Metallica setzen im Frühjahr 2018 ihre World-Wired-Tour in Deutschland, Österreich und der Schweiz fort. Vor Kurzem erschien ihr Klassiker „Master Of Puppets" von 1986 in einer remasterten Drei-CD-Version. Kirk Hammett steht ganz weit oben auf der Liste der besten Metal-Gitarristen der Welt. Sein Spiel machte Metallica zu einer der populärsten und einflussreichsten Metalbands überhaupt.
Herr Hammett, Sie sind mit sehr harten Klängen zu großen Ehren gekommen. Was ist der Grund für die Rohheit Ihrer Musik?
Spaß, es macht einfach Spaß! Wir spielen gern schwere, rohe Musik. Sie ist höllisch therapeutisch, weil sie dir ein verdammtes Gefühl von Großartigkeit gibt. In uns Menschen stecken ja aggressive, rohe, wilde Emotionen, und diese Musik beruhigt uns.
Was macht Sie so wütend?
In vollem Bewusstsein kann ich sagen, dass ich eine schwere Kindheit hatte. Sie war alles andere als ideal und deshalb kocht in mir bis heute eine unglaubliche Wut. Als Fünfjähriger war ich total sauer auf meinen Vater, der nie da war neben anderen Dingen, die damals passierten. Im Lauf der Zeit lernt man, mit dieser Wut gesund umzugehen. Man versucht, sie zu verarbeiten und sie in etwas Positives umzuwandeln. In meinem Fall war das Kreativität. Heute kann ich diese Wut in etwas Wunderschönes umwandeln. Oder sie bringt mich dazu, etwas wirklich Zorniges zu spielen. Und manchmal ignoriere ich sie einfach. Wut ist für mich etwas ganz Natürliches.
Zwischen Aggression und Selbstzerstörung liegt ein schmaler Grat. Verlieren Sie nie die Balance?
Ja, sogar ein sehr schmaler. Entweder du gehst auf gesunde Weise mit deinen Aggressionen um oder du entscheidest dich für die extreme Version. Unser Song „Hardwired … To Self-destruct" (übersetzt etwa: „Veranlagt zur Selbstzerstörung") geht im Wesentlichen darum, dass wir alle die Tendenz haben, im Leben eher schlechte Entscheidungen zu treffen und uns selbst zu schaden. Auch wenn die guten Entscheidungen viel naheliegender sind, wählen wir oft die schlechten. Vielleicht glauben wir, auf diese Weise interessantere Erfahrungen machen zu können.
Wie war das bei Ihnen?
Die meisten Menschen versuchen, negative Gefühle mit Drogen, Alkohol, Sex, Essen oder Glücksspielen zu kompensieren. Auch bei mir waren es anfangs Alkohol, Drogen und Frauen, aber irgendwann hat das nicht mehr funktioniert. Ich wurde sogar noch zorniger und aggressiver. Irgendwann hatte ich mit meinem Verhalten alle Menschen um mich herum verletzt. Dann hörte ich auf zu trinken. Das war vor zwei Jahren. Was für ein Unterschied!
Ist die Wut immer noch da?
Sie ist immer noch da, sie pulsiert unhörbar unter der Oberfläche meines Lebens und will raus. Es jagt mir ein bisschen Angst ein, wie leicht ich mir die Wut zunutze machen kann. Deshalb spiele ich meine Gitarre auf sehr aggressive Weise. Ich schlage die Saiten mit harten Plektren richtig brutal an und oftmals reißen sie. Es ist wie eine Attacke. Ich habe schon immer so aggressiv gespielt. James, Lars und ich sind verwandte Geister, als wir uns das erste Mal trafen, spürten wir sofort, dass wir alle verdammt wütend sind. Wir haben uns gesucht und gefunden.
Als Band will man einerseits erkennbar bleiben, andererseits Neues wagen. Wie bewältigen Sie diesen Spagat?
Als Band wollen wir uns vor allem weiterentwickeln und uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wir wollen zeigen, dass wir immer noch ein kreatives, denkendes und arbeitendes Gebilde sind. Zurückzuschauen auf das, was wir bisher erreicht haben, reicht uns nicht. Da würden wir uns als Band überhaupt nicht wohlfühlen. Wir schalten lieber einen Gang höher und kreieren neue Musik, das stimuliert uns und fordert uns heraus. Man will immer Musik machen, die man selbst gerne hört, die man gerne spielt, die sich gut anfühlt und die andere anspricht. Das ist die eigentliche Herausforderung.
Auf welche Weise fordern Sie sich selbst heraus?
Indem ich die ganze Zeit auf meiner Gitarre neue Sachen ausprobiere. Ich habe mir zum Beispiel ein Saxofonsolo auf John Coltranes Album „Giant Steps" 500 Mal angehört und dann versucht, es nachzuspielen. Das ist eine Herausforderung für mich, daran kann ich als Musiker wachsen. So kriege ich Ideen und komme den Geheimnissen meines Instruments immer mehr auf die Spur. Das alles bringe ich dann wieder in die Band mit hinein und am Ende kommen dabei vielleicht drei verschiedene Gitarrensoli heraus, die ich auch auf der Bühne spielen kann. Als kreativer Musiker wird man fast jeden Tag mit unerwarteten und ungewöhnlichen Erfahrungen konfrontiert. Ich wünschte, all diese Erkenntnisse wären musikalischer Art, dann würde ich mich noch besser fühlen. Aber es sind auch emotionale, körperliche, spirituelle, politische und geologische Erfahrungen dabei. Glücklicherweise sind wir eine Band, die immer einen Weg findet, die Dinge zu erledigen, die getan werden müssen.
Manche Stücke von Metallica fordern von einem Gitarristen hohe Virtuosität. Haben Sie sich die Virtuosität bei den Jazzern abgeschaut?
Ich liebe Jazz. Einmal hörte ich mir ein unverschämt geiles Solo von Bird (Charlie Parker) an. Ich achtete einmal genau darauf, welche Noten und Akkordfolgen er benutzte. Das ist musikalisch so was von reich! Ich liebe es, mich mit Musiktheorie zu beschäftigen, zum Beispiel damit, wie Noten, Akkorde und Skalen miteinander verknüpft sind. Nämlich auf sehr, sehr organisierte Weise. Gleichzeitig mag ich das Chaos eines Musikstücks. Jazz kann ja auch extrem chaotisch sein. Organisiertes Chaos. Diese Dinge faszinieren mich, seit ich Gitarre spiele. Am Anfang konnte ich natürlich noch keine Jazz-Akkorde beziehungsweise all diese Wechsel spielen, das kam erst mit der Zeit.
Welche Periode des Jazz hat es Ihnen am meisten angetan?
Ich liebe die „blaue Periode", ich liebe Bossa Nova, Boogaloo, die frühe Jazz-Fusion-Periode und elektrischen Jazz. Die Liste ist endlos. Mein Lieblings-Jazzgitarrist ist Tal Farlow. Ein verdammt geiler Musiker, der seine Karriere in den 50er- und 60er-Jahren hatte und auf einmal die Musik ad acta legte, um fortan Werbetafeln zu malen. 15 Jahre später wurde er von jemandem wiederentdeckt und er fing wieder an, Platten aufzunehmen. Seine späten Sachen gehören sogar zu seinen besten. Wie Tal Farlow gespielt hat, hat mich sehr beeinflusst.
Welche Rolle spielt Ihre Gitarre neben James Hetfields Gitarre?
James ist hauptsächlich für die Rhythmen und ich für die Leadgitarre zuständig. James kann definitiv auch geile Soli spielen und ich Rhythmen, aber wir ziehen es eben so vor. James gefällt es, schwere Riffs rauszuhauen und ich stehe aufs Improvisieren und darauf, Soli zu spielen. Wir sind ein sehr gutes Team. Denke ich jedenfalls.
Der Song „Murder One" ist eine Hommage an Lemmy Kilmister von Motörhead, der 2015 starb. Hat er sich selbst zerstört?
Ja, das würde ich sagen. Die meisten Künstler sind so. Auch ich habe die Tendenz, mich selbst zu zerstören. Wenn ich trinke, dann tue ich das rücksichtslos. In dem Moment ist es mir egal, ob es mir schadet. Die Vorstellung, in Flammen unterzugehen, ist sehr romantisch. Aber wenn du mal wirklich darüber nachdenkst, was du dir damit antust, wird dir irgendwann klar, dass du dich selbst zerstörst. Und daran ist nichts mehr romantisch. Ich bin vor drei Jahren aufgewacht und habe für mein eigenes Wohl, das Wohl meiner Familie und das meiner Band mit dem Trinken Schluss gemacht.
Was war Lemmy für Sie – Lehrer, Vater, Freund, Idol?
Auf jeden Fall ein Lehrer. Er hat mir gezeigt, wie man sich verhält im Angesicht von so viel Bullshit, wie man echt bleibt in der verdammt unechten Showbiz-Welt. Aber er war für mich auch eine Vaterfigur. In seiner Gegenwart habe ich mich immer sehr wohlgefühlt, aber gleichzeitig verbreitete er eine Aura der Autorität. Genau das tun Väter überall auf der Welt. Und ich denke, er war für mich auch ein Mentor. Lemmy hat verdammt gute Musik geschrieben. Sein Sound war verdammt einzigartig und so anders. Er hat nie einen Rückzieher gemacht.
Sein Gesang wurde beschrieben als „Röcheln wie ein verwundetes Raubtier".
Seine Stimme klang verdammt geil. Manche meinten, er konnte überhaupt nicht singen, für mich sang er wie Frank Sinatra. Er war ein Sinatra mit viel Verzerrung. Lemmy war ein Teil unseres Lebens, wer in meiner Generation war nicht von ihm beeinflusst? Als Motörhead damals anfingen, waren sie anders als jede andere Band. Sie haben alles vorweggenommen. Motörhead ist ein Fest.
Gibt es eine Lieblings-Anekdote?
Da könnte ich ihnen einige erzählen, aber ich möchte sie lieber für mich behalten und Lemmy nicht in einem bestimmten Licht sehen. Meine Erinnerung an ihn führt unweigerlich in Nachtclubs und Bars, wo man Lemmy fast immer an einem Einarmigen Banditen antraf, seine Augen starrten die ganze Zeit aufs Display. Er wollte die Maschine besiegen. Man konnte sicher sein, dass stets eine Frau in der Nähe war, die ihn geduldig beobachtete. So werde ich Lemmy immer in Erinnerung behalten.