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Trump hat sie im Wahlkampf angekündigt. Wohl wissend, dass es in Amerika eine weitreichende pro-israelische Grundstimmung gibt. Sie prägt nicht nur die beiden Kammern des Kongresses, sondern die gesamte Bevölkerung.
Religion spielt in den USA eine viel bedeutendere Rolle als in den säkularen Gesellschaften Westeuropas. Jeder vierte Amerikaner rechnet sich einer evangelikalen Protestantenkirche zu. Für deren Mitglieder steht die Bibel an erster Stelle. Sie vertreten streng konservative Werte, sind strikt gegen Abtreibung und Homosexuellen-Ehe. Hier gibt es große Überschneidungen mit Trumps Partei der Republikaner. Und: Mehr als 80 Prozent dieser Evangelikalen glauben, dass Israel den Juden von Gott gegeben sei.
Mit seinem Vorstoß für Jerusalem elektrisiert Trump seine Basis. Das gleiche Prinzip lässt sich auch in seiner Wirtschaftspolitik beobachten. Der Präsident pfeift auf internationale Abkommen wie die Pariser Übereinkunft zur Klimapolitik oder Handelsverträge wie Nafta (mit Kanada und Mexiko) und TPP (mit Pazifik-Staaten). Es geht ihm um den Schutz amerikanischer Arbeitsplätze. Vor allem weiße männliche Angestellte haben ihn 2016 gewählt. Im Mittleren Westen grassierte die Angst vor der Globalisierung und dem Verlust alter Industrie-Jobs besonders stark.
Auf diese Wählerschichten zielt der Präsident. Mehr Kohle-Kraftwerke, mehr Ölbohrungen, mehr Gasgewinnung durch Fracking sollen die USA zum einen unabhängiger von weltweiten Energielieferungen machen, zum anderen neue Stellen im Land schaffen. Trumps Schlachtruf „Make America Great Again" wird so zur großen Projektionsfläche für die Träume und Sehnsüchte jener, die sich abgehängt fühlten.
Auch die geplante Steuerreform, die Firmen und Superreichen Einsparungen in gigantischer Milliardenhöhe beschert, soll die Wirtschaft noch mehr unter Strom setzen. Klein- und Mittelverdiener erhalten immerhin eine geringe Entlastung. Dass für sie der warme Finanzregen aber nur acht Jahre andauert und danach der Fiskus wieder härter zuschlägt, ist für die meisten heute nicht relevant. Bereits seit sieben Jahren wächst die Zahl der Arbeitsplätze unter dem Strich. Wenn man so will, profitiert Trump derzeit auch von der Wirtschaftspolitik seines Vorgängers Barack Obama. Doch der Präsident zieht mit der Schelle durchs Land und verkauft das Job-Wachstum als seinen Erfolg. Neuerdings steigen zudem die Nettoeinkommen der Haushalte, wovon auch Ärmere profitieren. Auch das wird von der PR-Maschinerie des Weißen Hauses gnadenlos vermarktet.
Es gehört zu den Eigenheiten des US-Wahlsystems, dass es nicht auf die Mehrheit der Stimmen im ganzen Land („popular vote") ankommt – hier hat Hillary Clinton deutlich vor Donald Trump gewonnen. Was den Ausschlag gibt, sind einige schwer umkämpfte Bundesstaaten („swing states") wie Ohio, Pennsylvania oder Florida.
Trumps Hammer-Botschaften zu Jerusalem, Klimavertrag oder Steuerreform sind vor allem auf die Evangelikalen und die Industriearbeiter gemünzt. Beide Gruppen sind Kernelemente seiner Basis. Beide will er für sich mobilisieren. Heißt das, dass der Präsident 2020 wiedergewählt wird? Auch wenn es für viele in Europa ein Albtraum wäre: Ausgeschlossen ist es nicht. •
Michael Backfisch war Vize-Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, arbeitete als Washingtoner Bürochef des Handelsblatts, später als Nahost-Korrespondent für die Financial Times Deutschland in Dubai. Heute ist er Leitender Redakteur Politik in der Berliner Zentralredaktion der Funke-Mediengruppe.