Frische Äpfel oder Blüten-Cuvée von Bienen aus der Nachbarschaft: Die „Marktschwärmereien" bieten Bauern und Lebensmittelproduzenten sichere Absatzmöglichkeiten und den Kunden frische Ware. Den Einblick in die Lebensmittelherstellung gleich vor der eigenen Haustüre gibt es gratis dazu.
Ein kühler Dezemberabend in Berlin-Pankow. Dass sich das kahle Foyer der Eden-Studios, wo normalerweise Tanz- und Musikunterricht stattfindet, gleich in einen Marktplatz verwandeln wird, kann man sich noch nicht so recht vorstellen. Doch schon bald trudeln die Verkäufer ein: Gärtnerin Magdalena Klettner beispielsweise, die eine Handkarre mit ein paar Gemüsekisten über die Schwelle hievt, zusammen mit Gastgeberin
Sandra Kink.
Kurze Zeit später ist der Aufbau schon in vollem Gange. Tische werden aufgestellt, auf ihnen Obst- und Gemüsekisten und Körbe mit Kartoffeln und Möhren. Schräg gegenüber gibt es Wildspezialitäten, gleich daneben präsentiert Seifensiederin Kathrin Grönke aus Bernau ihr Angebot.
Und mittendrin Sandra Kink, die als Organisatorin der Pankower „Marktschwärmerei" alle mit Vornamen kennt und auch mal mit anpackt, wo Hilfe benötigt wird. Seit knapp zwei Jahren findet der temporäre Marktplatz jeden Donnerstagabend in den Eden-Studios statt, erzählt sie. Da hätten sich die Abläufe längst eingespielt, jeder wisse, was er zu tun habe. Sowohl die Anbieter – Bauern und Produzenten aus der Region – als auch die Kunden.
Das Konzept der „Marktschwärmereien", früher auch „Food Assemblies" genannt, ist einfach: Im Internet registriert man sich als Kunde und wird von nun an zur jeweils nächsten Runde der Schwärmerei eingeladen. Man bestellt online Lebensmittel, von der Roten Bete über die Lammwurst bis hin zum Kräuterpesto, und bezahlt diese gleich über die Plattform. Ein riesiger Vorteil für die Produzenten, oft Familienbetriebe oder One-Man-Shows: Sie wissen, wie viel Ware ihnen abgenommen wird, können entsprechend planen und bringen nur das bereits Verkaufte zur „Marktschwärmerei" mit.
„In eineinhalb Stunden ist dann auch alles schon wieder vorbei", sagt Sandra Kink. Die Schwärmerei ist also ein Marktplatz, der gerade mal neunzig Minuten lang existiert, ein Treffpunkt zwischen denjenigen, die Lebensmittel herstellen, und denjenigen, die sie konsumieren. Das Bedürfnis, die Menschen hinter den Produkten kennenzulernen, sei in letzter Zeit immer größer geworden, erzählt die Gastgeberin. Viele wollten mehr darüber erfahren, unter welchen Bedingungen Tiere gehalten würden oder mit welchen Problemen man sich im Obst- und Gemüseanbau herumschlagen muss. Das können ihnen dann direkt beim Treffen Anbieter wie Magdalena Klettner schildern. Mit ihrer Erfahrung vom Gärtnerinnenhof in Blumberg nordöstlich von Berlin weiß sie natürlich auch, wie Gemüse wintertauglich in Mieten gelagert wird – gerade Kartoffeln, Möhren, Kohl, aber auch Äpfel bleiben so monatelang haltbar. Und landen frisch aus der Blumberger Miete im Einkaufskorb der Pankower Marktschwärmer.
Von der Lammwurst bis zum Kräuterpesto
Mittlerweile hat sich der Studioraum mit der hohen Decke gut gefüllt, zwischen Tischen und gestapelten Kühlboxen drängen sich Jüngere und Ältere mit Einkaufstaschen, Körben und Rucksäcken. Dazwischen toben Kids, vor einigen Ständen bilden sich erste Schlangen.
An seinem Stehtisch hat Christof Berndt einen guten Überblick über das Gewusel. Der graubärtige „Kiez-Imker" wartet hinter Honiggläsern auf seine Kunden und erzählt in der Zwischenzeit, was das Besondere am Imkern in Berlin sei. Es liege zugegebenermaßen seit einiger Zeit voll im Trend, es gibt ja sogar Bienenstöcke auf dem Dach des Berliner Doms oder hoch über Ministerien und Kliniken. Aber natürlich auch zunehmend auf privaten Dachterrassen und in Gärten – so wie bei Christof Berndt, dessen Bienen sowohl im Bürgerpark Pankow als auch im Schlosspark Niederschönhausen unterwegs sind. Dadurch ergebe sich ein Cuvée aus verschiedensten Blütensorten, eigentlich eher untypisch für Berlin, wo man je nach Jahreszeit reine Blütenhonige ernten könne.
So passioniert er auch ist, imkern kann Berndt nur im Nebenberuf. Alles andere würde sich nicht rentieren, sagt er. Daher passt auch das Marktschwärmer-Konzept für ihn – die eineinhalb Stunden pro Woche kann er gut investieren. Ein Stand auf dem Wochenmarkt mit schlecht absehbarem Verkauf wäre für den Hobbyimker hingegen nicht denkbar. Außerdem schätzt Berndt in der Schwärmerei den Kontakt zu seinen Kunden. Da habe sich schon ein richtiges Vertrauensverhältnis entwickelt. Besonders wichtig gerade angesichts der regelmäßig wiederkehrenden Skandale rund um Lebensmittel und deren Produktion.
Petra Brockmann, Einkaufstasche am Arm und Mann im Schlepptau, hat aufmerksam zugehört und nickt zustimmend. Fast jeden Donnerstag kommt sie zum temporären Marktplatz, kauft hier mal Gemüse, Fleisch und Eier, mal Brot oder ein Kräuterpesto. Neben der Frische der Ware und der Transparenz ist für sie der Kontakt zu den Bauern und Lebensmittelproduzenten besonders wichtig. Längst sei man mit den meisten per Du, sagt sie lachend, besuche auch ihre Hoffeste oder andere Events.
Heute hat sie leere Gläser mitgebracht und reicht sie Kräuterfrau Kathrin Schwarzkopf über den Tresen. Auch das gehöre nämlich zum Konzept der Schwärmerei, erklärt die Kräuterexpertin aus dem nördlichen Spreewald – ressourcenschonend zu produzieren und möglichst wenig Verpackungsmaterial zu verwenden.
Revival des Authentischen
Ein Punkt, den auch Paul zu schätzen weiß. Der junge Mann ist heute mit seiner Familie gekommen, hat sich gerade in die Schlange vor dem Tisch von Landwirt Peter aus Werneuchen eingereiht. Er sortiert routiniert die Ware aus verschieden Kühlboxen zusammen und hat dabei für jeden noch einen Scherz parat. In Supermärkten oder gar Discountern wolle er kein Fleisch oder Eier kaufen, sagt Paul. Das sei Ware, die oft auf Kosten der Tiere produziert werde – und Massenhaltung von Hühnern oder Schweinen wolle er auf keinen Fall unterstützen. Ob es den Schweinen und dem Geflügel auf Peters Hof denn besser gehe? Das könne er natürlich auch nicht bis ins Detail nachvollziehen, gibt Paul zu. Er traue dem Landwirt aber und habe sich von ihm auch schon ausführlich die Handhabung der mobilen Hühnerställe erklären lassen.
Diese Art von Wissen ist für fast alle Kunden der „Marktschwärmereien" ein wichtiger Punkt. In Pankow sind es rund 70 Menschen, die hier mehr oder weniger regelmäßig Lebensmittel aus der Region bestellen, an anderen der etwa 15 temporären Marktplätze in Berlin noch nicht ganz so viele.
Doch das Interesse werde weiter steigen, da ist sich Gastgeberin Sandra Kink ganz sicher. Die Zahl der „Marktschwärmereien" nimmt deutschlandweit zu – von Kaiserslautern und Mainz über Osnabrück bis Lüneburg. Vielen sei nachhaltig Produziertes mittlerweile sehr wichtig, Regionalität stehe sowieso seit einigen Jahren hoch im Kurs. Schon allein, weil kürzere Transportwege einen niedrigen CO2-Ausstoß bedeuteten. Zudem sorgten regelmäßig auftretende Lebensmittelskandale für Verunsicherung. Für den Verbraucher sei immer weniger nachzuvollziehen, was genau und aus welcher Quelle er da eigentlich im Supermarkt kaufe.
Der Gegentrend, so sehen es die Marktschwärmer, ist der Blick vor die eigene Haustür. Eine Art Wiederentdeckung dessen, was fast ein wenig in Vergessenheit geraten oder verschwunden ist – wie alte Sorten oder alles, was im Supermarktregal das Bild makellos gezüchteten Gemüses stört. Sandra Kinks Lieblingsbeispiel ist da die etwas schief gewachsene Mohrrübe, an der noch Erdkrumen haften. Eher unansehnlich auf den ersten Blick, aber mit unverwechselbarem Geschmack.