Lange als selbstverständlich erachtet, kommt der Freundschaft heute ein neuer, hoher Stellenwert zu. Das wirkt sich sogar positiv auf die Gesundheit aus.
Ein altes Video in schwarz-weiß. Drei junge Männer marschieren im Takt einer fröhlichen Melodie und der junge Heinz Rühmann singt: „Liebe vergeht, Liebe verweht, Freundschaft alleine besteht". Gefolgt von dem berühmten Satz: „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt." Schon 1930 haben die „Drei von der Tankstelle" über den Wert der Freundschaft gesungen.
Damals noch eher selten, scheint die Bedeutung guter Freunde heute öfter thematisiert und besser untersucht zu werden. Und das hat gute Gründe: Die Zahl der Familien geht zurück, Menschen wechseln für ihren Job öfter den Wohnort und die Kirche gibt nur noch wenigen Halt – noch nie waren Freunde so wichtig wie heute. 74 Prozent der Deutschen sehen laut einer Umfrage der Stiftung für Zukunftsfragen ihre Freunde als eine zweite Familie.
Gerade für Singles sind feste Bande besonders wichtig. Die britische Soziologin Sasha Roseneil befragte sie zu ihren Lebensgewohnheiten und Bindungen. Bei den Beziehungslandkarten, die die Probanden entwerfen sollten, standen meist die Freunde im Mittelpunkt. Erst dann kam die Familie. Vor allem emotionale Fürsorge und praktische Hilfe erhielten die Singles von ihren Freunden.
Bei zehn Prozent der 18- bis 55-jährigen Deutschen stünden die Freunde im Zentrum des Lebens, hat der Soziologe Janosch Schobin bei seinen Untersuchungen herausgefunden. Und das sei lange kein Randphänomen mehr. Schobin sieht die Freundschaft im Wandel. Engere, vertrautere, emotional aufgeladene Freundschaften würden zunehmen. Zudem wachse das Verantwortungsgefühl unter Freunden. Sie fühlten sich einander in hohem Maße verpflichtet. „Verfreundschaftlichung der sozialen Fürsorge" und „Verfürsorglichung der Freundschaft" nennt er es in seinem Buch „Freundschaft und Fürsorge. Bericht über eine Sozialform im Wandel".
Demografischer Wandel trägt „Mitschuld"
Gründe für die neue Entwicklung sieht er im demografischen Wandel, der „immense Auswirkungen auf die Lebensformen der Einzelnen hat. Niedrige Geburtenraten verändern Verwandtschafts- und Familienbeziehungen, sie werden zu einer knappen Ressource: Das Einzelkind zweier Einzelkinder hat keine Geschwister, keine Tanten, Onkel oder Cousins. Gleichzeitig werden die Menschen immer älter, und die Zahl der Pflegebedürftigen steigt." Dazu komme, dass die Bedeutung der Freunde meist mit der Familiengründung in den Hintergrund trete. Doch die setze bei vielen gar nicht mehr ein. Lange Ausbildungszeit, Jobsuche, Karrierebeginn. Häufig zerbreche dann die Partnerschaft um die 30 und manche fänden dann eben keinen Partner mehr, um eine Familie zu gründen. Sie fokussieren sich besonders auf ihre Freunde und pflegen diese Beziehungen ganz besonders, erklärt es der Soziologe.
Und Freunde tun gut – das steht außer Frage. Sie machen zufriedener, gesünder und verlängern sogar das Leben. Forscher der Brigham Young Universität in Utah haben den Gesundheitszustand von über 300.000 Probanden über acht Jahre hinweg verglichen. Das Ergebnis: Mangelnde soziale Beziehungen waren schädlicher als Sportverzicht oder Übergewicht und genauso gravierend wie Alkoholmissbrauch oder das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag. Menschen mit guten Bindungen hingegen hatten eine 50 Prozent größere Chance, diesen Zeitraum zu überleben.
Gut leben und auch länger leben steht in Verbindung mit guten Freunden. Forscher des Rush Institute for Healthy Aging haben 15.000 über 70-Jährige hinsichtlich ihrer Lebenserwartung untersucht. Die Beziehung zu Freunden hatte dabei einen größeren positiven Einfluss als der Kontakt zu Kindern oder anderen Verwandten. Die Forscher führen das darauf zurück, dass Freunde im Gegensatz zur Familie frei wählbar sind.
Positive Beziehungen stärken das Immunsystem und senken das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depression. Freunde senken das Empfinden von Stress und Dauerbelastung. „Zehn Minuten an meiner Seite schützt ein Freund mich über eine Stunde lang wirksam vor Stress", sagt der Freiburger Psychologieprofessor Markus Heinrichs. In seiner Untersuchung brachte er die Probanden in unangenehme Situationen, ließ sie etwa eine Präsentation vor Publikum und Kamera halten und im Anschluss ohne Vorwarnung Kopfrechenaufgaben lösen. Ein Teil der Probanden durfte den besten Freund oder die beste Freundin zur Vorbereitungsphase mitbringen. Sie zeigten hinterher eine deutlich niedrigere Konzentration des Stresshormons Cortisol und berichteten seltener über Angst und Unruhe. Die Forscher führen das auf das „Bindungshormon" Oxytocin zurück. Sie gehen davon aus, dass der Körper es in Anwesenheit von vertrauten Personen vermehrt ausschüttet und dadurch Angstgefühle reduziert.
Männer und Frauen können befreundet sein
Freundschaften machen gesünder und glücklicher. Und solche Bindungen haben viele Gesichter: alte Freunde, die über Facebook in Kontakt bleiben, Sportfreunde, Mädelscliquen, ältere Menschen, die in eine Wohngemeinschaft ziehen oder beste Kumpels. Von letzteren denken zumindest Frauen oft, sie seien etwas defizitär. Da verbringen Männer ganze Abende zusammen und wissen hinterher trotzdem kaum, was im Leben des anderen vor sich geht. „Überwiegend wird heute angenommen, dass Frauenfreundschaften intensiver und zufriedenstellender sind, mehr praktischen und emotionalen Beistand bieten als Männerfreundschaften, dass Frauen differenziertere Freundschaftskonzepte haben, ihnen ihre Freundschaften wichtiger und sie mit diesen auch zufriedener sind", hieß es 2007 im „Journal für Psychologie". Der Mann als emotional und sozial minderbegabtes Wesen, das sich nur zum Fußballschauen und Biertrinken trifft?
Männerfreundschaften werden zu Unrecht unterschätzt, sagt der Sozialpädagoge Steve Stiehler. Er ist Professor an der Hochschule St. Gallen und Autor des Buches „Männerfreundschaften. Grundlagen und Dynamiken einer vernachlässigten Ressource". Männer- und Frauenfreundschaften funktionieren einfach unterschiedlich. Während Frauenfreundschaften „Face to Face" führen, sich also gegenüber sitzen und über Privates austauschen, führen Männer ihre Freundschaften „Side by Side" und bauen sie auf gemeinsame Aktivitäten auf. Es gäbe zwischen ihnen auch eine unausgesprochene Übereinkunft, dass man von sich aus über das erzählt, was einen beschäftigt. Dass Männer nicht ähnlich redselig agierten wie Frauen, führt Steve Stiehler auf die Sozialisation zurück. Bei Mädchen gehe es schon früh um Beziehung und Kommunikation, bei Jungs um Aktivität. Dass Männer in der Folge nicht richtig gelernt hätten, über ihr Innenleben zu berichten, werfe man ihnen heute als mangelnde Beziehungsfähigkeit vor. Er schränkt aber ein: Selbst wenn Männer weniger miteinander reden, können sie die gemeinsame Zeit dennoch als sehr gewinnbringend erleben.
Neben den gleichgeschlechtlichen Freundschaften rücken auch die von Mann und Frau immer wieder in den Fokus des Interesses. Können sie tatsächlich funktionieren oder muss eine Freundschaft zwischen Mann und Frau zwangsläufig wie bei „Harry und Sally" enden? In Umfragen fand die amerikanische Kommunikationsforscherin Heidi Reeder heraus, dass 28 Prozent der Befragten ihren engen Freund oder ihre enge Freundin körperlich anziehend fanden, 14 Prozent sehnten sich heimlich nach einer Liebesbeziehung und 39 Prozent hatten zumindest früher einmal romantische Absichten gehegt. Die Mehrheit der Teilnehmer empfand allerdings keine romantische oder sexuelle Anziehung. Außerdem gaben die meisten an, die Freundschaft habe für sie oberste Priorität. Freundschaft zwischen Mann und Frau ist also möglich. Und wie jede Freundschaft will auch sie gepflegt werden. Dafür müssen die eigenen Bedürfnisse auch ab und an zurückstehen oder Platz im doch so eng getakteten Alltag gefunden werden. Aber Forscher sind sich einig: Es lohnt sich! Wer gute Freunde an seiner Seite hat, kommt besser und leichter durchs Leben.