Er war der erste Weltstar der Kinogeschichte und zugleich einer der Gründerväter von Hollywood. Und doch sollte der vor 40 Jahren verstorbene Charlie Chaplin dafür nie einen Oscar erhalten, sondern nur einen als Komponist.
Falsche Bescheidenheit gehörte nicht gerade zu den Charaktereigenschaften von Charlie Chaplin: „Ich bin selbst in Teilen der Welt bekannt, wo die Menschen noch nie etwas von Jesus gehört haben." Mit dieser Einschätzung seiner eigenen weltweiten Popularität als Filmschauspieler, als erster Weltstar der Kinogeschichte, lag er durchaus richtig. Bis heute gilt er als einer der größten Komödianten Hollywoods. Der irische Literatur-Nobelpreisträger George Bernard Shaw war 1952 noch einen Schritt weiter gegangen: „Er ist das einzige Genie, das der Film bisher hervorgebracht hat."
Dies hatte Chaplin letztlich allein der von ihm 1914 geschaffenen Kunstfigur des Vagabunden zu verdanken, bei dem vieles von dem eingeflossen sein dürfte, was Chaplin selbst als armes, verwahrlostes, zeitweise obdachloses Kind auf den Straßen und in den Waisenhäusern von London erlebt hatte. Der Tramp, der Habenichts, der kleine Mann, für den es immer um alles oder nichts geht. Ein Männlein, das mit seiner Mischung von kindlicher Unschuld und Angriffslust, von Slapstick und Melancholie beim Publikum zugleich Sympathie wie Lachsalven wecken konnte. Chaplins überschaubares Gardemaß von 163 Zentimetern war natürlich auch ungemein hilfreich. „Wäre ich nur drei Zoll größer", sagte Chaplin einmal im Rückblick, „wäre es für mich unmöglich gewesen, diese symbolische Figur zu verkörpern."
Charles Spencer Chaplin wurde am 16. April 1889 als zweites Kind eines Varieté-Künstlerehepaares geboren. Der Geburtsort ist unbekannt. In den meisten Biografien wird der Londoner Stadtteil Lambeth genannt. Fest steht, dass Charles gemeinsam mit seinem vier Jahre älteren Bruder Sydney nach der Trennung seiner Eltern eine beschwerliche Kindheit durchlebte. Der Vater trank sich zu Tode, die Mutter verbrachte viel Zeit in psychiatrischen Kliniken. Die Kinder waren mehr oder weniger auf sich alleine gestellt. Schon mit fünf Jahren stand der kleine Charlie auf einer Bühne. Als Neunjähriger bekam er als akrobatischer Tänzer ein erstes Engagement samt Kost, Logis und einfacher Schulbildung bei einer Music-Hall-Gruppe namens „The Eight Lancashire Lads". Danach hielt er sich mit Miniauftritten in Theaterstücken und mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Als Kind auf sich alleine gestellt
Wichtig sollte 1908 der Wechsel zu Fred Karno werden. In dessen für Slapstick-Einlagen und Pantomimenspiele bekannten Theater-Ensemble bekam Chaplin eine fundierte Ausbildung in allen Sparten des Music-Hall-Metiers: Akrobatik, Jonglieren, Radschlagen, Mimik, Pantomime, Gesang, Tanz und Posse. Karno war damals so etwas wie eine Brutstätte für talentierte Nachwuchskomiker. Auch Stan Laurel alias Arthur Stanley Jefferson lernte damals bei Karno, stand aber schon bald im Schatten des Musterschülers Chaplin, der sich innerhalb kürzester Zeit zum jungen Star von „Fred Karno’s Army" emporgearbeitet hatte.
Ein weiterer Glücksfall für Chaplin sollte eine US-Tournee seines Ensembles 1913 werden. Bei einem Auftritt wurde er von einem Mitarbeiter der Keystone Studios entdeckt, einer der frühen kalifornischen Filmgesellschaften. Chaplin unterschrieb einen Jahresvertrag mit einem zugesagten Wochengehalt von 150 Dollar, das sogar auf 175 Dollar angehoben wurde – bei Karno hatte er gerade einmal 50 Dollar die Woche verdient. Insgesamt sollte er für Keystone Studios 35 Filme drehen, wobei die Streifen meist nur wenige Minuten Spieldauer hatten und in der Regel ohne Drehbuch und mit viel Improvisation innerhalb weniger Tage produziert wurden.
Chaplins erster Film „Wunderbares Leben", in dem er 1914 einen Bösewicht spielte, war für ihn völlig deprimierend. Auch sein Chef Mack Sennett, so etwas wie der Vater der amerikanischen Filmkomödie, war wenig angetan. Als Sennett von einem Seifenkistenrennen im nahen Venice hörte, wollte er die Chance für eine preisgünstige Filmkulisse nutzen und schickte Chaplin mit der Vorgabe, in einem „lustigen Kostüm" zu erscheinen, vor Ort. Die Legende besagt, dass sich Chaplin die Requisiten wie die übergroße Hose, die Melone oder den Cutaway auf die Schnelle von Kollegen geliehen und nur den Bambusstock eigenem Fundus entnommen hatte. „Der Spazierstock steht für die Würde des Menschen", sagte Chaplin, „der Schnurbart für die Eitelkeit und die ausgelatschten Schuhe für die Sorgen."
In diesen Klamotten mimte Chaplin bereits in seinem zweiten Film „Seifenkistenrennen in Venice" den gutherzigen Vagabunden. „Alle meine Filme", so Chaplin, „bauen
auf der Idee auf, mich in Schwierigkeiten zu bringen, damit ich mich nachher verzweifelt ernsthaft bemühen kann, als normaler kleiner Gentleman aufzutreten." Schon bei seinem 13. Film „Caught in the rain" durfte Chaplin im Mai 1914 erstmals auch Regie führen.
Nach seinem Wechsel zum Filmstudio Essanay, sein Wochenhonorar belief sich nun bereits auf 1.250 Dollar, weil Chaplin Anfang 1915 schon die weltweit populärste Persönlichkeit des amerikanischen Films war, legte er mit „The Tramp" sein erstes Meisterwerk vor. Essanay konnte nicht nur mit insgesamt 14 Chaplin-Filmen gutes Geld verdienen, sondern baute rund um den Star auch ein frühes Merchandising auf. Bei seinem nächsten Kontrakt Anfang 1916 mit Mutual Films für zwölf Werke in zwölf Monaten konnte Chaplin schon die Bedingungen diktieren: 10.000 Dollar Wochengehalt und 100.000 Dollar Sonderprämie als Handgeld.
Es folgte im Juni 1917 der erste Millionenvertrag der Filmgeschichte. Chaplin erhielt eine Million Dollar für acht Filme beliebiger Länge, die in einem Zeitraum von 18 Monaten abgeliefert werden mussten. Besonders „Ein Hundeleben" 1918 und noch mehr „The Kid" aus dem Jahr 1921, Chaplins erster Langfilm, rührten die Kinobesucher zu Tränen. Im April 1919 gründete Chaplin gemeinsam mit anderen Stummfilmgrößen seine eigene Filmgesellschaft United Artists. Fortan konnte Chaplin bei seinen Filmen alles sein: Darsteller, Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Komponist. Bis 1952 sollte er bei United Artists insgesamt neun Filme realisieren. Darunter mit „Goldrausch" anno 1925 den bis dahin erfolgreichsten Kinostreifen der Filmgeschichte.
Als sich alle Welt Ende der 20er-Jahre bereits dem neuen Medium Tonfilm zugewandt hatte, drehte Chaplin mit „Der Zirkus" 1928, „Lichter der Großstadt" 1931 und „Moderne Zeiten" 1936 drei weitere Stummfilme, die viele Kritiker noch heute zu den größten Werken der Filmgeschichte zählen. Chaplin war der Meinung, dass seine Filmfigur des Tramps nur im Stummfilm richtig funktionieren konnte. Wobei er sich mit seiner Kritik an den Auswüchsen der Industrialisierung in „Moderne Zeiten" in konservativen US-Kreisen wenig Freunde machte. Es wurden ihm völlig zu Unrecht kommunistische Tendenzen unterstellt, die nach dem Krieg vom FBI unter J. Edgar Hoover gerne zum Anlass genommen wurden, um Chaplin im September 1952 aus Amerika zu verbannen. Für „Der Zirkus" erhielt er 1929 einen Ehren-Oscar, den er angeblich zeitlebens nur als Türstopper verwendete. Deutlich mehr Respekt sollte er 1972 dem Ehren-Oscar für sein Lebenswerk zollen. Was er ein Jahr später über seinen einzigen echten Oscar als (Mit-)Komponist der Filmmusik seines Klassikers „Rampenlicht" von 1952 gedacht haben mag, ist leider nicht überliefert. Bekannt ist aber, dass er keine Noten lesen oder schreiben konnte, sondern Melodien vor sich hinzusummen pflegte, die dann ein gelernter Komponist in eine Partitur übertragen musste.
Erster Schauspieler der Filmgeschichte mit Millionen-Vertrag
Schon vor „Rampenlicht" und dem 1947 produzierten Film „Monsieur Verdoux – Der Frauenmörder von Paris", hatte er
mit „Der große Diktator" 1940 erstmals einen Tonfilm gedreht. Eine der brillantesten Filmsatiren der Kinogeschichte, gleichzeitig aber auch das Ende seiner Filmfigur des Tramps. Über die Jahre hatten internationale Zeitungen wiederholt auf die verblüffende äußerliche Ähnlichkeit zwischen Chaplin und Adolf Hitler hingewiesen. Den Nazis dürfte das ein Gräuel gewesen sein, weshalb sie Chaplin, der noch 1931 bei einem Besuch in Berlin frenetisch gefeiert worden war, wahrheitswidrig als Juden abstempelten.
Nicht nur mit den Nazis rechnete Chaplin filmisch ab, sondern auch mit den Kommunistenjägern der McCarthy-Ära in „Ein König in New York" 1957. In seinem letzten Film „Die Gräfin von Hongkong" von 1967 hatte Chaplin nur noch einen Cameo-Auftritt.
Berüchtigt war Chaplins Vorliebe für sehr junge Frauen. Seine ersten beiden Gattinnen waren bei der Hochzeit gerade mal 16 Jahre jung, seine vierte Ehefrau Oona auch erst 18 Jahre alt. Mit Oona ließ er sich 1952 in einem Herrenhaus oberhalb von Vevey am Genfer See nieder. Das Paar sollte acht Kinder haben, wodurch die Zahl von Chaplins Nachkommen auf insgesamt elf stieg. Im seinem Manoir de Ban schrieb Chaplin an seiner 1964 veröffentlichten Autobiografie.
Auch das Neuschneiden früherer Werke zählte in der Schweiz zu den Hauptbeschäftigungen des 1975 in den britischen Adelsstand erhobenen Charles Chaplin. Am Weihnachtstag 1977 verstarb Chaplin nach Jahren zunehmender Gebrechlichkeit im Alter von 88 Jahren friedlich auf seinem Anwesen in Corsier-sur-Vevey.