Medizin im Schnelldurchlauf: Dr. Pablo Hagemeyer berät Filmproduktionen und sorgt dafür, dass Darsteller in Arztrollen glaubwürdig rüberkommen.
Immer wenn es kompliziert wird, kommt Dr. Pablo Hagemeyer. Wenn man beim „Bergdoktor" nicht mehr weiter weiß, ruft man den Arzt aus Weilheim zu Hilfe. Er weiß, wie man ein Skalpell richtig hält oder einen Defibrillator korrekt bedient. Der immer gut gelaunte Halbspanier ist medizinischer Berater für Filmproduktionen und unterstützt das Drehteam mit seiner Expertise. Mit Basecap auf dem Kopf, Sonnenbrille am Revers und lässig in Jeans, sieht der 47-Jährige mit graumeliertem Bart eher aus wie ein Ex-Weltmeister im Surfen. Doch der Eindruck täuscht – Hagemeyer ist Arzt, Psychologe und Psychiater, und behandelt Patienten in seiner Praxis. Die medizinische Fachberatung ist für ihn eigentlich nur ein, im Vergleich zu seinen Arzthonoraren, „schlecht bezahltes" Hobby.
Hagemeyer bringt den Schauspielern das kleine Doktor-ABC bei. Das fängt ganz banal bei der richtigen Aussprache lateinischer Krankheitsnamen an. Er sorgt aber auch dafür, dass der Bergdoktor und seine TV-Kollegen im OP eine gute Figur machen. Sämtliche medizinische Geräte im Film sind Originale. Deswegen muss wirklich jeder Handgriff sitzen.
Schuld an Hagemeyers Fernsehkarriere ist das „Alphateam". Ende der 90er-Jahre hat der junge Medizinstudent die deutsche Krankenhausserie gesehen und war entsetzt über die haarsträubenden fachlichen Fehler, die den Fernsehzuschauern damals vorgesetzt wurden. „Oh je, das geht besser, eigentlich müsste ich die beraten", dachte Hagemeyer. Wie der Zufall so spielt, hatte einer seiner WG-Kollegen Verbindungen zum Fernsehen, und so landete irgendwann ein Drehbuch von „Für alle Fälle Stefanie" in Hagemeyers Händen. Der angehende Mediziner konnte fachkundige Unterstützung bieten, und weitere Aufträge folgten. Lachend erzählt der Mediziner, er habe die „Schwarzwaldklinik" beerdigt, und erklärt dann, dass er für die beiden letzten Folgen der wohl bekanntesten deutschen Medizinerserie die Fachberatung gemacht hat.
Haarsträubende Fehler
Seine psychologischen Kenntnisse konnte Hagemeyer für die ARD-Serie „Emma nach Mitternacht" gut gebrauchen. 2016 spielte dort Katja Riemann die Radiopsychologin Emma Mayer, die im Stile des berühmten Late Night Talkers Domian Seelentherapie im Radio betrieb. Anders als das reale Vorbild musste sie aber einen Geiselnehmer und eine potenzielle Selbstmörderin von ihren Taten abhalten.
„Das Psychologische ist auch für den Tatort gut", sagt Hagemeyer. Beim Lieblingskrimi der Deutschen half der Weilheimer Arzt ebenfalls bei der Entwicklung der Drehbücher mit. „Ich habe zum Beispiel die Figur des Kommissar Faber im Dortmunder Tatort mitgeschaffen", sagt er. Auch da war Hagemeyer ganz intensiv als Psychologe am Werk. Man kann sich gut vorstellen, wie viel Spaß es ihm gemacht hat, die Figur dieses Außenseiters zu schaffen.
Peter Faber, der bei einem Autounfall Frau und Kind verloren hat, bietet all das, was Psychologen und Psychiater sonst in ihren Praxen erleben. Mit depressiv und unberechenbar beschreibt man ihn noch wohlwollend. Auf der Internetseite der ARD liest man dazu: „Faber ist ein Mann, der schon immer auf Kante ermittelt hat, volles Risiko, auf dem emotionalen Drahtseil ... Was ihn auf der einen Seite belastet, die Suche nach den Tätern, ist zugleich der Strohhalm, an den er sich klammert, der ihn am Leben hält, nicht wahnsinnig werden lässt." Säße Faber vor ihm in seiner Weilheimer Praxis, würde ihm Hagemeyer vermutlich eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizieren.
Offenbar hat Hagemeyer, der sich selbst als humorvollen Typ beschreibt, auch eine verborgene dunkle Seite, die er dann filmisch auslebt. Auch am Drehbuch einer anderen legendären – weil abseitigen – Tatortfolge hat er mitgewirkt. Auch er sei „schuld daran", dass der im Januar 2014 ausgestrahlte Kölner Tatort, in dem die Assistentin Tessa Mittelstaedt alias Franziska Lüttgenjohann ermordet wird, erst nach 22 Uhr gesendet werden durfte. Zu brutal und realistisch waren die Szenen.
Beim Bergdoktor war Tessa Mittelstaedt übrigens schon Jahre früher ums Leben gekommen. Als Dr. Andrea Junginger starb sie bei einem Autounfall. In der im österreichischen Ellmau gedrehten Serie wird aber nichts brutal dargestellt. Die Handlung bleibt immer familiengerecht, und selbst Schwerkranke sehen vor der malerischen Berglandschaft immer so aus, als hätten sie gerade eine Kur hinter sich. Selbst bei einem schweren Unfall oder einer Not-OP in der Berghütte sieht man Blut nur in homöopathischen Dosen. Hagemeyer lacht und sagt: „Beim Bergdoktor ist es schon ein Highlight, wenn irgendwo ein Blutbeutel zu sehen ist." Auch eklige Krankheiten oder solche, die den Intimbereich betreffen, kommen nicht auf den Bildschirm. Komplizierte Krankheiten sind dagegen beliebt, denn die sind „dramaturgisch besser aufzuarbeiten".
Dramatische Krankheiten
Die Geschichte einer Grippe oder einer Magenverstimmung ist eben schnell erzählt und bietet auch zu wenig Nervenkitzel. Ein wenig mitfiebern ums Leben der Patienten des Bergdoktors sollen die Zuschauer aber doch. Also nimmt man gern rätselhafte allergische Reaktionen, bei denen Heilung und Tod nahe beieinander liegen, ins Drehbuch.
Manchmal erfindet Hagemeyer sogar Krankheiten oder lässt Bergdoktor Hans Sigl, alias Dr. Martin Gruber, auf Behandlungsmethoden zurückgreifen, die vermutlich erst in ein oder zwei Jahrzehnten praxisreif sind. Auf seiner Webseite Thedox.de bewirbt das Hagemeyer dann so: „Notfalls dichten wir gern etwas dazu, um Glaubwürdigkeits-Lücken elegant zu schließen und (er)finden naturwissenschaftlich begründet seltene Krankheiten."
Auch eine Wunderheilung darf ruhig ab und an passieren. Plausibel muss aber trotzdem alles sein. Und auch die Details müssen stimmen. Sich etwas auszudenken und zu sehen, wie die Fantasie dann filmisch umgesetzt wird, sei für ihn „ein inneres Fest", schwärmt Hagemeyer.
Wenn die Drehbücher den Boden der Realität verlassen, trägt ihm das mitunter die Kritik befreundeter Kollegen ein. Hagemeyer nennt das lachend „Anerkennung durch Neid" und beschwert sich nicht ganz ernst gemeint: „Die verstehen nicht, dass der Bergdoktor keine Medizindoku ist." Und: „Wir zeigen im Film einen Arzt, den es eigentlich gar nicht gibt, den sich aber alle wünschen." Schon allein die Tatsache, dass der Bergdoktor mehrere Tage Zeit für die Behandlung eines einzigen Patienten hat, ist schließlich pure Fiktion.
Ein eigenes Drehbuch hat der Arzt aus Weilheim noch nicht geschrieben. Dafür habe er keine Zeit, sagt er, deutet dann aber auf seine Stirn und meint: „Das liegt alles da oben." Ein bisschen realistischer ist Hagemeyer inzwischen wohl auch geworden. „Am Anfang dachte ich, ich bringe denen ein Drehbuch und dann verfilmen die das gleich." Er hält kurz inne, lüftet die Basecap und streicht durch seine üppige Haarpracht. Dann fährt er fort: „Da bin ich demütig geworden, heute sehe ich mich als Dienstleister."
Bei vielen Drehs ist Hagemeyer als Statist selbst dabei – als Assistenzarzt mit Mundschutz sorgt er dafür, dass alles klappt. Nötig wäre das aber nicht. Inzwischen operiert der Bergdoktor nämlich auch ohne fremde Hilfe ganz ausgezeichnet. Er ist sicher: „Wenn Sie jetzt mit einem Herzinfarkt umfallen, könnte Sie der Hans" – gemeint ist Bergdoktor Hans Sigl – „sofort reanimieren".