Nicht jeder Paraphile ist auch ein Straftäter. Der ehemalige Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, Diplom-Psychologe Prof. Dr. Rudolf Egg, erklärt, wie in ihrer sexuellen Orientierung gestörte Menschen ticken und wie hoch Strafmaß und Rückfallwahrscheinlichkeit sind.
Grundsätzlich gilt es, bei Paraphilien – auch sexuelle Präferenzstörungen genannt – zwei Gruppen zu unterscheiden, sagt der Kriminal- und Rechtspsychologe Rudolf Egg. „Die eine, die strafrechtlich relevant ist oder relevant sein kann, je nachdem wie die sexuelle Präferenzstörung ausgelebt wird.“ Dabei kann es sich zum Beispiel um Exhibitionismus oder Pädophilie handeln. Und die, „bei denen es sich um seltene Praktiken handelt, die aber strafrechtlich nicht bedeutsam sind, wenn es nicht zu zwanghaften oder damit strafbaren Handlungen führt.“ Das heißt, wenn jemand beispielsweise den Fetisch hat, bestimmte Kleidungsstücke zu präferieren und diese anfassen möchte, „dann ist das ja nichts Strafbares“. Genauso wenn jemand sadomasochistische Praktiken pflegt und diese einvernehmlich mit jemand anderem ausleben will, „dann ist darin kein strafbares Verhalten zu sehen, es sei denn jemand zwingt einen anderen dazu. Dann haben wir eine sexuelle Nötigung“, erklärt Egg die Unterschiede in der Strafbarkeit von Paraphilien.
Korrekterweise werden aber auch überhaupt nicht die Paraphilien angezeigt, sondern „angezeigt werden lediglich strafbare Handlungen“, verdeutlicht der Psychologe. „Das heißt, wenn jemand die Neigung hat, mit Kindern sexuell zu verkehren, es aber bei einer Fantasie bleibt – dann ist das nichts Strafbares.“ Es ist aber etwas völlig anderes, wenn jemand Kinder berührt, kinderpornografische Darstellungen besitzt, verbreitet oder erwirbt. In diesem Fall wird aber nicht die Paraphilie als solche angezeigt, sondern das strafbare Verhalten. Und auch da muss man unterscheiden. „Gerade beim sexuellen Kindesmissbrauch ist es keineswegs so, dass das etwas ist, das nur Pädophile machen“, sagt Rudolf Egg. „Eigentlich könnte man sagen, dass ein Großteil dieser Straftaten von Personen begangen wird, die keine eindeutige Präferenz für Kinder haben, sondern es eine Art Nebenströmung ist oder sie eine Gelegenheit ausnutzen, ohne dass sie in ihrer sexuellen Orientierung generell gestört wären.“
Ob es also zu Übergriffen kommt, ist meist gar nicht auf die krankhafte Störung der sexuellen Präferenz oder Orientierung zurückzuführen. „Das kann sehr unterschiedliche Personen betreffen“, meint er, gerade in Bezug auf sexuellen Kindesmissbrauch.
Einfach ausknipsen lässt sich die Neigung nicht
„Da sind zum Beispiel Personen dabei, die an sich ein ganz normales Liebes- und Sexualleben führen, die verheiratet sind, selbst Kinder haben, aber die in einer bestimmten Phase ihres Lebens plötzlich übergriffig geworden sind, weil es eine Gelegenheit gab und sie vielleicht auch alkoholisiert waren. Und es gibt wiederum welche, die nie eine richtige Beziehung zustande bekommen haben und die ihre Orientierung sehr früh auf Kinder verlegt haben und dann auch dauerhaft dabei geblieben sind. Ein festes Profil gibt es also nicht“. Auch nicht beim Alter der Täter. „Das können ganz junge sein, erst 18 oder 19 Jahre alt und damit selbst noch halbe Kinder beziehungsweise sehr junge Erwachsene. Es können aber auch Personen über 40, 50 oder 60 Jahre alt dabei sein, die solche Delikte begehen und die ansonsten noch nie kriminell auffällig geworden sind“, berichtet der Psychologe. „Und es gibt welche, die sind eben bereits in verschiedener Hinsicht kriminell gewesen, sind Einbrecher, Räuber, Diebe – und dann kommt es plötzlich auch noch zusätzlich zu einem Sexualdelikt. Es ist eine sehr, sehr bunte Welt.“
Wie bei allen psychischen Störungen ist es aber natürlich auch bei der Behandlung von Paraphilien eine Grundvoraussetzung, dass dem Betroffenen nicht nur von außen vermittelt wird, dass sein Verhalten unter Umständen sozial schädlich, unerwünscht oder sogar strafbar ist. Wichtig ist, dass er einen persönlichen Leidenszug und Änderungswunsch verspürt. Mit verschiedenen Angeboten in Form von Einzel- und auch Gruppentherapien lässt sich das unerwünschte Verhalten abtrainieren – einfach ausknipsen kann man die sexuelle Neigung aber keineswegs.
Die Rückfallwahrscheinlichkeit bei Kinderschändern sei vor allem dann höher, wenn die Grundstörung tatsächlich eine starke sexuelle Orientierung, also eine stark pädophile Neigung ist, erklärt Egg. „Wenn es aber – wie Psychiater es immer nennen – eine Nebenströmung ist, dann ist die Rückfallwahrscheinlichkeit nicht so hoch: Sie liegt bei etwa zehn oder 20 Prozent. Kernpädophile allerdings brauchen unter Umständen sehr lange, vielleicht auch lebenslange Betreuung und Kontrolle.“ Auch bei Exhibitionisten sei die Rückfallwahrscheinlichkeit „doch recht hoch“, so der Experte. „Bei Exhibitionisten, sagt man, wird etwa jeder Zweite es wieder tun.“
Das Strafmaß richtet sich nach der Schwere des Delikts, erklärt er: „Wenn das sehr geringfügige Übergriffe sind, dann kann es bei einer Bewährungsstrafe bleiben.“ Handelt es sich aber um massive Übergriffe, „dann sind es schon mindestens drei, vier, fünf Jahre – je nachdem, wie die gesetzlichen Vorschriften sind.“ Und im Wiederholungsfalle kann es sogar bis zu einer lebenslangen Unterbringung in der Psychiatrie führen, wenn jemand immer wieder auffällig wird und sich unbelehrbar zeigt. „Eine lebenslange Freiheitsstrafe im Strafvollzug wäre es nur dann, wenn ein Mord geschehen würde“, erklärt der Experte.