Von der Stiftskirche in St. Arnual ging die Christianisierung der mittleren Saargegend aus, aber auch die Reformation.
Der St. Arnualer Markt hat eine besondere Stimmung, aber die Stiftskirche gibt dem Ort sein Gesicht. Diese frühgotische Kirche zählt zu den bedeutendsten Baudenkmälern im südwestdeutschen Raum; und die Grabdenkmäler des Saarbrücker Grafenhauses sind einzigartig durch ihre Präzession und ihre Farbfassung, die bei der letzten Sanierung vor rund 20 Jahren wieder hergestellt wurde.
Unter Berufung auf einen französischen Historiker des 18. Jahrhunderts hielt die ältere Literatur an der Darstellung fest, der Merowingerkönig Theudebert II. habe dem Metzer Bischof Arnoald (amt. 601-609) das Dorf Merkingen geschenkt, worauf Arnoald (oder Arnual) dort eine Kirche erbaut habe. Dieser Bau soll bereits eine kleine Klerikergemeinschaft beherbergt haben. Im Jahre 857 habe sich schließlich Bischof Adventius
genötigt gesehen, bei König Lothar II. gegen die Übergriffe eines gewissen Rollo Beschwerde einzulegen, da dieser sich schwerwiegende Eingriffe in den bischöflichen Besitz um Merkingen habe zuschulden kommen lassen. Zur Untermauerung seiner Ansprüche habe der Bischof dabei die alte Schenkungsurkunde Theudeberts vorgelegt.
All dies ist aber quellenmäßig nicht abzusichern. Selbst eine Urkunde Kaiser Heinrichs III. von 1046, die eine Schenkung für das Bistum Metz und das „Stift St. Arnual" zum Inhalt hat, ist kein Beleg für die Existenz des Stifts im 11. Jahrhundert: Die relevanten Zeilen sind, wie eingehende textkritische Untersuchungen ergeben haben, erst nachträglich eingeschoben worden. Erst 1135 wird das Stift erstmals urkundlich erwähnt.
Den Marktplatz prägt der bedeutende Bau
Wo jedoch die schriftlichen Quellen versagen, kommt die Siegelkunde zu Ehren. Es existiert nämlich ein Geschäftssiegel des Stifts aus dem 13. Jahrhundert mit einer Umschrift, die auf Deutsch lautet: „Siegel der Kirche des heiligen Arnual, Odaker ihr Gründer". Die Abbildung zeigt einen als Mönch gekleideten Mann, der auf seinen ausgestreckten Händen das Modell einer Kirche trägt. Aber muss es sich um eine völlige Neugründung handeln? Hier ist nun in letzter Zeit argumentiert worden, dass die Ungarn, die 937 und vor allem 954 verheerende Raubzüge bis nach Metz hin unternahmen, das alte Stift zerstört haben könnten, zumal es recht exponiert an einem wichtigen Saarübergang lag. Irgendwann zwischen 954 und 991 habe dann ein Graf Odaker, möglicherweise beeinflusst von der lothringischen Klosterreform von Gorze, zum Neubau der Kirche beigetragen und die Pfründenausstattung für die (wahrscheinlich) sieben Kanoniker besorgt. Und die Notgrabungen vor über zwanzig Jahren präsentierten einen ersten Kirchbau im 7. Jahrhundert. Dieser wurde zyklisch immer mehr erweitert, bis in karolingischer Zeit eine große dreischiffige Kirche mit Kreuzgang und Nebengebäuden an der Stelle der heutigen Kirche stand. Der Grundstein der heutigen Stiftskirche wurde am 27. Mai 1315 durch Dekan Johannes Repper gelegt. Da man beim Neubau der Kirche die alte stehen ließ und peu à peu abriss, so wie man neu baute, dauerte die Errichtung des Neubaus zwar rund hundert Jahre, aber der Gottesdienst fand ohne Unterbrechung statt.
Den glanzvollen Höhepunkt seiner Geschichte erlebte das Stift im Jahre 1147, als die französischen Kreuzritter unter Führung König Ludwigs VII. auf ihrem Marsch von Metz nach Worms in St. Arnual Rast machten. Ihnen hatte Erzbischof Albero von Trier (1131-1152), der früher selbst das Stift St. Arnual leitete, eine Überraschung bereitet, denn er konnte den König und die gesamte Ritterschaft mit ihrem Tross acht Tage lang standesgemäß bewirten. Die Bruchstücke dieser Überlieferung lassen erkennen, dass St. Arnual in jener Zeit zu erheblichem Wohlstand gekommen sein muss.
Dass man in St. Arnual theologisch gearbeitet hätte, ist nicht überliefert. Allerdings gab es eine Schule, die einzige neben der Schule der Augustiner in Wallerfangen. Die Haltung der Chorherren in St. Arnual wurde eher kritisch gesehen. Bereits 1183 hatte Bischof Bertram von Metz die Chorherren gerügt, sie sorgten sich mehr um „Milch und Wolle" (das heißt die eigenen Einkünfte) als um das Seelenheil ihrer Gläubigen. Dekan Johannes Repper besiegelte als Zeuge den berühmten Freiheitsbrief Graf Johanns I. an die Bürger von Saarbrücken und St. Johann (1321), und eine Urkunde von 1372 bezeichnet St. Arnual gar als „secunda sedes", als zweiten Sitz des Metzer Bischofs, was jedoch ein wenig dick aufgetragen scheint und nur aus der besonderen juristischen Notlage des Stifts heraus verständlich wird.
Französische Kreuzritter
Im 16. Jahrhundert setzte der endgültige Niedergang ein: Einige der Chorherren zeigten sich stark von der Reformation beeinflusst und kämpften um die Aufhebung des für sie geltenden Zölibats. Ein Indiz für die gerade in St. Arnual wirksamen reformerischen Impulse ist der Verzicht des Nikolaus Beuck auf das Amt des Stiftsdekans (1554). Als eifriger Prediger und fähiger Theologe arbeitete er in den folgenden Jahrzehnten erfolgreich an der Verbreitung der lutherischen Lehre in Forbach, Simmern und Fénétrange, so dass er mit Fug und Recht als „der einzige Reformator, den das Saarbrücker Land hervorgebracht hat", bezeichnet worden ist. Sein Nachfolger, der Brüsseler Jodokus Bruwer von Lumbeck, kämpfte erneut um die Reformation – und resignierte. Er hinterließ ein wunderbares theologisches Testament in Stein in der Stiftskirche.
Als das Stift schließlich versuchte, sich der steten Einflussnahme Graf Johanns IV. völlig zu entziehen, und schließlich gar einen Prozess am Reichskammergericht anstrengte, griff der Graf zu rabiaten Gegenmaßnahmen: Er verhaftete den Dekan und erzwang so die Aufhebung der Klage. Nachdem der Dekan das Land verlassen hatte, ließ Graf Johann keinen Nachfolger wählen (1569): Dies bedeutete das stille Ende einer monastischen Gemeinschaft.
Das Vermögen des aufgelösten Chorherrenstifts wurde nicht der Grafschaft einverleibt, sondern bestand als eigene Güterverwaltung, als sogenannte Stiftsschaffnei, fort, aus der die Pfarrerbesoldung der nassau-saarbrückischen Landeskirche und Zuschüsse für das niedere und höhere Schulwesen und hier insbesondere für das 1604 gegründete (Ludwigs-)Gymnasium gezahlt wurden. Aber auch die ehemaligen Stiftsgemeinden und die sogenannten Stiftsverwandten, also die alten Gemeinden der Grafschaften Saarbrücken und Ottweiler, werden bis heute symbolisch unterstützt: Das Evangelische Stift zahlt das Abendmahlsbrot. Aufgrund dieser Eigenschaft als „corpus pium" hat die Stiftsschaffnei die Französische Revolution überdauert und besteht heute noch als eigene juristische Person unter der Bezeichnung „Evangelisches Stift St. Arnual". Das Stift ist der größte Privatwaldbesitzer des Saarlandes, doch leider lässt sich damit kein Geld verdienen. Und das Stift muss die Stiftskirche erhalten.
Bedeutende Grabdenkmäler
Seit Mitte des 15. Jahrhunderts ist die Stiftskirche die Grablege der Grafen von Saarbrücken. Hier wurden seit dem Tod der Dichtergräfin Elisabeth 1456 bis zum Dreißigjährigen Krieg die Angehörigen des Hauses Nassau-Saarbrücken bestattet. Die sorgfältig gearbeiteten Grabdenkmäler der Saarbrücker Grafen und anderer Angehöriger des Adels prägen noch heute den Innenraum der Kirche.
Im 18. Jahrhundert ließ der Saarbrücker Generalbaudirektor Friedrich Joachim Stengel die Stiftskirche umfangreich sanieren und schenkte ihr die sogenannte „welsche Haube" auf dem Turm mit der offenen Laterne. Sehenswert sind die Kirchenfenster von György Lehoczky, die der aus Ungarn stammende Architekt in den 1950er-Jahren für Chor, Querhaus und Westwerk entworfen hatte. Im nördlichen Seitenschiff befindet sich die berühmte gotische St. Arnualer Madonna, ein Zufallsfund der Ausgrabungen. Die Kuhn-Orgel wurde erst 1995 eingebaut und weiß mit ihren Klangfarben die Kirche zu füllen. Im Kreuzgang – die Umfassungsmauern gehören dem gotischen Bau – finden sich Steinfunde des romanischen Vorgänger-Kreuzgangs sowie ein Augustinus-Fenster des Saarbrücker Malers Ernst Alt. Die Stiftskirche St. Arnual ist ein gotisches Kleinod, das einen Besuch – nicht nur zur Weihnachtszeit – lohnt.