Landwirtschaft in Berlin? Die gibt es nicht nur auf der Grünen Woche, der weltgrößten Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Auch in der Hauptstadt gibt es Bauern, die Kühe und Hühner halten. Auf Lernbauernhöfen erfahren Schulkinder, dass Chips mal als Kartoffeln auf dem Feld gewachsen sind und Milch aus den Eutern von Kühen stammt.
Jeden Sonntag beantwortet die „Abendschau" der Regionalsender große und kleine Fragen der Zuschauer zu Berlin – die Sonntagsfrage. Einmal wollte eine Zuschauerin wissen, wann die letzten Kuhställe Berlins geschlossen wurden. Ihre Frage zeigt, wie sehr die Landwirtschaft in der Stadt in den vergangenen Jahren aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden ist. Denn noch immer gibt es in Berlin Ackerbau und Viehzucht, bloß bekommt heute kaum noch jemand etwas davon mit. Zwar strömen die Berliner alljährlich in Scharen zur Grünen Woche – doch wie es um die Situation der heimischen Landwirte bestellt ist, wissen nur die wenigsten.
Die Zahl der Bauern ist in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen. Laut Statistischem Jahrbuch gab es 2005 noch 89 landwirtschaftliche Betriebe in der Stadt, heute wirtschaften nach Angaben des Landesverbands „Landwirtschaft und Pferdehaltung" nur noch 40 Landwirte in Berlin. Sie bearbeiten rund 1.900 Hektar landwirtschaftliche Fläche, das entspricht etwa 19 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Berlin breitet sich auf einer Fläche von 892 Quadratkilometern aus. Angebaut werden vor allem Futterpflanzen wie Heu und ein wenig Roggen, Raps und Gemüse. Die Betriebe sind in den Randbezirken Berlins wie Rudow, Buckow, Marienfelde, Gatow, Kladow, Blankenfelde und Lübars zu finden.
Es gibt sogar noch klassische Bauernhöfe wie den Vierfelderhof in Gatow. Er gehört der gemeinnützigen Jockel-Stiftung, die ländliches Leben erhalten und bewahren will. Ackerbau und artgerechte Tierhaltung folgen traditionellen landwirtschaftlichen Prinzipien, etwa der klassischen Vierfelderwirtschaft. Das heißt, die Felder werden im Wechsel mit unterschiedlichen Pflanzen bestellt, nie trägt ein Feld zwei Jahre hintereinander die gleiche Kultur. So hat der Boden Zeit, genau jene Nährstoffe wieder nachzubilden, die ihm die Pflanzen des Vorjahres entzogen haben.
„Wir betreiben keine industrielle Landwirtschaft, sondern einen Bauernhof, wie man ihn von früher kennt", sagt Stifter Gerhard Jockel. Der Hof verfügt über einen Laden, ein Café, eine Veranstaltungsscheune und eine Kita, in der schon den Kleinsten das Landleben vermittelt wird.
Jockel selbst stammt aus einer hessischen Bauernfamilie. Als er den Gatower Hof 2009 erwarb, ahnte er noch nicht, wie schwierig es werden würde, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. „In Berlin gab es ja kaum noch jemanden, der all das beherrschte, was auf einem solchen Hof gefragt ist", berichtet er. Zudem gab es immer wieder Ärger mit den Behörden. „Die meisten haben keine Ahnung von der Landwirtschaft", sagt Jockel. Zwar hält der Berliner Senat Landwirtschaft in Berlin für notwendig, um die noch verbleibenden Felder und Wiesen zu erhalten. Doch haben „in der wachsenden Stadt die landwirtschaftlichen Betriebe mit verschärften Rahmenbedingungen zu kämpfen", heißt es in einem Schreiben der für die Landwirtschaft zuständigen Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung an den CDU-Abgeordneten Oliver Friederici. Dieser hatte im Juni 2017 im Abgeordnetenhaus eine Anfrage zur Lage der Landwirtschaft und der landwirtschaftlichen Betriebe in Berlin gestellt.
Milch und Käse direkt vom Bauernhof
In der Antwort führt die Verwaltung aus: „Mit der Wende haben sich die Bedingungen für Landwirtschaft und Gartenbau in Berlin insgesamt deutlich verändert. Waren die Betriebe im Westteil der Stadt bis dahin geprägt von kleinteilig strukturierten, traditionellen Familienbetrieben, so dominierten im Ostteil der Stadt die großbetrieblichen Formen der gärtnerischen und landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Während sich diese Relikte der Planwirtschaft in der Folgezeit im Ostteil der Stadt auflösten und daraus eine Reihe von Neubetrieben hervorgingen, konnten die Betriebe im Westteil der Stadt sich nun ins Brandenburgische hinein ausdehnen, mussten sich dabei dem Wettbewerb mit dem Umland stellen und mit veränderten Förderbedingungen kalkulieren."
Zu den größten Herausforderungen für die Berliner Landwirte zählen steigende Bewirtschaftungsauflagen, zum Beispiel im Rahmen der Ausweisung von Landschafts- und Naturschutzgebieten, welche die unternehmerischen Möglichkeiten für die Landwirte zunehmend einschränken. Zudem sinkt die zur Verfügung stehende landwirtschaftliche Nutzfläche, weil Äcker in der wachsenden Stadt in Wohngebiete umgewandelt werden. Und anders als etwa die Bauern in Brandenburg können die Berliner Landwirte auch nicht einfach neue Flächen dazu pachten, um diesen Verlust auszugleichen.
Hinzu kommt, dass es nach Angaben der Senatsverwaltung seitens der Berliner Bevölkerung nur eine geringe Akzeptanz gibt, bewirtschaftete Flächen nicht zu betreten, was vom Missbrauch der Felder als Hundeauslauf bis hin zu purem Vandalismus reicht. „Es gibt in Berlin keine Lobby für die Landwirtschaft", sagt Gerhard Jockel vom Vierfelderhof. Tatsächlich hat das Land Berlin die Durchführung von Gesetzen und Verordnungen zur Landwirtschaft auf die brandenburgischen Landwirtschaftsämter übertragen. „Aus Brandenburg hat sich aber noch nie jemand bei uns gemeldet, denen ist Berlin egal", sagt Gerhard Jockel. „Wir sitzen quasi zwischen den Stühlen."
Georg Mendler kann solche Erfahrungen nicht bestätigen. „Unsere Anträge werden genauso bearbeitet wie die der Brandenburger Bauern, ich empfinde da keinen Nachteil", sagt der Eigentümer des Milchhofs Mendler in Rudow. Er glaubt sogar, dass die Berliner Betriebe gegenüber denen in der Mark einen großen Vorteil hätten: Weil sie am Stadtrand einer Millionenmetropole liegen, sind sie nahe bei den Menschen – das bietet größere Chancen bei der Direktvermarktung.
Auch auf dem Milchhof Mendler gibt es einen Hofladen, wo außer frischer Rohmilch auch Käse, Geflügel und Vollkornbrot vertrieben werden.
Früher lag der 1930 gegründete Hof sogar im Zentrum – in der Steinmetzstraße in Schöneberg, als ein zu dieser Zeit typischer Abmelkbetrieb. In Berlin gab es damals rund 2.000 solcher Betriebe. Sie sollten die Berliner mit frischen Lebensmitteln versorgen. In einfachen Mietshäusern wurden damals in den Hinterhöfen Kühe und in den Kellerräumen sogar Schweine gehalten.
Der Milchhof zog 1982 nach Rudow um. Heute betreibt er auch Rinderzucht und eine Pferdepension. Trotzdem ist fraglich, wie lange es den Hof noch geben wird. Mendler und sein Bruder Joachim steuern auf die Rente zu; ob Sohn Tobias den Betrieb übernehmen wird, ist noch offen. „Mein Bruder und ich machen das momentan zusammen, aber er wäre ganz allein auf sich gestellt – ich weiß nicht, ob ich ihm das aufbürden will", sagt der Vater.
Dabei kann es sich für die Jüngeren trotz aller Probleme durchaus lohnen. Als Lernbauernhof und Anbieter von Bioprodukten haben die Höfe durchaus Chancen, zu überleben. So wird künftig niemand mehr eine Sonntagsfrage zur Zukunft der Landwirtschaft in Berlin stellen müssen.