Der Wähler (natürlich auch in seiner weiblichen Form) ist ein ziemlich unberechenbares Wesen. Die Erkenntnis ist nicht neu, darf sich aber am Ende dieses Mammutwahljahres als höchst eindrucksvoll bestätigt sehen. Mehr noch: Dieses merkwürdige Wählerwesen gibt nicht nur seine Stimme ab. Zur völligen Überraschung soll damit auch noch ein Auftrag verbunden sein. Nun war vergleichsweise wenig überraschend, dass nach einem ziemlich inhaltsfreien Wahlkampfgeplänkel die babylonische Verwirrung Raum griff, was es mit diesem seltsamen Auftrag wohl auf sich haben könnte. Wer weniger verliert, soll aus der Regierung raus, wer mehr verliert, hat einen Regierungsauftrag? Mathematisch nicht ganz einfach, aber politisch offenbar logisch, mehr oder weniger. So logisch, wie der Satz von wegen lieber nicht regieren als schlecht regieren. Klingt gut. Wer will schon schlecht regiert werden. Heißt aber auch: Dann spiel’ ich halt nicht mehr mit und lass’ die anderen schlecht regieren. Ätsch. Oder noch fieser: Jetzt bring ich die anderen, die lieber auch nicht regieren wollten, dazu, schlecht mitzuregieren. Wobei es den anderen ja gar nicht mal um Regieren oder Nicht-Regieren ging, sondern um sich selbst. Ab und zu eine Auszeit soll hilfreich sein, um Kräfte zu sammeln. Vernünftig. Blöd nur, dass man sich im Wahlkampf gar nicht um eine oppositionelle Auszeit beworben hatte, folglich auch nicht den Auftrag dazu bekommen konnte. Jetzt, wo alles mal wieder fast auf Null zurückgestellt ist, mag vorweihnachtliche Besinnlichkeit bei der Klärung des Auftrags helfen. Die Wahl war ein klares Signal zu einer Generalüberholung eines Politikbetriebs, der zunehmend wie unter einer Käseglocke vor sich hin gärt. Die Spielwiese des Jamaika-Versuchs ist geschlossen. Der Auftrag heißt: Es geht nicht um kleine Stellschräubchen im System, sondern um die ernsthaften Zukunftsfragen. Gesundheit, Rente, Infrastruktur, Umwelt, schlicht all das, was längst bekannt, aber fein säuberlich auf Wiedervorlage für irgendwelche Nachfolger irgendwann gelegt wurde. Wer damit nach diesem weiteren verlorenen Jahr nicht endlich und überzeugend Ernst macht, wird sich keine Gedanken mehr um Aufträge machen müssen.
POLITIK
Foto: Getty Images / iStockphoto / Martinns
Der Auftrag
Politik - Kolumne
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