Deutschlands Parteiensystem braucht dringend eine Erneuerung.
Das politische Deutschland gleicht zu Beginn des neuen Jahres einer Kraterlandschaft: Alte Gesteinsformationen und erstarrtes Leben prägen das Bild. Das bisschen Bewegung, das sichtbar ist, kommt von einigen Dinosauriern, die sich im Kreis drehen. Es sind die Parteien CDU/CSU, SPD, FDP, Linke und Grüne.
In der Bundesrepublik gibt es in diesen Tagen keinen Ideen-Wettstreit um die tauglichsten Konzepte für die Zukunft. Dringend notwendig wären zum Beispiel Debatten über die beste Bildung, eine wettbewerbsfähige Wirtschaft in Zeiten einer härter werdenden globalen Konkurrenz oder ein System staatlicher Unterstützung, das auch an eigene Anstrengungen gekoppelt ist. Es geht nicht nur um Finanz-Transfers für sozial Schwache nach dem Gießkannen-Prinzip, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe. Ausbildung, Qualifizierung und eine lebenslange Weiterbildung, heißen die Stichwörter.
Die Parteien, die diese Auseinandersetzungen eigentlich befeuern sollten, bedienen jedoch nur ihre eigene Klientel. Die Union ist unter Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem inhaltlich entkernten Machterhaltungsverein geworden. Sie präsentiert sich als sozialdemokratisierter Hybrid, der zwischen Mütterrente, Mindestlohn oder Mietpreisbremse für alles steht – oder nichts. Merkel hat sich in ihren bislang drei Amtszeiten durchlaviert und nur zweimal deutlich Position bezogen: beim Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe 2011 sowie bei der Grenzöffnung 2015 im Zuge der Flüchtlingskrise.
Die Kanzlerin machte bei Letzterem eine Politik des Herzens, hinter der jedoch blanke Naivität steckte. Deutschland kann das Elend dieser Welt nicht beseitigen. Die Mammutaufgabe der Integration von Migranten aus muslimischen Ländern, die mit Blick auf Demokratie, Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Kultur völlig anders geprägt sind als Bundesbürger, wurde von fast allen Parteien sträflich unterschätzt. Die Eingliederung lässt sich nicht mit ein paar Kursen in Deutsch und Staatsbürgerkunde leisten. Sie setzt bei den Flüchtlingen auch den Willen zur Integration und Leistungsbereitschaft voraus. Was, wenn dieser nicht vorhanden ist?
Sollte die CDU/CSU unter der Käseglocke des Merkelismus verharren, wird sie bei Wahlen weiter verlieren. Eine mögliche Alternative wäre eine konservative Re-Orientierung entlang der Linien der ÖVP des neuen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Dessen Leitplanken: Schutz der Grenzen, Limits bei der Aufnahme von Einwanderern, Stärkung der Wirtschaft, stabile Finanzen.
Die anderen Parteien bieten jedoch derzeit ebenfalls wenig Hoffnung. Die SPD hat mit Martin Schulz einen schwachen Vorsitzenden, der inhaltlich schlingert zwischen Fundamentalopposition und staatspolitischer Verantwortungslyrik. Die FDP hat sich zwar erstaunlich regeneriert. Ihr Chef Christian Lindner geriert sich jedoch als politischer Ego-Shooter und schielt dabei auf noch mehr Wählerstimmen. Die Grünen haben zweifellos bedeutende Impulse in der Klimapolitik gesetzt. Bei der Lösung der Flüchtlingskrise erliegen sie aber – wie große Teile der Linkspartei – einem wirklichkeitsfernen Gutmenschentum. Die Weisheit der Linken erschöpft sich zudem in der Umverteilung von oben nach unten.
Die relativ junge AfD, die erstmals im Bundestag sitzt, hat von der blauäugigen Flüchtlingspolitik der anderen Parteien profitiert. Sie ist Trittbrettfahrerin der Protestwähler. Ihr Problem: Sie verfügt jenseits von Anti-Rhetorik über keine Rezepte, schleppt zu viel deutschnationales Gedankengut mit sich herum und hat zu neonazistischen Strömungen keine klaren Grenzen gezogen.
Das Parteiensystem in Deutschland braucht dringend eine Erneuerung. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat vorgemacht, wie es funktionieren könnte: Er hat seine Drähte zu den Sozialisten gekappt und eine Bewegung außerhalb des Establishments gegründet. Macrons Ideen lassen sich nicht im klassischen Rechts-Links-Schema verorten. Sie reichen von einer Stärkung der Eurozone über die Lockerung des Kündigungsschutzes bis hin zu einer Investitions- und beruflichen Qualifizierungs-Offensive. Ein ähnlicher Schub ist auch bei den deutschen Parteien vonnöten. Sonst ergeht es ihnen wie den Dinosauriern vor mehr als 60 Millionen Jahren: Sie verschwinden.